Wahlkampf in Dur
Der eine findet den anderen korrekt, zuverlässig, wählbar — „Volksbürgermeister“ Alois Lugger lobt seinen Konkurrenten Rudolf Kirchschläger, der wiederum meint, daß Innsbrucks Olympia-Bürgermeister tatsächlich ein Mann für alle Jahreszeiten sei. Bloß den politischen Parteien mundet dieser Wahlkampf in Dur nicht: in der SPÖ erkennt man immer deutlicher, daß Doktor Kirchschlägers Kandidatur — trotz aller roter Nelken — einen Abschied von der Vorstellung bedeutet, daß ein Sozialist in der Hofburg sitzen muß; in der ÖVP wittert man Morgenluft, obwohl — oder gerade weil — ihr tatkräftiger und erfahrener Kandidat — „ein Bundespräsident, wie er sein soll“ — eigene Wege geht.
Der eine findet den anderen korrekt, zuverlässig, wählbar — „Volksbürgermeister“ Alois Lugger lobt seinen Konkurrenten Rudolf Kirchschläger, der wiederum meint, daß Innsbrucks Olympia-Bürgermeister tatsächlich ein Mann für alle Jahreszeiten sei. Bloß den politischen Parteien mundet dieser Wahlkampf in Dur nicht: in der SPÖ erkennt man immer deutlicher, daß Doktor Kirchschlägers Kandidatur — trotz aller roter Nelken — einen Abschied von der Vorstellung bedeutet, daß ein Sozialist in der Hofburg sitzen muß; in der ÖVP wittert man Morgenluft, obwohl — oder gerade weil — ihr tatkräftiger und erfahrener Kandidat — „ein Bundespräsident, wie er sein soll“ — eigene Wege geht.
Dabei gilt es aim 23. Juni 1974 mehr denn je, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Da der nächste Bundespräsident auf jeden Fall ein Nicht-Mitglied der SPÖ sein wird, ist es primär wichtig, daß der neue Bundespräsident profiliert und innenpolitisch erfahren genug ist, um jeder Bundesregierung ein Veto für alle Arten von verfassungswidrigen Maßnahmen entgegenzusetzen.
Viele meinen, daß Kirchschläger darauf keinen Anspruch erheben kann. Sie glauben, daß die notorische Abhängigkeit des als „unabhängig“ gepriesenen Kandidaten der Sozialistischen- Partei vom Polit-Tak'ttiker Bruno Kreisky zu Schwierigkeiten führen müsse, die heute noch gar nicht absehbar sind. In diesem Zusammenhang weist man auch darauf hin, daß Kirchschläger noch Bundespräsident sein dürfte, wenn Kreisky längst nicht mehr Bundeskanzler ist. Daraus wird abgeleitet, daß ein allfälliger Bundespräsident Kirchschläger schließlich Spannungen zwischen der SPÖ (die durchaus nicht generell Kirschläger als Bundespräsidenten sehen will) und der Hofburg auslösen könnte, die wiederum nicht im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung Österreichs gelegen sein könnten.
Vor zwei Wochen schien es für einen Kandidaten mit Namen Lugger unwahrscheinlich, ja aussichtslos, in die Hofburg einzuziehen. Heute, da man mehr und mehr eine Ablehnung für einen Kandidaten, der weder Fisch noch Fleisch ist, abzeichnet, ist man auch in der Sozialistischen Partei geneigt, dem Außenseiter Lugger relativ gute Erfolgschancen zuzubilligen. Das drückt sich vorerst in einer recht hektischen Anti-Lugger-Kampagne aus, die vom Zentralorgan der Regierungspartei gesteuert wird. Lugger, der bereits in seiner ersten Vorstellung vor einer breiteren Öffentlichkeit die Idee eines fairen Wahlkampfes vertrat, wurde in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 12. Mai als ein Mann dargestellt, der zwischen Nationalismus, Faschismus und reaktionärer Politik pendelt. Doktor Kreisky, einst ein Lugger-Kompa-
gnon in Südtirol-Fragen, meint heute, daß er sich lieber von Kirchschläger als von einem Lugger beraten. ließe.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die SPÖ mit einer Anti-Lugger-Kampagne durchsetzen wird. Fast scheint es, als ob hinter dem Nicht-Sozialisten Kirchschläger so wenig SPÖ-BegeisteriBig stünde, daß man parteipolitische Aggressionen in polemischen Stellungnahmen zu Lugger austoben möchte. Unsicher bleibt, ob damit auch die Wechselwähler begeistert werden können. Äußerst problematisch ist eine Tendenz, die zur Zeit von der „Kronen-Zeitung“ mit großer Akribie gepflegt wird. Dort wird immer wieder unter Berufung auf Leserbriefe behauptet, daß Lugger als Tiroler für einen Ostösterreicher aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland einfach nicht wählbar sei. Bei dieser Art von Kandidatenunterstützung ist geradezu unfaßbar, welche primitive Aggressionen in der Regierungspartei noch immer gegen einen tirolerischen Westösterreicher auslösbar sind. Es scheint, als versuche die SPÖ eine Wiederbelebung jener unseligen Pitter-mann-Doktrin von einem „guten“ Donauösterreich und einem „schlechten“ Alpenösterreich.
Rudolf Kirchschlägers Weg in die Hofburg ist mit solcher problematischer „Neben-Werbung“, die seine Partei forciert, nicht eben leicht. Luggers Chancen, Österreichs Bundespräsident zu werden, sind anderseits sehr eng damit verbunden, ob er die Wiener zu begeistern vermag oder nicht. Deshalb versucht er, alles Propaganda-Defizit, das durch die volle Propagierung von Hermann Withalm entstanden ist, in Ostösterreich aufzuholen. Dabei gefällt seine Standfestigkeit und seine Geradlinigkeit gut. So gut, daß man offenbar in der SPÖ heute bereits einem Mann aus den eigenen Reihen nachzuweinen beginnt. Denn so offen wie Kirchschläger wagte noch kein österreichischer Pblitiker gegen den Gewerkschaftsbund aufzutreten: er trat in den fünfziger Jahren aus dieser Arbeitnehmerbewegung aus, als sie ihn nur mehr etwas kostete — ihm aber nichts nützte.