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Wachsende „Leopardenflecke“
„Hanois Grundkonzept hat sich nicht verändert; man will — ungeachtet des Pariser Abkommens — Südvietnam mit Waffengewalt erobern. Die letzten, von uns aufgegriffenen Dokumente bestätigen es. Die Kommunisten werden sich bald in Bewegung setzen. Derzeit studieren sie die strategische Lage. Vielleicht werden sie versuchen, im Süden eine neue Hauptstadt zu gründen. Es wird einen Überraschungsangriff geben, den sie psychologisch ausbeuten wollen.“ Dies die Auffassung des Generals Tran Van Trung, des Organisators des „Palwar“ (Psy-1 chologic Warfare) in Südvietnam. „Sie werden plötzlich angreifen und, wie immer, drei Faktoren kombinieren: militärischen mit politischem Druck und subversiven Handlungen.“
Wir sprachen mit General Trung in 1 seinem Saigoner Hauptquartier. Ob es nicht möglich sei, fragten wir, daß die nordvietnamesischen Truppen von ihren Basen in Laos und Kambodscha aus in Pleiku und Kontum angreifen könnten, um Südvietnam entzweizuschneiden? „Es ist möglich“, sagte General Trung, „und eben deshalb sind wir wachsam. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß ihr Endziel Saigon ist.“
Wir hatten auch Gelegenheit, mit dem Generalbevollmächtigten für Information, Hoan Duc Nha, zu sprechen, der augenblicklich der einflußreichste Mann in Südvietnam sein dürfte, dem Präsidenten Nguyen Van Thieu sehr nahe stehend, eine Art von vietnamesischem Kissinger. Er ist überraschend jung für diese Position. Auch er meint, daß „sie den Zeitpunkt wählen und überraschend angreifen werden. Ich glaube nicht an eine Generaloffensive, sondern ' eher an einen strategischen Schlag“. Nach Nhas Meinung wird der Krieg als Guerilla fortgesetzt werden. Ein Jahr nach dem Pariser Abkommen und nach 50.000 Toten sind Hanois Streitkräfte heute wieder auf den Angriff vorbereitet. Sie versuchen ihre Positionen zu konsolidieren. Südvietnam erwartet unterdes-i sen wirtschaftliche Hilfe von den i Vereinigten Staaten, von der Bundesrepublik, von Japan und anderen. Die Armee unterstützt uneinge-l schränkt Präsident Thieu und das
• Volk sympathisiert mit ihm. i Kenner der Lage glauben, daß we-: der Moskau noch Peking derzeit i eine Großoffensive in Südvietnam
• gutheißen würden. Nha glaubt hin• gegen, daß das Politbüro in Hanoi auch ohne die Zustimmung Moskaus oder Pekings eine Offensive beschließen könnte. In Hanoi besteht allerdings ein starker russischer Einfluß, der den Chinesen deshalb so gar nicht gefällt, weil Nordvietnam ein Glied der russischen Einkreisungskette werden könnte. Um so mehr ist Peking bemüht, mehr Einfluß auf die Vietkong-Kader im Süden zu gewinnen.
Derzeit liegen 400.000 nordvietnamesische Soldaten in Südvietnam, sie kontrollieren jedoch nur Dschungelgebiete nahe der laotischen und der kambodschanischen Grenze. Unter ihrer Kontrolle befinden sich weniger als 3 Prozent der Bevölkerung. Die Vietkongs sind nicht stärker als 40.000 Soldaten, inklusive die weiblichen.
Seit 1963 desertierten 220.000 Vietkongs und Nordvietnamesen. Es handelte sich meistens allerdings um Südvietnamesen, die niemals Kommunisten gewesen, sondern aus dem vom Vietkong kontrollierten Gebiet rekrutiert worden waren.
„Manche schlössen sich unserer Armee an und bildeten eine Freiwilligenkompanie, die bei Quang Tri mit außerordentlicher Tapferkeit kämpfte und dafür ausgezeichnet wurde“, erklärte dazu Minister Cham.
Nordvietnamesen, die an ihren Heimatdörfern hängen, desertieren nur in kleinerer Zahl, weil sie befürchten, daß ihre zu Hause gebliebenen Familienangehörigen Repressalien ausgesetzt werden könnten. Sie wissen aber, daß in den Jahren 1954 und 1955 700.000 Nordvietnamesen übergelaufen sind und daß sich jetzt zwei Millionen Menschen aus
General Phan Hoa Hiep ist Verbindungsoffizier der südvietnamesischen Armee bei der ICCS (International Commission for Control and Supervislon), die mit dem Pariser Abkommen ins Leben gerufen wurde. Wir sprachen mit dem General in seinem Hauptquartier unweit vom Flugplatz Saigon. Er informierte uns über die Schwierigkeiten des Kriegsgefangenenaustausches und berichtete, daß die Nordvietnamesen eine strategische Straße vom Norden her bauen, entlang der laotischen und kambodschanischen Grenze, aber auf südvietnamesischem Territorium. An diesem Bau arbeiten 12.000 Menschen,, wahrscheinlich auch Kriegsgefangene.
Hanoi unterschrieb das Pariser Abkommen vor einem Jahr, weil es infolge der amerikanischen Luftangriffe geschwächt war. Es brauchte eine Atempause, um seine Truppen zu reorganisieren. Diese kontrollieren den Ho-Chi-Minh-Pfad in Laos und Kambodscha und bauen eine neue Aufmarschstraße nach Südvietnam hinein, um die Verbindung mit dem Norden herzustellen und um die „Flecken des Leopards“ miteinander zu verbinden. Es geht um einen Stützpunkt im Süden, unweit der kambodschanischen und laotischen Grenze. Später könnten sie dann mit dem Ziel angreifen, den Brückenkopf zu erweitern, was seine psychologische Wirkung auf die ganze Welt nicht verfehlen dürfte. Im Süden soll dann eine dritte Hauptstadt entstehen, mit starker Anziehungskraft auf die nördlichen Teile Südvietnams. Nach Ansicht des Generals Tran Van Trung ist das Endziel schließlich die Eroberung des Mekong-Deltas und Saigons.
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