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Votum gegen die allgemeine Wehrpflicht

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Liegt die mangelnde Attraktivität des Wehrdienstes bloß an der Unbequemlichkeit des Soldaten-Alltags, oder verstecken sich dahinter gesellschaftliche Trends?

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Liegt die mangelnde Attraktivität des Wehrdienstes bloß an der Unbequemlichkeit des Soldaten-Alltags, oder verstecken sich dahinter gesellschaftliche Trends?

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Zum dritten Mal innerhalb von nur fünf Jahren steht das Zivildienstgesetz zur Novellierung an. Wurde die Diskussion früher um das Scheinargument „Belastungsausgleich von Wehr- und Präsenzdienern" geführt, nennt die gegenwärtige Debatte die Fragestellung beim Namen: wie kann man den Zugang zum Wehrersatzdienst so gestalten, daß nicht zu viele junge Männer sich für den Zivildienst entscheiden und dem Bundesheer genügend Soldaten zur Verfügung stehen?

Die rasant steigende Anzahl der Wehrdienstverweigerer in den letzten beiden Jahren, in manchen Bundesländern schon über 50 Prozent der Wehrpflichtigen, macht aber abseits der Fragestellungen von Rahmenbedingungen für Wehr- und Zivildiener eines deutlich: die jungen Männer stimmen mit dem Zivildienstantrag über den gesellschaftlichen Grundkonsens ab, der in der Bundesverfassung als „Allgemeine Wehrpflicht" verankert ist.

ULV-Beauftragte in den Schulen und sündteure Werbekampagnen des Heeres konnten die Erosion des „Wehrwillens" nicht aufhalten, teils aus bundesheer-hausgemachten Gründen, wie zahlreiche Motivationsstudien über abrüstende Soldaten zeigen, teils - und das halte ich für die tiefgreifendere Begründung - wegen gesellschaftlicher und geopolitischer Entwicklungen der letzten Jahre, die die österreichische Sicherheitspolitik in eine tiefe Identitätskrise gestürzt haben:

□ Die Entwicklung der osteuropäischen Nachbarstaaten lassen den „Verteidigungsfall" in absehbarer Zukunft höchst unwahrscheinlich erscheinen. Grenzzwischenfälle und Katastrophenhilfe geben keine ausreichende Begründung für die militärische Rekrutierung aller männlichen

österreichischen Staatsbürger mehr ab. □ Zudem entwickelt sich zunehmend das Bewußtsein, daß Krieg kein Mittel der Politik mehr sein darf. Internationale Politik und Institutionen wie UNO und KSZE betonen die eindeutige Priorität nichtmilitärischer Konfliktlösungsstrategien. Aufgrund dieser positiven Entwicklungen darf man sich nicht wundern, daß die militärische Rekrutierungsbereitschaft sinkt. Im Entwicklungsprozeß hin zu einer zivileren Gesellschaft müßte man darüber eigentlich froh sein.

Der allgemeinen Wehrpflicht geht daher aufgrund des Abhandenkommens realer Bedrohungsszenarien zunehmend die gesellschaftliche Legitimation verloren. Der Zwangsverfügung des Staates,über seine (männlichen) Bürger wird mangels Einsicht in die Notwendigkeit und individuelle Sinnhaftigkeit zunehmend der Gehorsam verweigert. Der gesellschaftliche Individualisierungsschub der letzten Jahrzehnte hat bewirkt, daß die Jugendlichen selbst entscheiden möchten, wie sie ihr Leben planen. Staatliche Zwangsbestimmungen werden kritischer auf ihre Berechtigung und Sinnhaftigkeit geprüft.

Militärische Planer haben „Mann"-Bedarf von 120.000 Mobilmachungsstärke und 34.000 Präsenzdienern pro Jahr angemeldet, ohne aber die Berechnungsgrundlagen und deren zugrundeliegende „Aufgabenstellungen" präzise zu nennen. Quasi als Axiome zirkulieren diese Zahlen für die immer breitere und heftiger geführte Diskussion um die Verlängerung des Zivildienstes.

So sehr ich in gesellschaftlichen Prozessen die tiefste Ursache für die immer größere B ereitschaft zur Wehrdienstverweigerung sehe, so wenig möchte ich aber die bundesheerhaus-gemachten Faktoren übersehen: Kasernierung, Zapfenstreich, unverantwortlich geringes Taggeld, mangelnde pädagogische Qualifikation der Ausbildner, ein systembedingt „demokratiedünner Raum", um nur einige zu nennen. Es ist aber der falsche

Weg und ein Irrglaube, zu meinen, durch einen unattraktiveren Zivildienst die Wehrbereitschaft wieder heben ;tu können. Schärfere Sanktionierung der Verweigerung des Wehrdienste s schafft garantiert keine größere Le gitimation und Motivation, und erweisi; sich so als falsches Mittel fürs falsche Ziel!

Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht würde damit die Umstellung des Rekrutierungssystems auf freiwillige Meldung und damit zu einem Berufsheer zur Folge haben, wogegen vor allem demokratiepolitische Argumente ins Treffen geführt werden. Die Geschichte zeigt aber, daß Wehrpflichtarmeen keineswegs

höhere „Immunisierung" gegen innenpolitische Instrumentierung aufweisen als Berufsarmeen. Geschichtlich betrachtet war die allgemeine Wehrpflicht ein Rekrutierungsinstrument für die Massenheere der beiden Weltkriege, für Eroberungskriege oder für innenpolitische Einsätze, die demokratische Volksbewegungen brutal unterdrücken halfen (ehemalige UdSSR, China 1989, CSSR 1968 et cetera).'

Die eigentliche demokratiepolitische Problemstellung ist somit nicht das Rekrutierungsinstrument, sondern die Kontrolle und Verhinderung der innenpolitischen Instrumentierbarkeit des Militärapparates - und das ist Sache der verantwortlichen Politiker.

Die Gefahr, daß sich zu einem Berufsheer vor allem Waffenfanati-' ker,Möchtegern-Rambos und Rechtsextremisten melden würden, halte ich für kontrollierbar: gerade bei freiwilliger Meldung lassen sich Selektionsmechanismen einbauen.

Es spricht also vieles für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Ich sehe nur in der leichteren Einsetzbarkeit von Profi-Einheiten für internationalen Aufgaben ein zentrales Problem, dessen Lösung aber wiederum eine politische und nicht eine militärische Aufgabe ist. Probleme sehe ich nicht bei „normalen" UNO-Friedenseinsätzen, sondern in den zunehmend geforderten „Weltpoli-zei"-Aktionen.

Wenn, wie etwa in der Neudefinition der Aufgaben der deutschen Bundeswehr zu lesen ist, daß die deutschen Sicherheitsinteressen „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und den ungehinderten Zugang zu Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung" verlangen, muß verhindert werden, daß österreichische Einheiten an solchen als „Internationale Polizeiaktionen" getarnten Neo-kolonialkriegen teilnehmen.

Der Autor ist Vorsitzender des Österreichischen Bundesjugendringes und Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Jugend Österreichs.

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