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Wafcum beruft die Kirche Exorzisten?

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Die Ernennung von sechs Exorzisten durch den Erzbi-schof von Turin hat Aufsehen erregt. In einer Zeit, die das Okkulte und Dämonische wiederentdeckt, tut es not, die entsprechenden Bibeltexte in Erinnerung zu rufen.

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Die Ernennung von sechs Exorzisten durch den Erzbi-schof von Turin hat Aufsehen erregt. In einer Zeit, die das Okkulte und Dämonische wiederentdeckt, tut es not, die entsprechenden Bibeltexte in Erinnerung zu rufen.

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Nachdem im Gefolge der Aufklärung der Glaube an einen Teufel längst in breitesten Schichten in den Bereich der Ammenmärchen gerechnet oder einfach auf die Dimension des Bösen dieser Welt hin interpretiert worden ist, kommt es heute zu bemerkenswerten Gegenentwicklungen. Einerseits der sich immer mehr verbreitende Trend zum Okkulten (das Schlagwort spiritistische Praktiken genügt). Ja, auch eine neue Hinwendung zu sa-tanistischen Denkweisen und Praktiken gerät neuerdings ins Licht der Öffentlichkeit.

Nachdem sich die Kirche in diesen Bereichen lange genug sehr zurückhaltend verhalten hat (Ereignisse wie der tragische Fall des Exorzismus in Klingenberg, Diözese Würzburg, vor einigen Jahren scheinen eher eine Ausnahme zu sein), hat sich im nichtöffentlichen beziehungsweise nichtamtlichen kirchlichen Bereich und wohl noch mehr daneben ein vom Verfasser quantitativ nicht abschätzbares, aber unleugbar vorhandenes Feld von „Paraexorzis-mus“ etabliert.

Hat es längere Zeit daneben ausgesehen, als würde der Trend zur „Spiritualisierung“ (neben der Verdrängung von bisher als dä-

monisch Betrachtetem in den Bereich der Psychologie und Psychiatrie), also zur Befreiung von Dämonischem durch kirchliche Sündenvergebung, den weiteren Lauf der Auslegung der biblischen einschlägigen Gegebenheiten bestimmen, so scheinen sich nun im Gefolge der genannten Entwicklungen auch neue Tendenzen anzuzeigen.

So erfährt man, daß eine italienische Diözese neuerdings wieder sechs Exorzisten formell bestimmt habe (während es meines Wissens jedenfalls in einer Reihe österreichischer Diözesen Schon seit längerer Zeit keine solche Beauftragung gibt). Beobachter meinen, hierin zeige sich eine neue Tendenz in der Kirche, die Kontrolle über den Umgang mit solchen Phänomenen „in der Hand zu behalten“.

Kommt es so zu erneutem Interesse an jenen Phänomenen, die in der Bibel als Besessenheit, hervorgerufen durch Dämonen (und ähnliches), bezeichnet werden, so ist es sicher nützlich, sich auf die wesentlichen Elemente dieser Vorstellungen, wie sie im Neuen Testament repräsentiert beziehungsweise bezeugt sind, zu erinnern. In gar nicht so wenigen Texten des Neuen Testaments wird ausgesagt, daß Jesus selbst, aber dann auch die Kirche nach ihm, sich Besessenen gegenübergesehen haben, daß Jesus, wie Kirche, solche Besessenheit als Plage durch Dämonen beziehungsweise indirekt durch Satan verstanden haben (ohne es — zumindest in jedem Fall - mit Sünde zu identifizieren oder auch in Zusammenhang zu bringen).

Jesus wie die Kirche stehen hier in der Tradition israelitisch-jüdischer Vorstellungen. Man kann vereinfacht sagen, daß dem damaligen Weltbild einerseits die Ausgeliefertheit des Menschen an geistige Wirklichkeiten „über“ ihm im Guten (Gott, Engel) wie im Bösen (Satan, Dämonen) entsprechen. Auf solchen satanischen wie dämonischen Einfluß werden, jüdisch wie frühchristlich, nicht nur die Besessenheit, sondern auch anderes Übel, wie die Krankheiten, zurückgeführt.

Zum innersten Kern des Evangeliums aber zählen Sätze Jesu wie: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lukas 10,1»; mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Ansage der Brechung der Macht Satans), oder: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes (bei Lk 11,20 .durch den Finger Gottes' -Anspielung an die .ägyptischen Plagen vgl. Exodus 8,15) austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Matthäus 12,28 Parabel).

Eine verantwortete Exegese mußte gerade wegen solcher Texte den Stellenwert der Uberwindung der „Besessenheit“ als entscheidendes Zeichen des nahegekommenen Reiches Gottes für das Verständnis Jesu ganz ernst nehmen. Uber Jesus als Dämonenaus-treiber gibt es Texte verschiedener Art und Darstellungsweise. Uber Maria aus Magdala wird gesagt, daß er aus ihr sieben Dämonen ausgetrieben habe (vgl. Lk 8,2 Par.). Eine Dämonenaustreibung in der Synagoge von Kafarnaum (Markus 1,21-28 Parr.) etwa wird breiter und (wie bei vergleichbaren Geschichten) unter Angabe schreckhafter Begleitumstände erzählt („Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei“, Vers 26).

Besessenheit kann in Zeichen schlimmster Gestörtheit geschildert werden (von dem Besessenen in Gerasa wird Mk 5,3-5 berichtet: „Man konnte ihn nicht bändigen, nicht einmal mit Fesseln. Schon oft hatte man ihn an Händen und Füßen gefesselt, aber er hatte die Ketten gesprengt und die Fesseln zerrissen, niemand konnte ihn bezwingen. Bei Tag und Nacht schrie er unaufhörlich in den Grabhöhlen und auf den Bergen und schlug sich mit Steinen“).

Gerade bei dieser Tradition (Mk 5,1-20 Parr.) wird aber aus der Kontrastbeschreibung deutlich, worin die Befreiung vom Dämonischen erkannt wird (vgl. Mk 5,15: „Er saß ordentlich gekleidet da und war wieder bei Verstand“). Von solchen Schilderungen her ist es naheliegend, daß heute als schwere psychische Störungen klassifizierte Phänomene in der Antike auf Besessenheit zurückgeführt worden sind.

Gelegentlich wird berichtet, daß auch von den Jüngern Jesu Befreiung von dämonischer Besessenheit erbeten worden sei (vgl. Mk 9,14-29), die sie aber nicht leisten konnten (wird in dieser Tradition auf mangelnden Glauben und fehlendes Gebet zurückgeführt). Zu den Beauftragungen der zwölf Jünger Jesu gehört aber „die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben“ (Mk 6,7 Parr.). Diese Vollmacht steht parallel zur Begabung, Kranke heilen zu können und zur Verkündigung, das Reich Gottes, das die Umkehr notwendig macht, ist nahegekommen (in der vollsten Form formuliert Mt 10,7 f).

Das Neue Testament weiß, daß exorzistische Tätigkeit unter Juden vorkommt (Mt 12,27) und auch von Nichtjüngern im Namen Jesu (unter Verwendung des Namens Jesus!) ausgeübt wird (Mk 9,38-41 Par.; vgl. dann aus der späteren kirchlichen Zeit Apostelgeschichte 19,13-17). Aus der Zeit der frühen Kirche wird allgemein über exorzistische Tätigkeit berichtet (Apg 5,16 u. ö.).

Abgesehen von der vordergrün-dig-objektivierenden Frage, ob es denn nun den Teufel oder die Dämonen „gäbe“ (die Frage nach der „Personalität“ solcher Wirklichkeiten), bleibt natürlich die „endgültig“ nie zu lösende hermeneu-tische Problematik der Stellungnahme zu den berichteten Phänomenen. Was ist zum Beispiel wirklich gewonnen, wenn man heute angesichts neutestamentlich berichteter Phänomene meint, daß für Vergleichbares der Psychiater, und nicht der Exorzist zuständig sei?

Sofort muß zurückgefragt werden: in welcher seiner Funktionen (medikamentös und/oder therapeutisch im umfassend humanen Sinn usw.!)? Der Theologe kann darauf verweisen, daß die Kirche sich gelegentlich definierend über geistige Wirklichkeiten „zwischen“ Gott und Menschen geäußert hat, aber auch hier bleibt nach der recht ausführlichen theologischen Diskussion das vorher angedeutete hermeneuti-sche Problem (freilich nun sachbezogen etwas verändert) aufrecht.

Persönlich rate ich (aus persönlicher Erfahrung mit Phänomenen, die man sowohl theologisch als auch psychologisch/psychiatrisch betrachten kann) als Theologe zu folgenden (die theoretische Fragestellung nicht erset-, zenden und die zu suchenden Antworten nicht vorwegnehmenden!) Ratschlägen: Gerade bei gestörten Menschen, wie sie uns so wie damals auch heute begegnen, gilt nach aller Erfahrung, daß Gaben, die dem Christen besonders ans Herz gelegt (und in die Hand gegeben) sind, wie Liebe, Zuhören, Beten, Vertrauen, Ermuntern zu solchem Vertrauen, das zum ganzen Glauben führt, in sehr vielen Fällen helfen und so gut wie immer ärztlich/psychiatrische Aktivitäten unterstützen.

Ich habe es mit Aufmerksamkeit registriert, wenn Psychiater sich solcher „christlicher“ Hilfe bedienten, sie ermuntert, gefördert und gefordert haben. Freilich halte ich nichts von Exorzismen gegen oder ohne ärztlichen Rat. Das erwähnte Beispiel aus jüngerer Vergangenheit sollte ein für allemal Warnung genug sein.

Ferner gilt es zu beachten, daß die biblische Botschaft dem Christen warm ans Herz legt, daß es um das ganze Heil des Menschen von Gott her, von Jesus her geht. Der Kranke soll tatsächlich gesund werden, und nicht nur in der Seele. Wer unter der Macht des Bösen, in welcher Form immer, steht, soll von ihr befreit werden. Das Heil ist eben nicht zu „spiri-tualisieren“, sondern als Heil des ganzen Menschen mit all seinen Dimensionen ernst zu nehmen. Von dorther ergibt sich zum Beispiel der untilgbare soziale Auftrag der Kirche („diakonaler“ Aspekt kirchlichen Dienstes!). Kein Aspekt der Heillosigkeit darf sich kirchlicher Sorge und Mühe entziehen.

In diesem Kontext hat auch die Gabe exorzistischer Beauftragung im weiten und engen Sinn ihren Platz, auch heute. Wie sehr wir zu jeder Zeit unter „geistigen Mächten“ stehen (Ideologien, die Zwänge des „man“, „man muß doch“, „man kann doch nicht“ in ihren verschiedensten inhaltlichen und ideologischen Bestimmtheiten), sollte doch nicht besonders besprochen werden müssen. Man denke nur an die Prüfung und Unterscheidung der Geister, die dem Christen so sehr ans Herz gelegt ist (z. B. 1 Johannes 4,1).

Wichtiger als der Streit um den theologisch-philosophischen Charakter der Bestimmbarkeit solcher Wirklichkeiten ist die Beachtung ihrer Auswirkungen auf den davon betroffenen Menschen und die Menschheit. Ein wie doch eigentlich unbewältigbares Arbeitsfeld hier für Kirche und ihre Gläubigen bereitliegt, muß für den glaubenden Christen außer Diskussion stehen. In diesem Rahmen (aber auch wieder nur in ihm!) läßt sich das Problemfeld „Besessenheit“ nach christlicher Tradition und Erfahrung einordnen.

Der Autor ist Professor für Neutestament -liehe Bibelwissenschaft an der Universität Salzburg.

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