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Wackelnde Kanzlerkrone

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Die Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz haben den Trend von Hamburg bestätigt. Die SPD verliert massiv an Stimmen, die CDU holt mächtig auf. Ist ein Umsohwung in der Bundesrepublik in Sicht? Tatsächlich zehrt die Niederlage der SPD an der Nervenkraft der Regierungskoalition — aber darüber hinaus muß man wieder eine Pattsituation (wie vor 1972) ins Auge fassen. Die Länderkammer, der Bundesrat, hat bereits der Regierung einen Strich durch die Rechnung gemacht, als es um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ging; und der Bundesrat kann, bei Andauern der Wahlerfolge noch leichter, sehr wohl auch weitere wichtige Vorhaben der Regierung blockieren.

Nicht zuletzt die .Notwendigkeit, in den bevorstehenden Landtagswahlkämpfen — auf Niedersachsen (9. Juni) folgen noch Hessen und Bayern — auch bundespolitisch Farbe zu bekennen, hat in der SPD erst richtig jene Konfusion ausgelöst, die nicht nur für Springers „Welt“, wenn auch diese ganz besonders, einen Rücktritt Brandts möglich erscheinen Meß. Zwar konnte sieh die SPD wieder soweit konsolidieren, daß 3ich die verschiedenen Flügel auf dem schlichten Nenner „Brandt bleibt Kanzler“ zusammenfanden. Ob dies allerdings genügen wird, die schweren Hürden der Landtagswahlen zu nehmen, scheint fraglich.

In Niedersachsen wie in Hessen haben die Sozialdemokraten ihre Regierungsposition zu verteidigen. In Niedersachsen betrug der Vorsprung gegenüber der CDU aber nur einen Sitz im Landtag in Hannover. Selbst für den Fall von CDU-Zugewinnen rechnete sich die SPD bis Hamburg ein sicheres Verbleiben in der Regiierongsverantwortung aus. Denn die bei der letzten Wahl unter der 5-Prozent-Grenze verbliebene und damit aus dem Landtag ausgesperrte FDP erwartet sich eine Rückkehr in den Landtag. Der Schrumpfungsprozeß der NPD, die in Niedersaohsen — Adolf von Thadden lebt bei Hannover — relativ stark war. ist unaufhaltbar und sollte der FDP einige Prozent an Wählerstimmen bescheren.

Nach Hamburg hat aber CDU-Spitzenkandidat Wilfried Hasselmann Hoffnung geschöpft, die SPD-Regierung, in der der prominente SPD-Linke Professor Peter von Oertzen Kultusminister ist, aus dem Sattel heben zu können. Eine gewisse Verdrossenheit vieler nieder-sächsdscher Wähler über die Regie-rungspolitik, vor allem über die Schulpolitik von Oertzens, könnte ihm zusätzlich zum Genossen Trend, der seinen Marsch nach links vorerst offensichtlich abgeblasen hat, Chancen bei den Landtagswahlen geben.

Einen Umschwung könnte vielleicht noch die Kabinettsumbildung in Bonn bringen, die nach der Bundespräsidentenwahl am 15. Mai erfolgen soll. Sie ist allerdings vor allem durch prominente SPD-Politiker schon so zerredet worden, daß ihr Effekt umstritten bleiben muß. Gerade unter dem Gesichtspunkt der bevorstehenden Landtagswahlen war daher der Ratschlag von Helmut Schmidt, das Personalkarussell in der SPD bald in Gang zu setzen, nicht unrichtig. Allerdings hatte er damit den Parteivorsitzenden und Bundeskanzler Willy Brandt in die unangenehme Lage gebracht, sieh entweder dem Votum Schmidts zu beugen, was als Schwäche des Kanzlers gedeutet worden wäre, oder erst einmal alles beim alten zu lassen.

Einiges deutet darauf hin, daß es der SPD auch unter dem Schock von Hamburg und Rheinland-Pfalz und trotz der Herausforderung in Niedersachsen und Hessen, nicht gelingt, da Desaster ihres öffentlichen Ansehens grundsätzlich zu kurleren. Kennzeichnend für die Fehleinschätzung in führenden SPD-Kreisen ist die laut gewordene Forderung, die Regieruogspolitik müsse besser „verkauft“ werden. Dahinter steckt ein Angriff auf das vom FDP-Mann Rüdiger von Wechmar geführte Bundespresseamt und damit auch auf den kleinen Koalitionspartner. Dahinter wird aber auch die etwa schon von Herbert Wehner als irrig bezeichnete Auffassung deutlich, oberflächliche Retuschen am Bild der SPD könnten ihr die Attraktivität verleihen, die ihr half, die letzte Bundestagswahl zu gewinnen.

In Wirklichkeit zeigen Meinungsumfragen und die Wahlanalysen von Hamburg eine tiefgehende Verstimmung an der SPD und ernste Zweifel an ihrer momentanen Regierungsfähigkeit.

Mit der jüngsten Entscheidung über das Tempolimit hat die SPD-Regieruingsspitze gezeigt, daß sie nach wie vor beim Wähler den Eindruck massiver Entscheidungslosig-keit und mangelnder Konzeption erweckt.

Noch klammert sich die SPD an die Hoffnung, daß sie die momentane Krise überwinden und sich durch Behaupten der Regierungsmacht in Niedersachsen und Hessen stabilisieren kann. Zu Hilfe kommt ihr dabei die FDP, die trotz aller jüngsten Querelen die Koalitionstreue hält und die CDU damit zu Wahlsiegen mit absoluten Mehrheiten zwingt. Da die Hamburger Wahl gezeigt hat, daß der FDP-Aufwärtstrend keineswegs so groß ist, wie oft behauptet, ja vielleicht gar nicht vorhanden ist, wächst auch wieder die Anhänglichkeit der FDP an den großen Partner. Zugute kommt den Koallitiorisparteien aber auch, daß der momentan zu beobachtende Meiinunigsumschwung in der Bundesrepublik für die Unionsparteien fast noch etwas zu früh kommt. Schon wird gemunkelt, daß Kohl, von dem für seine Partei günstigen Wählertrend angespornt, schon 1976 nach der Kanzlerkrone greifen will, die Brandt in den letzten Wochen etwas vom Haupt geglitten ist.

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