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Wache halten für die Werte!

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Eine bemerkenswerte Predigt hielt der Innsbrucker Diöze-sanbischof Reinhold Stecher jüngst auf dem Bundestag der Österreichischen Offizier’sgesellschaft in Innsbruck.

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Eine bemerkenswerte Predigt hielt der Innsbrucker Diöze-sanbischof Reinhold Stecher jüngst auf dem Bundestag der Österreichischen Offizier’sgesellschaft in Innsbruck.

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Zu dieser Stunde der Besinnung an Ihrem Bimdestag drängt sich mir ein Bild aiif, das Ihnen aus der Welt des Soldaten vertraut ist, und das auch immer wieder in den Texten des Gotteswortes auftaucht: Es ist das Bild von der Wache.

Sie gehört zum soldatischen Alltag. Sie hat immer den Charakter besonderer Verbindlichkeit imd Strenge. Im Emstfall, auf den vorgeschobenen Horchposten, vorab in den langen Wintemächten, war’s immer die Stimde größter Anspannung imd Verantwortung, der Dienst, an dem das Überleben hing.

Und so zieht das Bild des Wächters dmrch die ganze Heüige Schrift, immer wieder als Symbol des Menschen, der sich verantwortlich weiß, der Gefahren sehen muß, der es sich versagt, in dieser Welt den Schläfer und den Träumer zu spielen, der für die anderen steht, für die Allgemeinheit, der Geist imd Sinn für das schärft, was andere nicht beachten, der um die schleichende Bedrohung weiß. Es ist das Bild des Menschen mit dem wachen Gewissen in der Gesellschaft. Ja wir erleben immer wieder die Nacht, die Verdunkelung des Guten und der Werte.

Und so dringt der Ruf des Propheten Isaias auch zu uns Heutigen: "Wächter, wie lange noch dauert die Nacht, Wächter, wie lange noch dauert die Nacht…?" (Jes 21,11)

Danun erlaube ich mir, Sie als Offiziere des ÖsterreichischenBun-desheeres als Wachhabende für die tragenden und bleibenden Werte in der Gesellschaft anzusprechen. Und damit, daß ich das tun darf, ist ja allein schon gesagt, wie positiv sich das Büd des Soldaten geändert hat.

An viele Ihrer Standesvorläufer hätte ich mich mit diesem Ansinnen nicht zu wenden gewagt: Nicht an diePrätorianer-Centurionen, die die römischen Palastintrigen organisiert haben, nicht an die Führer der christlichen Heere, die mit dem Kreuz auf dem Schild Südspaniens muslimische Kultur in einem Blutbad untergehen ließen, nicht an die Haudegen im Dienste einer Dynastie, nicht an die Landsknechtfüh-rer im Solde irgendeines Fürsten, nicht an die Verfechter eines nationalen Größenwahns oder die uniformierten Exponenten eines oberflächlichen und verhängnisvollen Hurrapatriotismus.

Wohl aber an die Offiziere des Österreichischen Bundesheeres. Da Sie der Magie des Schwertes, des Ruhms und der Aggression nicht erliegen, darf ich Sie in einen weiteren und würdigeren Horizont rufen, darf ich Sie als Wächter der Werte ansprechen.

Welche sind nun die bedrohten Werte unserer Gesellschaft, für die sich die Wachsamkeit lohnt? Ich darf einen raschen Streifzug durch im-sere Heimat machen und da und dort stehen bleiben, wo Werte mit festen Anlagen geschützt werden müßten und erhöhte Wachsamkeit erforderlich ist.

1. Die Wahrung des Friedens. Ich weiß diesen Wert in Ihrem Denken besonders beheimatet. In Österreichs Offiziersschulen werden keine Falken gezüchtet, die abends mit aggressiven Träumen schlafen gehen. Ich weiß, daß in Ihren Vorstellungen die Waffe das letzte, das allerletzte ist, und daß auf den Waffen und der Munition des Österreichischen Bundesheeres unsichtbar die Widmung steht: "Hoffentlich nie!"

Aber die Wahrung des Friedens ist ja eine Aufgabe, die im Vorfeld unzählige menschliche Bereiche erfaßt, von der Art des Umgehens miteinander, von der Denkweise und der Sprache über den anderen angefangen, über die Formen von Autoritätsausübung und die ständig realisierte Gerechtigkeit im kleinen Raum, bis zur Durchdringung der Gesellschaft und des Alltags mit Fairness und Menschlichkeit. Friede als Grundstrom des Lebens, als "way of life", ist nicht mit großen Parolen und forschen Befehlen herzustellen, sondern nur mit einem täglich neu versuchten Zueinander im Sinn des groß ten aUer Gebote.

2. Die Würde des Lehens Wer in dieser Hinsicht erst nach Lainz die Wache angetreten hat, ist spät dran, zu spät. Die schleichende Bedrohung des Lebens geht schon lange um. Die Beseitigung des lästigen Lebens in seinen hilflosen Phasen ist in Österreich durchaus gesellschaftsfähig geworden. Manche besonders eifrige und empörte Akteure auf den Femsehschirmen der letzten Wochensind personidentisch mit jenen, die auf denselben Femsehschirmen die Tötung Ungeborener als besonderes Zeichen von Aufgeklärtheit und Liberalität gefeiert haben. Sie haben eben nicht verstanden, was es heißt, auf Wache zu stehen und den schleichenden Feind zu entdecken, der in den Maschenzaun des Ethos die Löcher schneidet.

Und so hat man bei so mancher Debatte durchaus verständnisvoll genickt, wie da von der "Erlösung" der armen, alten Menschen gesprochen wurde - als ob ein akademischer Titel je das Recht geben könnte, über Leben und Tod zu entscheiden. So mancher von denen, die sich für die Weisen der Nation hielten, waren hier nicht auf dem Posten, und sie haben nicht verstanden, daß die Würde des Lebens unteilbar ist, und daß man sie nicht stückweise austricksen kaim.

Sie, als Offiziere, wissen um das Leben. Es ist Ihnen sehr oft in Ihren Soldaten in einem nicht ungefährlichen Beruf anvertraut. Stehen Sie bitte auch in der Gesellschaft auf der Wache für die Würde des Lebens! 3. Das Verstehen der Schwachen Dieser Wert entscheidet grundlegend über die Lebensqualität eines Gemeinwesens. Unter allen SoldatenheiUgen ragt einer hervor Der Offizier mit dem geteilten Mantel - Martin von Tours. Sein Wirken und diese Symbolgeste hat diesen römischen Bataillonskom-mandeur für Jahrhunderte unvorstellbaren Leids zur Leitfigur gemacht.

Als Offiziere sind Sie auch heute mit sozialen Problemen konfrontiert. Sie haben Einrückende aus allen Schichten vor sich, und damit auch alle nur möglichen Belastungen und Probleme. Und ich weiß, daß soziale Aktivitäten zum Alltag des Österreichischen Bundesheeres gehören, von der Edelweißaktionbis zur Hilfe in Nazareth, und ich bin Ihnen dafür dankbar.

Aber das Verstehen des Schwachen fordert ein Wachsamsein, einen Horchpostendienst, ein Hinunterhorchen in die menschlichen Situationen und die menschliche Seele, ein Offensein für die leisen Signale der verborgenen Not. Die Wohlstandswelt verstopft mit ihrer Watte, in die sie uns bettet, nur zu leicht auch die Ohren für dieses soziale Hören, stört die Sensibilität. Darum braucht es Wachsamkeit für diesen Wert: Es geht um den Menschen, und hinter dem Menschen steht Gott, der sich mit dem Menschen identifiziert.

4. Die Wachsamkeit für den Rechtsstaat

Nach der christlichen Soziallehre hat der Staat, der die Bezeichnung "Staat" verdient, drei Aufgaben: Er muß Sozialstaat, Kulturstaat und Rechtsstaat sein. Das Letzte ist das Fundamentalste. Es ist kein Zufall, daß für die ganze Heilige Schrift der gerechte Richter die wichtigste Funktion des Königs und des Staatsmanns darstellt.

Vielleicht sage ich das auch deshalb so akzentuiert, weil ich selbst noch zu jener Generation gehöre, die den Zusammenbmch des Rechtsstaates erlebt hat und dafür in die Gefängnisse der Gestapo ging. Vielleicht sage ich das auch deshalb so akzentuiert, weil sich einerseits überall in Europa wieder Fäuste ballen und die großen Sprüche von "Aufräumen" und "Ordnungmachen" über Biertische hallen und auf der anderen Seite Politmörder als Menschen besserer Qualität eingestuft werden.

Als man neulich einige der Überlebenden des 2 0. Juli interviewt hat, was sie eigentlich gewollt hätten,

"Aber eines sollte mit ihr eigentlich nicht im Staub versinken"

und welche politischen Strukturen ümen vorgeschwebt seien, da haben sie gesagt: Wir wollten nur eines -alles andere war zweitrangig - wir wollten an die Stelle des Unrechtstaates, der organisierten Willkür, einen Rechtsstaat setzen.

Dafür sind sie gestorben, die Feld-marschäUe und die Obersten, und sie waren keineswegs Verräter, sondern sind für einen fundamentalen Wert gestorben. Heute ist er selbstverständlich. Und trotzdem erfolgen immer wieder verdeckte Angriffe auf den Rechtsstaat. Und darum braucht imsere Gesellschaft in dieser Hinsicht Wachhabende.

Wenn jetzt die alte Klosterkaserne in Innsbmck abgerissen wird, muß ihr niemand eine Träne nachweinen. Schön war sie nie. Aber eines sollte mit ihr eigentlich nicht im Staub versinken. Auf einer Seite des Baus steht hoch droben am Giebel, sicher von den meisten unbeachtet und unverstanden: Recta tuen! Das Recht schützen!

Die Wachheit für den Rechtsstaat, dieses beste altösterreichische Erbe, sollten Sie herüberretten und in die Zukunft tragen.

Zu diesem Wachdienst für die fundamentalen Werte, verehrte Angehörige des Offiziersstandes, wollte ich Sie aufrufen, zum Wachdienst für die bleibenden Werte in imserer Gesellschaft: Für die Wahrung des Friedens, die Würde des Lebens, den Sinn für die Schwachen und die Bewahrung des Rechtsstaates.

Ich habe mit einem Wort des Propheten Isaias, das eine Frage war, begonnen, mit einem Wort, das in eine dvmkel werdende Welt hineinhallt: "Wächter, wie lange noch dauert die Nacht?"

Ich darf mit einem anderen Wort des Propheten Isaias schließen, das wie eine Antwort auf die genaimte Frage klingt, und das ihren ganzen guten Willen zusammenfassen könnte: "Herr, den ganzen Tag steh ich auf meinem Posten, die ganze Nacht halte ich Wache…" (Jes 21,8)

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