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Wahlkampfbeginn in den USA

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McGovern hat das Rennen bei den Demokraten gemacht. Edward Kennedy, der letzte einer inzwischen entthronten Dynastie, kam, lehnte das Amt des Vizepräsidenten ab und ging wieder, umrauscht von den Akklamationen seiner Hofberichterstatter und Kommentatoren. All das ist aber Vorspiel, die wirkliche Entscheidung fällt im November. Ob man es öffentlich zugibt oder flüsternd andeutet: alles was in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten von offiziellen und offiziösen Stellen getan oder gesagt wird, hat direkt oder indirekt mit den Novemberwahlen zu tun. Das ist „Politik“.

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McGovern hat das Rennen bei den Demokraten gemacht. Edward Kennedy, der letzte einer inzwischen entthronten Dynastie, kam, lehnte das Amt des Vizepräsidenten ab und ging wieder, umrauscht von den Akklamationen seiner Hofberichterstatter und Kommentatoren. All das ist aber Vorspiel, die wirkliche Entscheidung fällt im November. Ob man es öffentlich zugibt oder flüsternd andeutet: alles was in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten von offiziellen und offiziösen Stellen getan oder gesagt wird, hat direkt oder indirekt mit den Novemberwahlen zu tun. Das ist „Politik“.

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Aber unter „Politik“ versteht man in Amerika zwei verschiedene Dinge: Einerseits .bedeutet das Wort die „policy“, die demokratisch gewählte Männer oder Körperschaften, vom Weißen Haus herunter bis zur Stadtverordnetenversammlung, in Zusammenhang mit Programmen, auf die hin sie gewählt wurden, mehr oder minder ehrlich oder unzulänglich in die Tat umsetzen. Das kann bei der nächsten Wahl honoriert oder korrigiert werden. Es gehört zum demokratischen Prozeß, der ständige Korrekturen — zumindest theoretisch — erlaubt.

Die zweite Bedeutung des Wortes meint „politics“, die auf Manipulation | der öffentlichen Meinung, ausgehende Propaganda oder die hinter den Kulissen stattfindende, augen-ziwinkemde Kompromißbereitschaft der herrschenden Gruppe oder auch der Opposition, die dabei entweder Erfolge der Gegenseite für sich mit Halbwahrheiten in Anspruch nehmen oder aber ankündigen, ihre

Fehler im Sinne teilweise irrealer Versprechen in Ordnung zu bringen. „PoHicy“ kann geändert werden, wenn die Nation es verlangt. „Politics“ sind entweder erfolgreich oder „kommen nicht an“. Ihre Wirkungen können nicht kontrolliert oder korrigiert werden.

Entscheidungen über die amerikanische Außen- und Innenpolitik werden heute weitgehend unter dem Gesichtspunkt getroffen: „Wie wird sich das auf die Präsidentenwahl auswirken?“ Verständlich. Aber ehrlich? Es kann kaum bezweifelt werden, daß die amerikanische Außenpolitik mit dem Einzug Henry Kissingers in das Weiße Haus eine gewisse Linie bekommen hat. Bewunderer Maochiaveflllis, Metternichs und Bismarcks, hat er dem Präsidenten klargemacht, daß Macht auf Balance beruht und jede Friedens-hoffnung im atomaren Zeitalter mehr denn je. Der inoffizielle .^Außenminister“ der USA zeigt auf der andern Seite einen auffallenden

Mangel an Interesse für die Etappe, die „Heimatfront“, die aHein auf längere Sicht eine systematische Außenpolitik durch ihr Vertrauen garantieren kann. Sieht er die Probleme, die sich ergeben können, wenn ethnische Minderheiten allgemeine Konzeptionen in Frage stellen, dadurch, daß sie fragen: „Ist das gut für russische Juden, für die von der Apartheid beleidigten Neger oder für den Staat Israel?“ Um drei Beispiele herauszugreifen: Ist er interessiert daran, daß nicht nur in der Frage des Vietnamkrieges — der Durchschnittsamerikaner die FoLgerichtigkeit der von Nixon verfolgten Außenpolitik in seine eigene Konzeption einbeziehen kann? Man weiß es nicht recht. Er hat sich nie dazu geäußert. Jede politische Administration oder Partei hat in den USA mit dem Phänomen der „ethnischen“ Gruppen zu rechnen, die ihre eigenen Gesichtspunkte in die öffentliche Diskussion einführen. Das wirkt sich nicht zuletzt in Wahljahren aus, in denen jeder Kandidat in lokalen, einzelstaatlichen und föderalen Kontesten sorgfältig darauf bedacht sein muß, den Emotionen und Interessen mehrheitlich ethnischer Wähler-Reservoire Rechnung zu tragen.

Immer wieder wird der Versuch unternommen, eine gemeinsame Strategie der betreffenden Gruppe im nationalen Rahmen zu entwik-keln, die von Fall zu Fall dann auf lokaler Basis Überwindung fraktioneller, organisatorischer Differenzen bedeuten und einheitliches Handeln garantieren kann.

Bisher sind diesbezügliche Versuche, scheint es, nicht allzu glücklich verlaufen, ganz abgesehen davon, daß der Gedanke des „block vote“, von dem man erhofft hatte, daß die betreffende Gruppe danach prozentual zur Gesamtbevöikerung in den verschiedenen Administrationen vertreten sein werde, die Gefahr weiterer Polarisation heraufbeschwört, wenn sich den weltanschaulich oder berufspolitisch begründeten Ansprüchen ethnische Autonomieforderungen anfügen.

Aber wichtiger ist, daß keine Gruppe wirklich die ihr statistisch zuzurechnende Wählerschicht wirksam garantieren kann. Das Labor Movement ist ein Beispiel dafür. Mehr als einmal hat die Gewerkschaftsführung erlebt, daß ihr „Herauskommen“ für spezielle Kandidaten nur unvollkommenes Echo in den Verbänden hervorrief.

Aber wenn beim Einzelwähler das Mißtrauen gegen den empfohlenen Kandidaten großteils daher kommt, daß er nicht sicher ist, ob der Betreffende energisch genug für soziale und wirtschaftliche Forderungen der Arbeiter einzutreten bereit ist, wird die Unsicherheit, ob es überhaupt möglich ist, ein einheitliches Vorgehen der ethnischen Gruppen zu erreichen, drohend, wenn ideologische Differenzen innerhalb einer Community und innerhalb einer nationalen Vertretung ihre ausschlaggebende Rolle spielen.

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