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Vorsicht vor dem „starken Mann“

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Gerade Wahlkampfzeiten sind Probezeiten für die Qualität einer demokratischen Gesellschaft. Bloße parteitaktische Ziele sollten dabei niemals im Vordergrund stehen.

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Gerade Wahlkampfzeiten sind Probezeiten für die Qualität einer demokratischen Gesellschaft. Bloße parteitaktische Ziele sollten dabei niemals im Vordergrund stehen.

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Mängel unserer Demokratie sind nicht zu übersehen. Politische Parteien sehen in der derzeitigen Situation eher auf die Reaktion der Randgruppen, die bei Wahlen möglicherweise den Ausschlag geben. Im Extremfall bedeutet dies eine Taktik, die den längerfristigen strategischen und gemeinwohlfördernden Dispositionen im Wege steht.

In diesem Lichte sind Offenheit und Ehrlichkeit oft eine extreme Mutprobe. Und dies ist nicht nur eine Vermutung, sondern eine Erfahrungstatsache. Jeder, der mit Politikern Kontakt hat, wird feststellen können, daß es eine große Kluft zwischen dem gibt, was Po-

litiker glauben, tun zu müssen, und dem, was sie als Politik faktisch anbieten.

Hinter vorgehaltener Hand wird in solchen Situationen dem kritischen Staatsbürger ein Bild vermittelt, das man am besten mit Traum und Wirklichkeit umschreibt.

Darin gleich eine persönliche Unanständigkeit zu sehen, ist sicher nicht gerecht. Man müßte sich vielmehr um jene Randbedingungen politischen Handelns kümmern, die mehr Offenheit zulassen und die Akteure nicht gleich in den politischen Selbstmord treiben. Das gilt für alle politischen Gruppierungen.

Als Folge dieser Situation wer~ den die unterschiedlichen Standpunkte nicht klar genug, worunter auch zeitgerechte Entscheidungen leiden. Dazu gehören leider auch solche, deren Hinausschieben (Beispiel Energiepolitik) vitale Interessen des Landes betrifft und schädigt.

Man gewinnt den Eindruck, als würde aus bloß taktischen Gründen das Richtige oder Notwendige nicht getan, um der Verantwortung zu entgehen.

Die einzig mögliche Konsequenz für sinnvolles politisches Handeln bestünde doch wohl darin, existenzielle Fragen des Staates außer Streit zu stellen, wobei es relativ unerheblich ist, ob dies über eine entsprechende Regie- ' rungsform oder über die Konsensbildung der Regierungspartei beziehungsweise Regierungsparteien mit der Opposition stattfindet.

Allerdings haben uns die letzten Jahre gelehrt, daß ein eher brutaler Wettbewerb, bei dem lediglich die parteitaktischen Ziele im Vordergrund stehen, in der Nähe jenes Manchesterliberalismus angesiedelt sind, den man in seinen extremen Auswirkungen in der Wirtschaftspolitik längst aufgegeben hat.

Es gibt ja kaum Unterschiede in der Zieldiskussion, wobei man schon oft Probleme hat, die Parteien auseinanderzuhalten. Die Konsensfähigkeit müßte sich daher mehr als bisher auf die Mittel und Wege beziehen.

Daher ist es kein Wunder, daß empirisch Politikverdrossenheit feststellbar ist und das Protestwählerpotential zunimmt. Und es bleibt die Frage, inwieweit wir aus eigener Kraft unser demokratisches System so verbessern können, daß sich der Ruf nach dem legendären sogenannten starken Mann erübrigt.

Geht man davon aus, daß Wichtiges auch von den Politikern in des Wortes enger Bedeutung festgeschrieben oder etwa in den elektronischen Medien geäußert wird, dann ist festzustellen, daß das noch Wichtigere informell diskutiert wird und das Aller-wichtigste zunächst lediglich in den Köpfen steckt. Im Prinzip ist dies auch in den Wissenschaften so.

Es gilt daher, jene vertrauensvolle Offenheit herauszustellen, in der man gute Ideen — und seien sie zunächst noch so unausgego-ren — in die politische Diskussion einbringt.

Daran scheint es in einem Klima des Mißtrauens und der taktischen Winkelzüge zu mangeln, weil jeder fürchtet, an den Pranger gestellt zu werden, der nicht zu Ende gedachte Ideen präsentiert und diese lediglich auf den Prüfstand der Meinungen anderer stellen möchte, um die Möglichkeiten sinnvollen politischen Handelns abzustecken.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz. Der Beitrag ist ein Auszug eines Heferats zum Thema „Demokratie und Zeitgeist“ vor dem „Tag der Freiheitlichen Akademiker“ in Graz.

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