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Wahlkampf gegen Karikaturen

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Schon seit Monaten hatte eigentlich alles damit gerechnet, daß US-Präsident Jimmy Carter und sein republikanischer Herausforderer Ronald Reagan ihre Parteivölker in die Wahlschlacht vom November führen würden. Und doch war bis zuletzt vieles nicht klar, wußte man nicht sicher, was sich hinter den Kulissen von demokratischer und republikanischer Partei alles abspielte.

Bei den Republikanern ging es bekanntlich nur noch um den Vizepräsidenten, der nach einem mißglückten politischen Manöver schließlich an den togischen Aspiranten George Bush fiel. Als das „Traum-Gespann" Reagan-Ford schon in greifbarer Nähe schien, erkannten republikanische Strategen, daß der Preis dafür eine für Reagan unannehmbare Aushöhlung seines angestrebten Amtes zugunsten Fords und seiner Mannen um Kissinger und Greenspann bedeuten würde. Da spielte der kalifornische Ex-Gouverneur dann freilich nicht mehr mit.

Aber auch Reagan und Bush werden als starkes Team angesehen, das ein breites ideologisches Spektrum der republikanischen Partei repräsentiert und zur Zeit in den Meinungsuntersuchungen weit vor dem demokratischen Gespann Carter - Mondale Hegt.

Die Republikaner präsentieren sich jedenfalls so geeint wie schon seit langem nicht mehr und treten kampfeslu-

„Die Republikaner präsentieren sich jedenfalls so geeint wie schon lange nicht mehr und treten kampfeslustig auf"

stig auf. Denn es winkt nicht bloß das Weiße Haus. Jüngste Umfragen prognostizieren ihnen sogar eine Mehrheit im Kongreß.

Die Demokraten dagegen lecken sich noch immer die Wunden der Vorwahlkämpfe, diedasDuellCartergegen Kennedy in ihren Reihen hinterlassen hat. Viele der geschlagenen Kennedy-Gefolgsleute haben offen erklärt, daß sie Carter bloß „korrekt und pflichtgemäß" im Wahlkampf unterstützen würden. Sie folgen damit ihrem angehimmelten Polit-Idol, das sich bei der Gratulationskur nach Carters Nominierung selbst äußerst reserviert verhielt.

Die Niederlage bei der Abstimmung über einen „offenen Parteitag" hat bei Kennedy wohl mehr Bitterkeit hinterlassen als der Verlust der Nominierung selbst.

Wie dem aber auch sei: Der Held des demokratischen Parteikonvents in New York vergangene Woche hieß trotzdem Ted Kennedy. Mit einer mitreißenden Rede heizte der Bruder zweier politi-

scher Legenden den Konvent zur Ekstase, während Carters Ausführungen mehr den Charakter eines Vortrages hatten und wenig Stimmung aufkommen ließen.

Daß aber Carter im November ohne aktive Unterstützung Kennedys nicht gewinnen kann, hat er selbst zugegeben, als er Kennedy in seiner Rede zurief: „Ted, die Partei braucht dich, ich brauche dich." Und als versöhnende Geste akzeptierten die Strategen Carters fast das gesamte Wirtschaftskonzept Kennedys, das jenem des Präsidenten im Grund genommen diametral entgegensteht:

Für Kennedy und seine Anhänger unter den Minderheiten und wirtschaftlich Schwachen hat die Sicherung von Arbeitsplätzen absolute Priorität und geht vor dem Kampf gegen die Inflation. Carter hingegen hat bis zum Parteikonvent die Inflation mit gezielter Rezession bekämpft und war bereit, zunehmende Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen.

Durch solche Kompromisse wurde versucht, die Differenzen zu überbrük-ken. Das einzige Thema, das aber die Demokraten derzeit wirklich miteinander verbindet, ist die Animosität gegenüber Ronald Reagan. Ganze Breitseiten aggressiver, ja gehässiger Angriffe wurden von Mondale, Kennedy und Carter auf den republikanischen Herausforderer abgefeuert. Als Munition dienten teilweise aus dem Zusammenhang gerissene Erklärungen des ehemaligen Gouverneurs von Kalifornien, der für seine unverblümten Formulierungen bekannt und berüchtigt ist.

Und die Animosität gegen Reagan soll nicht bloß die inneren Differenzen überbrücken, sondern auch den notwendigen Schwung in die Kampagne der Demokraten bringen. Es hat sich jedoch bereits während der Vorwahlkämpfe gezeigt, daß die Demokraten -wie es James Reston von der „New

York Times" formulierte - eine Reagan-Karikatur, nicht aber den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ronald Reagan von 1980 bekämpfen.

Für die Strategen der Demokraten ist Reagan noch immer ein unverbesserlicher Kriegshetzer und Vertreter des äußersten rechten Flügels der Republikaner, der darauf aus ist, die sozialen Errungenschaften seit Franklin D. Roosevelt zunichte zu machen. Und nichts hat sie so sehr verbittert, als daß gerade Reagan in seiner Rede vor dem republikanischen Konvent in Detroit vor einigen Wochen Zitate Roosevelts für sich in Anspruch genommen hat.

Wie weiland Lyndon Johnson gegenüber Goldwater, so würde Carter gerne gegen Reagan auftreten und ihn als Feind der Arbeiter und farbigen Minoritäten hinstellen.

Das Szenario hat sich jedoch gewandelt. Den rhetorischen Exzessen Reagans, der nur allzugerne auch mit karikaturhaften Feindbildern agiert, stehen

zahllose Entgleisungen Carters gegenüber. Der Präsident wird noch mehrere Wochen in eine Kongreßuntersuchung über die Lybien-Geschäfte seines Bruders Billy („Billygate") verwickelt sein, die -f auch wenn sich alles als harmlos herausstellen sollte - kostbare Zeit des Präsidenten absorbieren wird.

Zuletzt ist auch wieder die Inflation ansteigend und hat auf das Jahr umgerechnet bereits 22 Prozent erreicht.

Nachdem der Präsident seine eigene gemäßigte Wirtschaftspolitik zugunsten der liberalen Vorstellungen Kennedys aufgegeben hat, ist er auch von seiner wichtigen Position im Zentrum des politischen Spektrums abgerückt. Reagan wiederum hat sich durch die Wahl des liberalen George Bush zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten und durch sein konzessionsbereites, pragmatisches Gehaben in den Augen vieler Amerikaner als ein Mann der Mitte profiliert.

So hat sich bereits in New York eine Organisation „Demokraten für Reagan" gebildet und laut Umfragen würden sogar 31 Prozent der verbitterten Kennedy-Anhänger im November Reagan ihre Stimmen geben.

Nicht zuletzt dürfte das Auftreten des unabhängigen Kandidaten John Anderson Carter mehr Stimmen ko-

„Das einzige Thema, das die Demokraten derzeit wirklich miteinander verbindet, ist die A nimosität gegenüber Ronald Reagan"

sten als Reagan, unter Umständen aber auch eine Mehrheit eines der Kandidaten verhindern. Dann müßte die Wahl -wie es die Konstitution vorschreibt -mit völlig offenem Ausgang im Repräsentantenhaus ausgetragen werden.

Ist somit die Wahl für Carter und die Republikaner bereits gelaufen? Viele glauben es. Eine Anzahl politischer Beobachter ist jedoch trotz der günstigen Ausgangsposition der Republikaner noch skeptisch: Carter sei zwar ein glückloser Präsident, aber ein kluger Politiker und hervorragender Wahlkämpfer. Er werde das Erfahrungsmoment gegenüber Reagan ausschlachten und die Präsidentschaft selbst biete für Carter viele Möglichkeiten, sich kurzfristig günstig ins Scheinwerferlicht zu stellen.

Carter könnte sich von seinem Tief durch internationale Dividenden wie etwa die Freilassung der amerikanischen Geiseln in Teheran erholen und schließlich kann sich Reagan zum Beispiel bei öffentlichen Debatten in seiner eigenen Rhetorik verhaspeln. Nichts desto weniger gilt momentan Reagan als Favorit. Und dem Präsidenten fehlen etliche persönliche Qualitäten, mit denen er verlorenes Terrain wieder gutmachen könnte.

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