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Vorsorgen ist besser

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FURCHE: Als Ihr Maturazeugnis kürzlich in einer Zeitung abgedruckt wurde, waren viele von den .,lauter Sehr gut" beeindruckt. Wie werden Sie es machen, auch in der Politik mit ..Sehr gut" abzuschneiden?

MINISTER STEYRER: Ich habe auch alle Rigorosen mit Auszeichnung abgelegt, weil es immer mein Ehrgeiz war, auf allen Gebieten eine volle Leistung zu erbringen. Ich nehme aber Lob nicht ernst. JCritik nehme ich viel ernster. Und nun habe ich ein Ressort übernommen, wo es sehr schwer sein wird, mit „Sehr gut“ abzuschneiden, weil jeder schon einmal schlechte Erfahrungen mit einem Arzt, einem Spital oder verseuchter Umwelt gemacht hat.

FURCHE: Wo werden die Schwerpunkte Ihrer Ministerpraxis liegen?

STEYRER: In der Vorsorgemedizin für die Arbeits- und Freizeitwelt. US- Wissenschafter sagen voraus, daß im Jahr 2000 drei Viertel der medizinischen Leistung in der Vorsorge und nur ein Viertel in der kurativen Medizin liegen werden.

FURCHE: Gilt das nicht auch Jur den Umweltschutz?

STEYRER: Sicher, denn hier kann der einzelne, der immerhin privat noch gesund leben kann, überhaupt nicht Vorbeugen. Zum Beispiel kommt eine im Mai zur Veröffentlichung gelangende Untersuchung des Bundesinstitutes für Gesundheit und Umweltschutz zu dem Schluß, daß in Österreich jährlich 1200 Tonnen reines Blei in die Umwelt abgegeben werden! FURCHE: Gehört zur Erziehung zum richtigen Gesundheits- und Umweltbewußtsein nicht auch eine Erziehung zu einem gewissen Kostenbewußtsein? Mil anderen Worten: Ist Jür Sie das gegen wärtige Sozial Versicherungssystem einschließlich Selbstbehalt tabu?

STEYRER: Nein. Ungeachtet der großartigen Leistungen des historisch gewachsenen Sozialversicherungssystems in Österreich verlangt das Finanzierungsproblem einen permanenten Denkprozeß. Bei aller ideologischen Sensibilität dieses Themas schließe ich Möglichkeiten einer Umstrukturierung nicht aus. Nur darf bei

der Diagnose keine Barriere zwischen Patient und Arzt aufgerichtet werden.

FURCHE: Aber im therapeutischen Bereich wäre ein Selbstbehalt auch nach dem ASVG prinzipiell diskutabel?

STEYRER: Darüber kann man reden. Wenn es gelingt, eine Methode zu Finden, das Kostenbewußtsein der Österreicher im Gesundheitsbereich zu stärken, bin ich dafür. Bedenken muß man nur, ob dadurch nicht neue bürokratische Belastungen geschaffen werden. Und unangetastet muß der Grundsatz bleiben: gleicher Zugang aller zur Gesundheit im diagnostischen Bereich!

FURCHE: Sie haben sich selbst einmal als ..Konsensmeier" bezeichnet und gesagt, Sie wären ..auf keinen Fall Jür die Vergewaltigung irgend einer In

teressenvertretung." Gilt das auch für die ..Aktion Leben", die so etwas wie eine Interessenvertretung der ungeborenen Kinder ist?

STEYRER: Konsens bedeutet nicht Preisgabe ideologischer Positionen. Aber ein Gesundheitsminister aller Österreicher muß auch in dieser Frage bemüht sein, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu vergrößern. Ich habe dieses Thema in einem Gespräch mit Kardinal König angeschnitten und wir waren uns über zwei Grundsätze einig: Die Strafe ist kein Mittel zur Reduktion der Abtreibungen, aber es ist wünschenswert, diese Zahl zu reduzieren und möglichst wegzubringen.

FURCHE: Die Aktion Leben verspricht sich solches von einer Statistik der Schwangerschaftsabbrüche. ihrer

regelmäßigen Auswertung und Veröffentlichung.

STEYRER: Das wäre eine Statistik, an der jeder vernünftige Gesundheitspolitiker ein Interesse haben muß. Nur: Was immer dabei herauskommt, es wird nicht stimmen. Viele Ärzte werden nicht die wirkliche Zahl der vorgenommenen Abtreibungen bekanntmachen.

FURCHE: Aus steuerlichen Gründen?

STEYRER: Auch, um in gewissen Gegenden und gewissen Schichten nicht diskriminiert zu werden. Sie glauben gar nicht, wie viele prominente Gegner der Fristenlösung in ihren Ordinationen abtreiben. Ich verstehe diesen Zwang, der von der doppelten Moral ausgeht. Die Gesellschaft praktiziert sie vielfach. Denken Sie an die Zunahme der Kindesmißhandlungen, das Schicksal ungeliebter, bis vor kurzem auch noch der unehelichen Kinder…

FURCHE: Was halten Sie von der Forderung nach Beschränkung des Schwangerschaftsabbruchs auf Fachärzte und Kliniken sowie auf Trennung von beratendem und abbrechendem Arzt?

STEYRER: Ich bedaure das vielfache Fehlen einer guten Beratung und die geschäftlichen Auswüchse der Abtreibungspraktiken. Aber die Situation wäre sofort entspannt, wenn auch im Westen einige Spitäler legale Abbrüche vornähmen. Jetzt machen es halt gewisse Ärzte dort heimlich für viel Geld oder schicken ihre Patientinnen nach Wien. Diese Diskriminierung muß aufhören. Dann kann man über alles reden. Und außerdem muß über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Empfängnisregelung informiert werden - auch von der Kirche. Solange sie das nicht tut, ist sie als Anwältin des ungeborenen Lebens nich glaubwürdig.

FURCHE: Die Katholische Arbeiterjugend hat Sie gebeten, bei der Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation im Mai die Forderung nach einer „strengen, wirkungsvollen und verbindlichen" Regelung für den Babynahrungskodex zu unterstützen, damit die Entwicklungsvölker nicht der Brutalwerbung der pharmakologischen Industrie ausgeliejert bleiben.

STEYRER: Diese Forderung wird von mir unterstützt. Stillen ist zum Beispiel die beste Form der Vorsorgemedizin.

Mit dem Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz sprach Hubert Feichtlbauer.

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