6841574-1975_47_04.jpg
Digital In Arbeit

Vorsicht, Lawinengefahr!

19451960198020002020

In Osterreich, so hören wir heute unisono von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften, wird gegenwärtig zu viel gespart und zu wenig konsumiert. Es müsse daher die Spartätigkeit gebremst und der Konsum angekurbelt werden. Der Normalverbraucher ist verwirrt, verunsichert Noch vor einem Jahr hat man ihm vorgeworfen, er konsumiere zu viel und solle lieber mehr sparen. Jetzt wieder soll er das Gegenteil tun und man droht ihm bereits, die Sparzinsen, welche ohnehin weit unter der Inflationsrate liegen und eigentlich eine Negativverzinsung darstellen, weiter zu senken.

19451960198020002020

In Osterreich, so hören wir heute unisono von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften, wird gegenwärtig zu viel gespart und zu wenig konsumiert. Es müsse daher die Spartätigkeit gebremst und der Konsum angekurbelt werden. Der Normalverbraucher ist verwirrt, verunsichert Noch vor einem Jahr hat man ihm vorgeworfen, er konsumiere zu viel und solle lieber mehr sparen. Jetzt wieder soll er das Gegenteil tun und man droht ihm bereits, die Sparzinsen, welche ohnehin weit unter der Inflationsrate liegen und eigentlich eine Negativverzinsung darstellen, weiter zu senken.

Werbung
Werbung
Werbung

Was hat der Normalverbraucher nun wirklich angestellt? Wie die Statistik zeigt, sind seine Konsumausgaben nicht geringer geworden, sondern weiter gestiegen. 1971 ist der private Konsum um 10,5 Prozent gewachsen, 1972 um 14,8 Prozent, 1973 um 10,9 Prozent, 1974 um 13,4 Prozent, im ersten Quartal 1975 (gegenüber der Vergleichszeit des Vorjahres) um 12,1 Prozent und im zweiten Quartal um 9,7 Prozent.

Der Konsum hat also in diesem Jahr nicht nur nominell weiter zugenommen, sondern auch real, das heißt, unter Bedachtnahme auf die Kaufkraftverluste. Selbst im zweiten Quartal lag die Steigerungsrate des Konsums noch über der Inflationsrate.

Die Konsumsteigerung war — mit Ausnahme des Jahres 1972 — immer ein wenig niedriger als die Einkommenssteigerung. Nur 1972 kam es — infolge der von der damals bevorstehenden Einführung der Mehrwertsteuer erwarteten Teuerung — zu einem Konsumstoß. Die Ausgaben stiegen um 14,8 Prozent, die Einkommen hingegen nur um 12,6 Prozent

Dies wurde allerdings im darauffolgenden Jahr wieder kompensiert 1973 betrug die Konsumsteigerung 10,9 Prozent, der Anstieg der Netto-Einkommen der Unselbständigen hingegen 16,2 Prozent.

Verkehrt proportional entwickelten sich die Spareinlagen. Ihre normale Steigerungsrate liegt ungefähr in jenem Bereich, der durch 13,7 Prozent (1971) und 10,7 Prozent (1974) eingegrenzt wird. Divergenzen gab es nur infolge der Einführung der Mehrwertsteuer am 1. Jänner 1973. Diese führte 1972 zu Vorgriffen beim Konsum, weshalb die Spareinlagen um 11,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgingen. 1973 wurde dies durch einen Sparboom mit 58,8 Prozent Steigerung kompensiert.

Ganz irregulär verhielten sich aber die Österreicher in diesem Jahr. Obwohl ihre Nettoeinkommen stark gestiegen sind — Jahressteigerungsrate im ersten Quartal 14,3 Prozent, im zweiten sogar 15 Prozent und obwohl der Finanzminister bereits seit langem eine Mehrwertsteuererhöhung ab 1. Jänner 1976 angekündigt hat, welche — zusammen mit zahlreichen Tariferhöhungen — einen neuen Inflationssprung bringen wird, blieb der erwartete Konsumstoß aus, und es kam vielmehr zu einem Sparboom. Im ersten Quartal waren die Einlagen um 43,8 Prozent höher als ein Jahr vorher, im zweiten wurde sogar die Rekordmarke von 75,6 Prozent erreicht.

Die Konjunkturpolitiker finden nun diese Sparsamkeit höchst unzeitgemäß: Die Wirtschaft stagniere und brauche dringend einen Konsumstoß. Außerdem seien die Banken überliquid. Die Spareinlagen steigen und die Kreditnachfrage sei schleppend.

Schuld daran sei ein überhöhter Sparzinsfuß, dessen Senkung vehement gefordert wird. Er locke zu viel Sparkapital an, welches allmählich zur Belastung des Kreditapparats werde, und er verhindere eine Senkung der Kreditzinsen, welche zur Belebung des Kreditmarktes dringend notwendig sei.

Dies klingt im ersten Moment sehr plausibel und findet auch in allen Lagern — bei Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaft — Zustimmung. Die Senkung des Sparzinsfusses im kommenden Jahr dürfte schon ziemlich weitgehend beschlossene Sache sein.

Genau das' ist aber wieder ein Beispiel für jenen kurzsichtigen Pragmatismus, vor dem nicht entschieden genug gewarnt werden kann. Der Effekt einer Zinsensenkung wird minimal sein, der Schaden, den diese langfristig anrichtet, hingegen enorm.

Maßnahmen für oder gegen die Spartätigkeit und reziprok den Konsum haben immer nur Langzeitwirkung. Langzeitmaßnahmen gegen die Spartätigkeit sind aber in unserer Gesellschaft, welche ohnehin zum Uberkonsum neigt, fatal. Wenn wir in diesem Jahr einen leichteren Konsumanstieg als bisher zu verzeichnen hatten, so ist dies eine Entwicklung, deren Perpetuierung nur zu begrüßen wäre!

Erst dieser Tage hat der Generaldirektor der Nationalbank, Heinz Kienzl — der ehemals wirtschaftspolitischer Referent des Gewerkschaftsbundes war — mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß wir uns in Zukunft auf ein langsameres Wirtschaftswachstum und damit auf geringere Einkommenssteigerungen einrichten müßten. Tendenzen in diese Richtung sind daher mit aller Entschiedenheit zu unterstützen.

Diese langfristigen Aspekte dürfen wir unter gar keinen Umständen wegen kurzfristigen konjunkturellen Bedürfnisen vernachlässigen und diesen zuliebe Maßnahmen setzen, welche ohnehin erst langfristig wirksam werden — welche also die aktuelle konjunkturelle Situation nicht verbessern können —, auf längere

Konsumentinnen: Wieder Wirtschaftswachstum durch Konsumstoß?

Photo: Klomfar

Sicht aber in die falsche Richtung führen.

Dagegen muß die Spartätigkeil permanent gefördert werden — und dies besonders in einer Periode hoher Inflationsraten, deren sparfeindlicher Effekt nicht unterschätzt werden darf. Bisher hat sich zwar der Sparer als wenig inflationsempfindlich erwiesen. Wir dürfen aber nicht glauben, daß dies immer so sein muß.

Eines Tages ist der kritische Punkt plötzlich und unerwartet erreicht, und die Sparlawine wird losgetreten, das heißt ein vehementer Entsparungsprozeß mit einer panischen Flucht in die Sachwerte setzt ein. Dies aber würde den Zusammenbruch nicht nur des Kreditapparats, sondern der Wirtschaft insgesamt bedeuten. Von Versuchen, das Sparkapital — noch dazu mit untauglichen Mitteln — manipulieren zu wollen, muß entschieden abgeraten werden — dies umso mehr, als — objektiv betrachtet — doch jeder Habenzinsfuß, welcher unter der Inflationsrate liegt, zu niedrig und nicht zu hoch angesetzt erscheint.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung