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Wagt den Schritt vor die UNO!

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Sie sind die heimliche Attraktion in der anderen Hälfte Europas. Ob sich Dissidenten unter der Schirmherrschaft von Lech Walesa zu einer Menschenrechtskonferenz zusammenfinden wie Ende August in Krakau oder zu einer Umweltdemonstration zum Schutz der Donau Anfang September in Budapest, die „Bewegung für ein freies Rumänien“ mischt sich mit ein.

Und wenn die Gruppe am rumänischen Nationalfeiertag einen

Hungerstreik gegen das Ceauses-cu-Regime ausruft, sendet die polnische Tagesschau darüber einen Filmbericht. Uber mangelnde Publizität in den sozialistischen Bruderstaaten können sich die „Multumeste Romania libera“ (FURCHE 53/1987) und ihr Osteuropa-Sprecher Virgil Parvu nicht beklagen.

Die Bürgerinitiative, die sich den Sturz des roten Monarchen Nicolae Ceausescu samt Familienclan zum Ziel gesetzt hat, rekrutiert ihre Anhänger meist von Budapest aus. Vor dem Denkmal des ungarischen Nationalhelden Freiherr Jozsef Eötvös treffen sie sich allabendlich um 18 Uhr.

Das wachsame Auge der rumänischen Securitate, die sie steckbrieflich sucht und an die Genossen in Budapest mehrmals Auslieferungsanträge stellte, jagt ihnen keine Angst mehr ein. Nicht mehr.

Noch vor einem halben Jahr hatte ihr Gründer, Cornel Rosca, der mittlerweile in die USA weiterreiste, auf Verschwiegenheit und Konspiration gesetzt. Er tat alles, um nur ja nicht aufzufallen. Wenngleich ohne Erfolg. Denn mit seiner Kordjacke und -hose, die zwar dem letzen Bukarester Chic entsprachen, war er für die mit westlichem Geschmack urteilenden Budapester schon meilenweit als „Menkült“, als Rumänienflüchtling, auszumachen.

Die Ungarn haben sich an den Flüchtlingsstrom aus dem benachbarten Land gewöhnt. Ob es in den letzten zwölf Monaten 20.000 oder 40.000 waren, die der Ceausescu-Tyrannei aus Verzweiflung den Rücken kehrten, weiß niemand. Aber je mehr die wahnwitzigen Dorfzerstörungspläne, Minderheitenunterdrük-kung und allgemein katastrophale Lebenssituation im Karpatenbecken ins westliche Bewußtsein dringen, umso mehr wissen sich auch die Geflüchteten in der neuen Heimat zu organisieren.

Den Angehörigen der Siebenbürgener Magyaren fällt es dabei etwas leichter als den waschechten Rumänen, die in ihrem Leben kaum je ein Wort ungarisch lernten. Beide Volksgruppen stehen aber vor dem gleichen Problem: Wie findet man Arbeit und Unterkunft?

„Ich hätte es nie gedacht, aber man bekommt hier beides. Die Gastfreundschaft und Zuvorkommenheit auch uns gegenüber ist großartig“, erzählt Parvu.

Das politisch wie humanitär schwerstwiegende Problem, das diese neue Flüchtlingswelle mit sich gebracht hat, sind Tausende zerissene Famlien. Es wirkt auf die meisten wie eine kalte Dusche, wenn sie feststellen, daß das offizielle Ungarn selbst für die ungarischstämmigen „Menekültek“ bei der Familienzusammenführung wenig tun kann.

Die rumänischen Behörden haben nämlich eine Lösung eigener Art gefunden: Man legt dem zurückgebliebenen Elternteil einfach nahe, sich scheiden zu lassen. x Beschlagnahmung von Briefen und taub gewordene Telefonnummern sollen diese Entscheidung „erleichtern“.

Virgil Parvu, der Ehefrau und zwei Mädchen zurückließ: „Wirksam ist nur noch Druck und Isolation von außen. Ceausescu will ein international verehrter Staatsmann sein. Ein Mittel, ihm vor Augen zu führen, was seine repressive Politik anrichtet, wäre die Erörterung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen.“

Für die UNO-Verurteilung braucht es eines Antrages einer Regierung. Wagt Österreich, wagt die Bundesrepublik Deutschland diesen Schritt?

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