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Wachsender Druck auf die Militärs

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Nach Demonstrationen und Streiks wankt die Position der chilenischen Militärs. Argentiniens Offiziere wiederum sind bereits zum einigermaßen geordneten Rückzug von ęier Macht angetreten.

Das Desaster der chilenischen Wirtschaft, das sich seit dem Privatbankenkrach im August 1981 beschleunigte, entkleidete Staatschef General Augusto Pinochet der Legitimität der hohen Wachstumsraten zwischen 1977 und 1980. Zwar könnte der General nach der neuen Verfassung, obschon seit 1973 im Amt, zumindest bis 1989 regieren — aber seit den

Streiks und Demonstrationen im Mai und Juni ist alles offen. Pinochet rief dieser Tage unter dem Druck der Unzufriedenheit nach einer sein Regime unterstützenden militärisch/zivilen Bewegung.

Aber während der Staatschef die Leute für diese parteienähnliche Bewegung zusammentrommelt, hat die nichtmarxistische Opposition um die Kerngruppen „Proden“ (eine spanische Abkürzung für „Nationales Entwicklungsprojekt“) den stärkeren Wind in den Segeln. Dies, obwohl der Kopf der Menschenrechtsverteidigung, der tapfere Kardinal Silva Henriquez, jetzt aus Alters-

gründen zurückgetreten ist.

Aufmüpfig sind seit den Maidemonstrationen auch die Gewerkschaften, die 1973 unter Ausschluß der marxistisch-kommunistischen Elemente nach ständestaatlichem Muster neu organisiert worden sind. Die wichtige, vom Regime aus wirtschaftlichen Gründen eher gehätschelte Gewerkschaft der Arbeiter im Kupferbergbau erweist sich jetzt als hartnäckiger Störfaktor für Pino-’ chet.

Ihr 29jähriger Führer Rodolfo Seguel, dessen Festnahme im Juni zu neuerlichen Ausständen — und zwar nicht nur im Bergbau - führte, profilierte sich in den vergangenen Wochen als Politiker.

Während in Chile das Militär verunsichert ist, steht in Argentinien der Zeitplan für ihr Abtreten bereits fest: gewählt wird Ende

Oktober, Anfang 1984 soll ein verfassungsgemäßer Präsident die Amtsgeschäfte übernehmen. Ob die Offiziere dann, wie sie es wünschen, sang- und klanglos den Rückzug in die Kasernen schaffen, mag dahin gestellt bleiben.

Es ist nicht gewiß, ob die seit 1976 suspendierten Parteipolitiker den aufgehäuften Dreck des Militärregimes unter den Teppich kehren werden. Der heimliche Bürgerkrieg, in dem die Uniformierten in den späten siebziger Jahren politische Gegner zu Tausenden verschwinden ließen, kann kaum mit der lakonischen Toterklärung der „desapareci- dos“, die heuer im Mai durch die Offiziere erfolgt ist, annulliert werden.

Antworten dazu werden erst nach den Wahlen fallen. Erst einmal müssen die Wahlgesetze und die Wahlregister neu erarbeitet werden.

Jetzt blühen in Argentinien auch in Dutzenden von Gruppierungen die Parteien auf. Im traditionellen Lager liegt Raul Alfon- sin von der „Union Civica Radical“, einer bürgerlichen Mitte- und Linksbewegung deutlich an der Spitze. Aber einmal mehr muß die Rechnung mit den Pero- nisten gemacht werden, die — wenn auch arg zersplittert — taufrisch aus der Asche der verbrannten Jahre nach 1976 auftauchen. Als ihr Kompromißkandidat gilt der ehemalige interimistische Staatschef Italo Luder.

Was hat den politisch starken Offizieren in den beiden Nachbarländern in so kurzer Zeit das Rückgrat gebrochen? Es war in beiden Ländern nicht der bestehende demokratische Wider stand, sondern die Wirtschaftspolitik.

In beiden Fällen hatte man geglaubt, durch Delegierung der Wirtschaftsführung an unpolitische, weitgehend in den Vereinigten Staaten ausgebildete und dem Monetarismus der Chicago-Schule verpflichtete Technokraten den Wiederaufbau der wirtschaftlich und politisch verwüsteten Landschaften bewältigen zu können.

In Chile, wo das Modell puristisch durchgezogen wurde, gab es trotz hoher, ja horrender sozialer Kosten zunächst gesamtwirtschaftliche Erfolge (zwischen 1977 und 1980 stieg das Bruttonationalprodukt jedes Jahr um sieben oder acht Prozent). Der stagnierende Weltmarkt, die überhohen Zinsenbelastungen und der Ausfall des Staates als wirtschaftliches Korrektiv leiteten dann die Katastrophe ein (1982 schrumpfte das Bruttonationalprodukt um 14 Prozent!).

In Argentinien verhinderte der militärische Besitzanteil an den Schlüsselindustrien die kompromißlose Anwendung des Modells, aber was zwischen 1976 und 1980 an monetaristischen Maßnahmen durchging, schwächte vor allem die nationalen Unternehmen (20 Prozent Rückgang beim Industrieausstoß sprechen für sich).

Der Südatlantikkonflikt — schließlich kann man ohne Staat keinen Krieg führen - zeigte die Sackgasse, so daß man jetzt (soweit es die internationalen Banken, bei denen auch Argentinien kräftig verschuldet ist, zulassen) zur zollgeschützten Nationalindustrie und der binnenwirtschaftlichen Entwicklung mit Staatsintervention zurückkehrt. In Chile muß die Wirtschaftsdiskussion völlig neu begonnen werden.

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