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Wahlkampf -Rohrkrepierer

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Die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes werden nach dem Wahltag am 5. Oktober 1975 ganz bestimmt nicht kleiner und leichter. Im Gegenteil: schlecht ausgelastete Kapazitäten werden Unternehmen veranlassen müssen, weitere Arbeitskräfte freizustellen. Denn die aktuelle Arbeitslosenrate von 1,8 Prozent widerspiegelt die tatsächliche Situation — vor allem in der Industrie — noch lange nicht (die erste Herbstlohnrunde für rund 900.000 Arbeitnehmer wird den Belastungsdruck der Wirtschaft auch nicht mildem); die Verhandlungen um die Regierungsbildung, die bis zum 22. Oktober notwendige Vorlage des Bundesvoranschlages 1976 (man spricht derzeit von einem Defizit zwischen 30 und 40 Milliarden Schilling im nächsten Jahr) wird das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auch nicht stärken, und schließlich aber nicht zuletzt, werden die ersten Konjunkturprognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts für das kommende Jahr auch nicht dazu beitragen können, die allgemeine Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft Österreichs abzubauen. Mit weiteren Investitionseinschränkungen (auch in der verstaatlichten Industrie) muß im Hinblick auf die In-und Auslandsnachfrage gerechnet werden. Nur die inflationistische Preisentwicklung in Österreich dürfte ein wenig eingedämmt werden.

Es hat heute den Anschein, als hätten die Österreicher inzwischen begriffen, daß es um die wirtschaftliche Lage unseres Landes nicht zum besten bestellt ist. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß in der Diskussion ökonomische Globaldaten, die eine verhältnismäßig günstige wirtschaftliche Situation Österreichs widerspiegeln — also Zahlenspielereien mit OECD-Vergleichen — oft einfach nicht mehr geglaubt werden. Der sozialistische Wahlslogan „Vier weitere gute Jahre“ hat deshalb alle Anzeichen eines danebengehenden Werbespruchs. Denn wer denkt schon an eine verhältnismäßig gute Vergangenheit, wenn ihm die Zukunft Sorgen macht? Im Gegenteil: in einer solchen Situation gerät der Blick für die Gegenwart und die nächste Zukunft noch schärfer und kritischer, weil man sich doch an eine permanente und rasche Verbesserung des Lebensstandards so gewöhnt hatte.

Demoskopische Umfragen über die Meinung der Österreicher zur aktuellen wirtschaftlichen Lage und über ihre politischen Präferenzen belegen dtese Feststelfting. Noch vor dem offenen Angebot des verstorbenen ÖVP-Obmanns Karl Schleinzer, die im Parlament vertretenen Parteien mögen doch angesichts der vielfältigen Schwierigkeiten gemeinsam eine Regierun« bilden, bekannten sich in einer Meinungsumfrage 51 Prozent für die SPÖ und nur 40 Prozent für die ÖVP. Zu Lebzeiten Karl Schleinzers, aber bereits nach seinem umfassenden Koalitons-angebot zeigte eine andere Meinungsumfrage einen raschen, doch noch nicht totalen Wandel der parteipolitischen Präferenzen der österreichischen Bevölkerung. Nur mehr 49 Prozent votierten für die SPÖ, aber bereits 44 Prozent für die österreichische Volkspartei. Und die vorläufig letzte Umfrage (sie wurde freilich mit einem nur kleinen Sample und parallel zur Wahl von Josef Taus zum Bundesparteiob-mann der ÖVP vorgenommen) signalisiert eine radikale Wende im politischen Denken der Österreicher: erstmals seit gut fünf Jahren hat die ÖVP bei einer gesamtösterreichischen Meinungsumfrage stark aufgeholt.

Man soll demoskopische Umfragen nicht überbewerten; dann schon gar nicht, wenn sie unter außergewöhnlichen Bedingungen („Mitieids-effekt“, kleines Sample, Erneuerungseffekt) zustande gekommen sind. Aber als tauglichen Behelf zur Beurteilung von Stimmungen muß man sie respektieren. Und die vorläufig letzte Meinungsumfrage vermittelt nun einmal das Bild einer total veränderten politischen Landschaft, so abgegriffen dieser Ausdruck auch immer ist. Diese Veränderungen kommen sicherlich nicht daher, daß Bundeskanzler Bruno Kreisky plötzlich ein weniger bedeutender Diplomat mit staatsmännischen Meriten geworden wäre, sie sind weniger eine Absage an die Persönlichkeit Kreiskys als möglicherweise an dessen Fähigkeit, ein havariertes Wirtschaftsschiff wieder auf guten Kurs zu bringen. Von ihm stammt das Wort, daß die SPÖ die bessere Partei für schlechtere Zeiten sei und es hat ganz den Anschein, als würde ihm das jetzt nur eine Minderheit in Österreich abnehmen. So wie die angeführte Umfrage eine traditionelle Haltung der österreichischen Wähler recht präzis wiedergilbt: Die SPÖ verstehe sich besser auf das Verteilen, die ÖVP dagegen auf das Erwirtschaften. Verteilen ist in der Not weniger gefragt, als Beschäftigung, Produktion und Stabilität. Da Vertreter der ÖVP zum idealen Zeitpunkt ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den anderen Parteien erklärt hat, hat sie in einem weiteren Punkt den Vorstellungen der Wähler ideal entsprochen: Miteinander — nicht gegeneinander!

Banal, aber wahr: Auch das Wahl-kampfglück ist ein „Vogerl“; es fliegt zur Zeit nicht etwa deshalb für die ÖVP, weil man von ihr den Eindruck hat, sie sei die beste aller parteipolitischen Konstruktionen. Dieses „Vogerl“ fliegt offenbar jetzt für die OPV, weil ihr die Bevölkerung zutraut, der wirtschaftlichen Probleme eher Herr zu werden.

Die Sorglosigkeit in den letzten fünf Jahren ist ohne Zweifel einer ökonomisch akzentuierten Zukunftsangst gewichen. Das ist keine österreichische Besonderheit; das Besondere daran ist, wie abrupt dieser Wandel, praktisch von einem auf den anderen Monat, gekommen Ist. Dieser totale Wandel personifiziert sich nicht zufällig in der Person des neuen ÖVP-Bundesparteiobmanns Josef Taus. Er strahlt jene Mischung von Sachverstand, Vertrauen, Dynamik und Zuversicht aus, die hoffen läßt, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der nächsten Zeit in einer Atmosphäre der Sachlichkeit und der Bereitschaft zur politischen Zusammenarbeit auf breiter Basis gelöst werden können.

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