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Wachstum bis in alle Ewigkeit?

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FURCHE: Wie sehen Sie die Perspektiven der Energieversorgung international und im Hinblick auf Österreich für die nächsten Jahre?

STARIBACHER: Wir haben uns im Handelsministerium nicht nur angestrengt, sondern können auch heute schon sagen, daß es uns geglückt ist, daß wir 1980 tatsächlich unsere Energieversorgung als gedeckt betrachten können. Wir haben auch in einem Ausmaß, wie es bis jetzt noch nie der Fall gewesen ist, alles darangesetzt, die inländischen Ressourcen zu nützen, wir haben unsere Wasserkraft ausgebaut, neue Kohlenbergwerke erschlossen, wo sie einigermaßen rentabel abgebaut werden können, und wir können daher mit ruhigem Gewissen sagen, mit der inländischen Produktion und den Importen kommen wir über die Runden.

FURCHE: Für 1980 oder für die nächsten Jahre?

STARIBACHER: Das gilt einmal für 1980, und wir werden uns genauso bemühen, in den achtziger Jahren ein selbes Ergebnis zu erzielen, wobei ja die kritische Phase sicherlich 1981/82 sein wird, denn zu diesem Zeitpunkt hätte uns das Kernkraftwerk Zwen-tendorf mit entsprechenden Strommengen, mit 730 Megawatt, fast 13 Prozent der österreichischen Stromversorgung, beliefern sollen.

FURCHE: Wie stellt sich die angepeilte Flucht aus dem öl nach den politischen Ereignissen der letzten Wochen dar?

STARIBACHER: Ja, wir müssen aus dem öl flüchten, wenn Sie diesen Ausdruck gebrauchen wollen, denn wir wissen heute schon, daß wir auf lange Sicht gesehen die notwendigen Rohölmengen nicht zur Verfügung haben werden. Das ist das einzige, was man heute im Long Run sagen kann. Es muß daher öl substituiert werden, und es ist uns geglückt, zu erreichen, daß nicht als Ersatzkraftwerk für Zwentendorf ein ölkraft-werk - wie beabsichtigt - gebaut wird, sondern ein entsprechendes Kohlekraftwerk. Mit all den Nachteilen, die ein Kohlekraftwerk hat, die Kohlenbezüge mit sich bringen.

Bei Kohle aber können wir heute bereits sagen, daß, wenn wider Erwarten - ich bin überzeugt davon, es wird nicht eintreffen, weil wir entsprechende Verträge abgeschlossen haben -, aber wenn wider Erwarten die Staatshandelsländer die Kohlenmengen nicht liefern sollten, wir die Möglichkeit haben werden, gegebenenfalls die Kohle von woanders zu beziehen. Das wird bei öl ja leider in Zukunft nicht so leicht sein.

FURCHE: Meinen Sie, daß international im großen Maßstab öl durch Kohle ersetzt werden wird?

STARIBACHER: Auch das geschieht bereits, und man macht in den industriell fortgeschrittenen Ländern, wo man entsprechende Kohlenvorkommen hat - wir haben sie ja nicht-, Versuche mit Verflüssigung und Vergasung von Kohle.

FURCHE: Wie weiland in Deutsch-land im Krieg.

STARIBACHER: Richtig. Nur wird das jetzt mit moderneren Technologien gemacht, so daß also die Ergebnisse, die herauskommen, zwar im Prinzip dieselben sind, es kommt nämlich Benzin oder Gas aus der Kohle heraus. Die Frage ist nur, was kostet das Benzin, was kostet das Gas? Da erzielt man bessere Ergebnisse als in der Kriegszeit, wo nur die Menge entscheidend war und der Preis überhaupt keine Rolle gespielt hat.

FURCHE: Der Energieschock von 1973 war nicht nur ein Wirtschaftsschock und Versorgungsschock, sondern er hat auch langfristige Denkprozesse eingeleitet, was unsere Lebensweise und die ökologischen Probleme und die Ressourcen der Erde betrifft. Wie sehen Sie die Entwicklung des Energieverbrauchs auf der Welt?

STARIBACHER: Der Energieverbrauch auf der Welt wird weitersteigen. Das ist mit dem steigenden Lebensstandard gekoppelt, und man kann sich dem nicht entziehen. Wohl aber können die technologisch hochentwickelten Länder, dazu zählt

Österreich, versuchen, sich von der bisherigen Korrelation 1: 1 zwischen Bruttonationalproduktzuwachsrate und Energiezuwachs zu lösen. Das ist uns auch einigermaßen geglückt. Während wir in den siebziger Jahren auch 1: 1 gehabt haben, ist es Ende der siebziger Jahre geglückt, auf 1: 0,8 zu kommen. Momentan liegen wir in dieser Frage sehr, sehr günstig. Nur sind da die saisonalen und wahrscheinlich auch konjunkturellen Schwankungen noch nicht entsprechend berücksichtigt, daher kann man erst, wenn man einen langen Zeitraum hinter sich hat, sagen, ob diese Entkoppelung endgültig geglückt ist oder nicht.

FURCHE: Die Entkoppelung schaut in Österreich also so aus, daß einem Wirtschaftswachstum von 100 ein Energiewachstum von 80 entspricht? '

STARIBACHER: Der Idealzustand würde sogar 60 sein, aber derzeit sind wir ungefähr bei 80.

FURCHE: Ein Wirtschaftswachstum ohne Wachstum des Energieverbrauches ist unmöglich, theoretisch kaum denkbar?

STARIBACHER: Das kann bis jetzt kein Modell nachweisen, und in der Praxis hat sich herausgestellt, daß alles andere nur Wunschdenken ist.

FURCHE: Dabei erhebt sich nun die bange Frage, wie lang der Energiebedarf der Industriegesellschaften überhaupt steigen kann. Ist ein unbeschränktes Steigen denkbar?

STARIBACHER: In meinen Augen ist der Energiebedarf auf lange

Sicht zu befriedigen, der menschliche Verstand wird das zustandebringen. WirhabenungeheureRessourcen in der Kernfusion, in der Sonne, und ich glaube, daß diese beiden Energieträger der Zukunft Fragen, die jetzt als unlösbar erscheinen, dann lösen lassen.

FURCHE: Muß nicht jedes Wachstum irgendwo einen Plafond erreichen, muß man sich nicht rechtzeitig Gedanken darüber machen, wann das der Fall sein soll oder kann?

STARIBACHER: In meinen Augen wird es immer ein Wirtschaftswachstum geben müssen, solange die Menschheit mit Recht sagt: Warum sollen einige sehr gut leben und die große Masse womöglich schlecht? Das ist der Punkt Eins. Punkt Zwei: Selbst jene, denen es gutgeht, wünschen sich, daß es ihnen noch ein bis-serl besser geht. Wir werden nicht ein so unqualifiziertes, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, Wirtschaftswachstum haben, wie das vielleicht in den vergangenen Jahrzehnten oder vielleicht sogar Jahrhunderten der Fall gewesen ist, wo man sich in der Industrialisierungswelle am Beginn des Kapitalismus überhaupt nicht geschert hat, ob die Umwelt verschmutzt wird, sie haben damals ganz einfach gesagt, jetzt wollen wir produzieren.

Wir verfallen jetzt, glaube ich, in die gegenteilige Richtung, es wird alles verteufelt, alles, was die Wirtschaft produziert, ist schlecht, wobei aber keiner auf ein Wirtschaftswachstum verzichten kann, weil jeder will, daß es ihm ein bissei besser geht, jeder zumindest den Lebensstandard halten will, den er jetzt hat, und wobei es viele gibt, die diesen Lebensstandard noch nicht haben. Wenn man so wie ich ein Sozialist ist, muß man primär schauen, daß die Menschen ihre ursprünglichen Bedürfnisse befriedigen und daß das in der Dritten Welt verdammt noch sehr zu ordnen ist, und wenn diese Dritte Welt einen auch nur bescheidenen Lebensstandard haben wird, wird sie Energie brauchen.

FURCHE: Je länger die Industrieländer weiterwachsen, um so schwerer wird es die Dritte Welt haben, sie einzuholen. Müßte nicht doch daran gedacht werden, das Wachstum in den Industriestaaten irgendwann einmal zu einem Stillstand zu bringen? Ist unablässiges Wachstum notwendig?

STARIBACHER: Wir entwickeln ja, wenn sie wollen, seitdem es Menschen gibt, ein Wirtschaftswachstum. Ständig. Als die Menschen noch nackt herumgelaufen sind, hat es ein Wirtschaftswachstum gegeben, indem sie gesagt haben jetzt machen wir uns Kleidung, weil sie gefroren haben, und nachdem ste das Feuer gehabt haben, haben sie gesagt, jetzt machen wir etwas, um diese Energie zu behalten und nicht davon abhängig zu sein, ob gerade ein Blitz einschlägt und wir ein Feuer haben. Seit dieser Zeit gibt es ein Wirtschaftswachstum und einen ständig steigenden besseren Komfort, und man sagt ja nicht zu unrecht: Heute lebt der Arbeiter besser als der König vor 200 Jahren, denn er kann sich einen Fernseher leisten, ist kulturell weltweit verbunden. Der arme König war darauf angewiesen, was ihm seine Barden gesungen haben, was ihm seine Botschafter gebracht haben, und wenn einer krank geworden ist, hat er zwar auch einen Arzt gehabt, aber nicht so gute ärztliche Behandlung wie heute ein Arbeiter. Damals konnte selbst ein König an einem Zahn oder Blinddarm sterben. Heute ist das sehr unwahrscheinlich. Warum soll ich jetzt also sagen, Schluß. Die Kernfusion und Sonnenenergie stehen uns in einem ganz großen Ausmaß zur Verfügung. Warum denn darauf verzichten?

FURCHE: Das heißt also, daß eine Verbesserung des Lebensstandards untrennbar immer mit einem Quantitätswachstum verbunden ist, sowohl was Rohstoffverbrauch als auch was Energieverbrauch betrifft?

STARIBACHER: Ich würde sagen, das ist eine Voraussetzung. Der Lebensinhalt ist eine Angelegenheit der Philosophie. Da bin ich als Ökonom nicht zuständig. Den Menschen Ideale zu geben, die Jugend womöglich wieder für Ideale zu begeistern, ist eine Angelegenheit der Weltanschauung, der Philosophie, der Kirche oder wer immer dafür zuständig ist. Aber als Ökonom sage ich: Wenn es eine Basis dafür geben soll, diese Philosophie auf ein gesichertes Fundament zu stellen, müssen wir ein gesundes Wirtschaftswachstum haben.

FURCHE: Wohlstand allein genügt nicht, es muß mehr werden? Es muß nicht nur besser, es muß immer mehr werden?

STARIBACHER: Schauen Sie, wenn wir sagen, wir in den reichen Industrieländern müssen mehr für die Entwicklungsländer tun, müssen wir ja auch schauen, daß wir ein noch stärkeres Wirtschaftswachstum haben, denn nur vom Zuwachs können wir den Leuten etwas geben. Versuchen Sie doch einmal, jemandem etwas wegzunehmen und zu sagen, gib was her, dort hungern die Menschen.

Er wird sagen: „I bin zwar blad, aber von mir aus, da habt ihr ein bißchen etwas", aber es wird sehr bescheiden sein. Wenn wir dagegen ein Wachstum haben, eine gestiegene Bildung haben, wird es um so leichter sein. Es wird nicht leicht sein, aber doch leichter sein, vielleicht einen doch größeren Teil dafür zu verwenden, den Hungernden mehr zu geben.

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