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Waffe gegen Drogen?

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Täglich drei Tabletten eines bekannten Medikamentes gegen hohen Blutdruck öffnen Süchtigen die Tür zum Ausstieg aus der Drogenszene. Clonidin heißt die Substanz, von der neuerdings grundlegende Fortschritte in der Behandlung von Heroinabhängigen erwartet werden. Sie unterbindet Schmerzen, dämpft Angst und Unruhe, verhindert Schlaflosigkeit, Atem- und Kreislaufstörungen und hemmt die anderen quälenden Symptome des Dro-genentzuges.

Im Gegensatz zur Behandlung mit Psychopharmaka dämmern die Patienten aber nicht wochenlang in einer Klinik vor sich hin, sondern sind durchaus in der Lage, sich zu bewegen und zu betätigen. Die körperliche Entgiftung erfolgt so problemloser, und dem Abhängigen dürfte es leichter fallen, sich von-der harten Droge zu lösen. Auf die Langzeittherapie und auf die Rehabilitation kann allerdings auch bei Anwendung von Clonidin nicht verzichtet werden.

Clonidin ist das einzige Mittel gegen hohen Blutdruck, das für die Behandlung Drogensüchtiger in Betracht kommt. Therapeutisch hat es überdies den Vorteil, selbst nicht süchtig zu machen. In den Vereinigten Staaten wird den Abhängigen bekanntlich täglich kostenlos ein sogenannter Methadon-Trunk angeboten.

Auf diese Weise bekommen die staatlichen Institutionen zwar die Süchtigen unter Kontrolle, zugleich aber wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, denn Methadon macht wenn auch in einem geringeren Ausmaß als Heroin - süchtig. Allerdings hoffen die amerikanischen Therapeuten, über die staatlich verordnete Ersatzdroge die Süchtigen langsam vom Heroin herunter zu bekommen.

In deutschen Kliniken wird die Droge grundsätzlich abrupt entzogen. Vom Patienten erwartet man, daß er mit den Folgen der körperlichen Entgiftung selbst fertig wird. Auch wenn Psychopharmaka den Süchtigen in eine Art Dämmerschlaf versetzen, ist der Entzug die „Hölle”. Viele stehen die ein bis zwei Wochen der körperlichen Entgiftung nicht durch: nur wenige beschreiten den Weg zweimal.

Durch Clonidin könnte der Entzug „menschenwürdiger” werden, denn die quälenden Nebenwirkungen entfallen. Gegen einen Rückfall ist auch dieses Medikament keine Versicherung, keine Garantie. Der erneute Griff zur Droge wird wahrscheinlich genau so schnell oder so spät erfolgen, wie bei allen anderen Entziehungen. An die eigentliche körperliche Entgiftung muß sich in jedem Fall eine intensive psycho-soziale Langzeittherapie und Betreuung der ehemals Süchtigen anschließen.

Clonidin ist eine außerordentlich interessante pharmakologische Substanz, die viele Gesichter hat. Anfang der sechziger Jahre wurde sie in den Laboratorien der Firma C. H. Boehringer Sohn in Ingelheim synthetisiert und zu einem Mittel gegen Schnupfen ausgebaut. Mehr oder weniger zufällig stießen die Mediziner auf eine blutdrucksenkende Nebenwirkung der Nasentropfen. Daraufhin nahmen sie das Medikament erneut in die pharmakologische Mühle und entwickelten es zu einem Medikament, das über das Zentralnervensystem den Blutdruck senkt.

Bei ihren Arbeiten stießen die Forscher auch auf eine schmerzstillende Wirkung, wie sie nach Einnahme von Morphin zu beobachten ist. Im weiteren Verlauf der Untersuchungen ergab sich, daß Clonidin in den gleichen Hirnregionen angreift wie das Morphin. Im Bereich des verlängerten Rückenmarks blockieren beide Substanzen die Aktivität bestimmter Neurone. Obwohl beide Substanzen chemisch nicht miteinander verwandt sind, wirken sie zum Erstaunen der Forscher ähnlich. Allerdings besteht ein wesentlicher Unterschied. Die Wirkungen von Clonidin und Morphin lassen sich nichldurch ein und dasselbe Gegenmittel aufheben, sondern nur durch zwei verschiedene.

Das erklärt, warum die Syndrome des Drogenentzuges durch drei Tabletten Clonidin unterdrückt werden können. Ganz offensichtlich wird der Organismus biochemisch getäuscht. Heroin, Morphin und die anderen Opiate lassen sich zum Teil durch eine Substanz ersetzen, die im Organismus eine ähnliche Wirkung wie die harten Drogen entfaltet, aber nicht deren verheerende Nebenwirkung aufweist. An Ratten und Hunden, die genauso wie Menschen süchtig werden, konnte schließlich gezeigt werden, daß Clonidin tatsächlich die Symptome des Drogenentzuges abschwächt.

Diese Ergebnisse haben erneut weltweit das pharmakologische Interesse an Clonidin geweckt. Die blutdrucksenkende Wirkung steht der neuen Anwen- . dung keinesfalls im Wege. Sie könnte vielmehr ein therapeutischer Vorteil sein. Beim abrupten Drogenentzug kommt es nämlich leicht zu Blutdruckkrisen, denen mit dem Präparat von vornherein entgegengewirkt werden kann.

Allerdings liegen bislang nur Erfahrungen bei der Behandlung weniger Patienten vor. In allen Fällen zeigte sich, daß die Entzugserscheinungen günstig beeinflußt wurden und daß die Befunde durchaus reproduzierbar sind. Wenn nicht alles täuscht, haben die Psychotherapeuten mit Clonidin erstmals ein Medikament in der Hand, das helfen kann, das Drogenproblem zu meistern.

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