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Vranitzkys verschmähte Optionen

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Nun, da Thomas Klestil als überraschend eindeutiger Wahlsieger mit einem nicht für möglich gehaltenen Vorsprung feststeht, gilt es, an das zu erinnern, was Nationalratspräsident Heinz Fischer in der TV-Pressestunde vor dem zweiten Wahlgang feststellte: daß es sich um zwei würdige Kandidaten handelte und der siegreich Gebliebene am 8. Juli in der Bundesversammlung angelobt werden wird.

Was auch im umgekehrten Fall gegolten hätte, gilt auch in dem tatsächlich eingetretenen: Der Souverän hat gesprochen. Das Volk, das gesprochen hat, stellt eine Instanz dar, die inappellabel ist, deren Entscheidung aber einer Kommentierung und Deutung sehr wohl zugänglich, ja bedürftig ist.

Die Sozialdemokratische Partei und •ihr Vorsitzender, Bundeskanzler Franz Vranitzky, für die das Ergebnis der Bundespräsidenten wahl 1992 eine schwere Niederlage bedeutet, können die Sache freilich nicht so objektiv und gelassen betrachten wie der berufsmäßig interessierte Zeitgenosse oder der teilnehmende Beobachter. Sie müssen sich die Frage stellen -beziehungsweise gefallen lassen-ob diese Niederlage nicht vermeidbar war, ob es nicht auch andere, partei-wie staatspolitisch günstigere Lösungen gegeben hätte.

Da Politiker im allgemeinen und im besonderen dazu neigen, alles was geschehen ist, als die einzige Möglichkeit oder ein fatales Pech, dem man sich nicht entziehen konnte, hinzustellen, ist es gerade im vorliegenden Fall notwendig, die Optionen, die Vranitzky nicht ernstlich verfolgt oder voreilig ad acta gelegt hat, zu rekonstruieren und als unverwirklicht gebliebene, deswegen aber nicht unrealistische Alternativen dem tatsächlich eingetretenen Ergebnis gegen-' überzustellen.

□ Vranitzky hätte die Möglichkeit gehabt, wie ich an dieser Stelle wiederholt vorgeschlagen habe und wie es auch von manchen anderen Seiten ventiliert wurde, einen gemeinsamen Kandidaten mit der Ö VP aufzustellen und so nicht nur eine Niederlage abzuwenden, sondern auch eine flankierende Maßnahme für die große Koalition zu setzen. Es hätten sich außer Hugo Portisch sicher andere Persönlichkeiten gefunden, wenn man ernstlich gewollt und gesucht hätte, nicht zuletzt Klestil selbst.

Der Fehler: das Parteidenken

□ Eine weitere Möglichkeit hätte darin bestanden, von seiten der SPÖ zwar nicht auf das Vorschlagsrecht für einen eigenen Kandidaten zu verzichten, aber, wie es Bruno Kreisky 1974 getan hat, eine parteiunabhängige, soziale und liberale Persönlichkeit vom Zuschnitt eines Rudolf Kirchschläger zu nominieren. Die Größe und das Format, das Kreisky mit dieser Entscheidung bewies, wurde von den Wählern honoriert und wäre auch diesmal honoriert worden. Vranitzjcy hat damit, daß er sich nicht zu dieser Entscheidung durchringen konnte, demonstriert, daß er trotz aller Lernprozesse seiner Person und seiner Partei nicht über den parteipolitischen Schatten zu springen und das Parteidenken nicht abzulegen vermag. □ Wenn Vranitzky aber schon der Meinung war, das Amt des BundesPräsidenten müsse von der SPÖ rückerobert werden, so hätte er allen persönlichen Bedenken zum Trotz selbst kandidieren und in die Bresche springen müssen. Vranitzky wäre der einzige Nadelstreifsozialist gewesen, den die Bevölkerung, wahrscheinlich schon im ersten Wahlgang, in das höchste Amt gewählt hätte. So aber wiederholte Franz Vranitzky den historischen Fehler Julius Raabs, nicht am Zenit des politischen Einflusses nach dem Staatsvertrag 1957 zu kandidieren, sondern einen Ersatzmann vorzuschieben, mit dessen Scheitern - und hier könnte sich die historische Parallele in bezug auf Vranitzky fortsetzen - er seinen eigenen politischen Abstieg einleitete.

Streicher als „Steyrer II"

Vranitzky aber hielt all dies nicht für notwendig und wählte eine vierte Möglichkeit, die aber für den angestrebten Zweck nicht gut genug war. Er setzte sich trotz der Erfahrungen mit der Bundespräsidentenwahl 1986, die Kurt Steyrer auch ohne Anti-Waldheim-Kampagne nicht gewonnen hätte, für einen Kandidaten ein, der in vieler Hinsicht als „Steyrer II" bezeichnet werden kann. Streicher war wie Kurt Steyrer ein erfolgreicher Ressortchef, wie dieser ein „gestandener Sozialist", wie dieser aus der Kirche ausgetreten und noch dazu Freimaurer. Außerdem erschien Streicher vielen Wählern als Exponent der „neuen Klasse", der mit Hannes Androsch, mit dem er sich vor der Annahme der Kandidatur in dessen Villa beriet, einige Eigenschaften gemeinsam hat, zwar nicht die Anrüchigkeit, aber auch nicht die Brillanz.

Alles in allem bot Streicher ein Erscheinungsbild, das trotz ermutigender, im Effekt aber irreführender ursprünglicher Umfrageergebnisse bei der kritischen Wählerschaft von heute nicht ohne weiteres mehrheitsfähig ist. Wieder einmal sollte sich die Wählerschaft nach den Vorstellungen und dem Geschmack der SPÖ richten statt umgekehrt. Jedenfalls gelang es Rudolf Streicher nicht, den Eindruck eines Werkzeuges der SPÖ zu zerstreuen, während sich Thomas Klestil geschickt und glaubwürdig von der ÖVP, die nicht gerade hoch im Kurs steht, freizuspielen und als eigenständige Persönlichkeit zu profilieren verstand.

Und so kam es denn, wie es unter diesen Umständen kommen mußte. Aus einer für nur vorübergehend gehaltenen Unterbrechung der Serie sozialdemokratischer Bundespräsidenten ist eine weitere längere Unterbrechung geworden, die zu einer Dauerunterbrechung werden könnte, wenn es dem nicht-sozialistischen Österreich auch in Zukunft gelingen sollte, so attraktive Persönlichkeiten wie Thomas Klestil zu präsentieren, dessen Wahl ein demokratiepolitischer Fortschritt, allerdings auf Kosten der SPÖ, ist. Aber so kann es eben einer politischen Partei ergehen, die sich auf Gewohnheitsrechte verläßt und deren Exponenten alles gleichzeitig haben wollen, ohne auf etwas verzichten zu können.

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