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Vorwiegend Optimismus

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Kommt es zu einer Wende? Lassen die Autoren davon ab, kaum anderes als das Unheil unserer Zeit auf der Bühne vorzuführen? In der Komödie „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde” des vierzigjährigen brasilianischen, aus Ungarn stammenden Autors Joäo Bethencourt, die derzeit im Theater in der Josefstadt wiedergegeben wird, zwingt der Entführer in New York die Regierungen der ganzen Welt zu einem Tag des Friedens.

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Kommt es zu einer Wende? Lassen die Autoren davon ab, kaum anderes als das Unheil unserer Zeit auf der Bühne vorzuführen? In der Komödie „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde” des vierzigjährigen brasilianischen, aus Ungarn stammenden Autors Joäo Bethencourt, die derzeit im Theater in der Josefstadt wiedergegeben wird, zwingt der Entführer in New York die Regierungen der ganzen Welt zu einem Tag des Friedens.

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Wer ist das? Der kleine jüdische Taxiohauffeur Samuel Leibowitz, der den Papst zwangsweise in seine bescheidene Wohnung gebracht hat. Die Voraussetzungen hiefür sind nicht glaubhaft, aber wie sich dieser liebenswürdig gütige Papst — der Autor dachte an Johannes XXIII., und widmete das Stück „Roncalli” — da in aller Schlichtheit zurechtfindet, ja, wohlfühlt, ergibt überaus reizvolle Szenen von warmer Menschlichkeit. Da auch ein Rabbi hinzukommt, erweitert sich diese fast gemüthafte Konfrontation mit dem Jüdischen. Doch bei der Fortsetzung der Szenen entstehen Schwierigkeiten, der Autor behilft sich mit Klamauk, die Komödie wandelt sich zum Schwank und sackt aib. Es zeigt sich, daß der Vorwurf eine andere als diese allzu leichtgewichtige Behandlung erfordern würde.

Regisseur Werner Kaut hält sich an die Intentionen des Autors, bietet eine vorzügliche Besetzung der Hauptrollen mit dem bedächtig gutmütigen Paul Hörbiger als Papst, Fritz Muliar als „meschuggenem” Taxiohauffeur, Ernst Waldbrunn als auf den Vorteil seiner Synagoge bedachtem Rabbi. Beachtliche Leistungen von Grete Zimmer als Frau Leibowitz, Carl Bosse als Kardinal. Passables Bühnenbild von Gottfried Neumann-Spallart.

Heinrich Wilhelm Gerstenberg hat in dem Trauerspiel „Ugolino” die Quälen der in einem Hungerturm Eingeschlossenen eindringlich dargestellt. In dem Stück „Der Büchsenöffner”, das derzeit im Kleinen Theater im Konzerthaus gespielt wird, führt der Franzose Victor Lanoux eine noch fürchterlichere Situation vor: Die letzten Überlebenden des Weltuntergangs, zwei Männer hungern in einem Keller ihrem Tod entgegen (sinnwidrig gibt es elektrisches Licht). Dazu bedient sich der Autor seltsamerweise des Clownmodells: Der Gescheite und der Dummsige, diesfalls der sophistisch zynische Intellektuelle und der komische, mitunter naiv-schlaue Einfältige. Das könnte eine bittere Groteske ergeben, in der die Diskrepanz im Weltgefüge aufklafft.

Aber bei Lanoux geht es überaus humorig darum, wie sich die beiden die Zeit vertreiben, wie sie sich fit machen, wie sie die Situation geistig bewältigen, wobei auch Philosophisches munter eingesetzt wird. „Witziger” Gag: Der Büchsenöffner für die letzten Konserven ist nicht zu finden, also werden sie hinaus ins Leere geworfen, dann aber entdecken ihn die beiden. Um es kurz zu sagen: Das Publikum kommt aus dem Lachen fast nicht heraus. Bei dieser Situation. Treffliches Spiel unter der Regie von Georg Remoundos von Ludwig Hirsch als dürrer Intellektueller, von Heinz Marecek als drolliger, beinahe hintergründiger Dummsiger. Kontrast zur Humorig- keit des Autors: das berechtigt an Verfall gemahnende Bühnenbild von Wolfgang Müller-Karbach.

Von Gerhard Hauptmann werden seit Jahren nur die naturalistischen Stücke gespielt. Da ist es ein Wagnis, seine Traumdichtung „Hanneles Himmelfahrt’’ aufzuführen, die derzeit im Volkstheater zu sehen ist. Sind die Zuwege zum poetischen Theater in uns verschüttet? Nun, hier ersteht mitten im naturalistisch dargebotenen Gestreite der Bewohner eines Armenhauses das Sterben des armen Hanneles, das man aus dem Dorfteioh gerettet hart, in den es vor den Mißhandlungen seines Vaters flüchtet. Dieses Sterben ist ganz religiöse Verklärung nach all den übers’tandenen Peinigungen, wird umstrahlt von himmlischem Glanz. Das sind Seelenbereiche, in die sich heute so manche kaum einzufühlen vermögen.

Eben deshalb reduziert Regisseur Gustav Manker diese Traumdichtung, das Märchenhafte auf das Geschehen im Armenhaus. Der gläserne Sarg wird nicht gebracht, Hannele wird nicht wie eine Prinzessin mit kostbarem Brautkleid, Schleier und Kranz angetan, der Fremde trägt auch kein weißgoldenes Gewand. Die Engel sind Lichtprojektionen von vager Form im hohen transparenten Dadh des Armenhauses. Gefahren werden damit geschickt umgangen. Susanne Granzer glaubt man die Verzücktheit Hanneles nicht recht, Peter Wolsdorff ist ein schlichter Lehrer Gottwald, Maria Urban eine ebenso sohlichte Schwester Martha, Hanneles Vater gibt Aladar Kunrad die erforderliche Brutalität. Kahle Wände kennzeichnen das von Georg Schmid entworfene Bühnenbild, das Armenhaus. Die visionären

Szenen waren, sehr passend und diskret, mit Musik aus Debussys „Trois Nocturnes”, und zwar aus „Sirėnes” und „Fėtes” untermalt.

Im Anschluß an diese Traumdichtung wird der vor fünfzehn Jahren entstandene Einakter „Die Leut” von Harald Sommer gespielt, eine dialogische Skizze, in der eine Mutter ihrer um vier Uhr morgens heim kehrenden Tochter, einem Schlampen, Vorhaltungen macht. Vor allem wegen „die Leut”. Bei psychologisch trefflicher Durchführung dieses Keiferei zeigt sich das Verschulden der Mutter: dauernde Nachgiebigkeit statt Erziehung. Vorzügliches Spiel unter der Regie von Erich Margo von Ingold Platzer als Mutter, Elisabeth Masele als Tochter.

Stücke, die einigen szenischen Aufwand erfordern auf kleinen Spielflächen jener Säle der Wiener Außenbezirke vorzuführen, in denen das Volkstheater mit einem Teil seines Ensembles gastiert, ist ebenfalls ein Wagnis. Dennoch gelingt dies derzeit mit dem Märchen „Der Alpenkönig und der Menschenfeind” von Ferdinand Raimund. Heinz Geretsberger schließt die Szene als Bühnenbild mit einfarbigen Wänden ab und führt lediglich an der Rückwand die abstrahierte Form eines Berggipfels vor. Die steigende Wasserflut wird durch eine Plane dargestellt, die zwei Darstellerinnen lebhaft bewegen, das Darbieten des Wolkenwagens unterbleibt.

Die Wirkung geht damit unter der Regie von Gemot H. Friedei vom Schauspielerischen aus. Herbert Propst macht als Rappelkopf trotz sanguinischem Aussehen das exal- tierend Menschenfeindliche glaubhaft. Heinz Petters wirkt als Ha- bakuk überaus drollig, wenn er ganz verstört ist, nicht mehr sagen zu dürfen, daß er zwei Jahre in Paris war. Unter den übrigen Mitwirkenden fällt Edith Molik als Kammermädchen Lieschen durch echte Frische und Munterkeit auf. Norbert Pawlicki richtete Wenzel Müllers Musik für Pianino, Flöte, Baßgeige und Schlagzeug ein.

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