6882924-1979_16_04.jpg
Digital In Arbeit

Wahlmüde Studenten steuern Rekordtief an

19451960198020002020

„Igle Dich nicht ein“: Dieser Aufruf auf den Plakaten der „Jungen Europäischen Studenteninitiative“ (JES) drückt am deutlichsten die Sorgen der Hochschulpolitiker aus. Bei den letzten Wählen vom 11. und 12. Mai 1977 nahmen nur 38,7 Prozent aller Hochschüler ihr Stimmrecht wahr. „Heuer wird die Wahlbeteiligung die 35-Prozent-Marke nicht überschreiten“, gibt sich der ÖSU-Wahlkampfstratege Karl Schön besonders pessimistisch.

19451960198020002020

„Igle Dich nicht ein“: Dieser Aufruf auf den Plakaten der „Jungen Europäischen Studenteninitiative“ (JES) drückt am deutlichsten die Sorgen der Hochschulpolitiker aus. Bei den letzten Wählen vom 11. und 12. Mai 1977 nahmen nur 38,7 Prozent aller Hochschüler ihr Stimmrecht wahr. „Heuer wird die Wahlbeteiligung die 35-Prozent-Marke nicht überschreiten“, gibt sich der ÖSU-Wahlkampfstratege Karl Schön besonders pessimistisch.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Gründe für das Desinteresse der Studenten an der Hochschulpolitik sind mannigfaltig. Nach dem Inkrafttreten des Universitäts-Organisationsgesetzes (UOG) 1975 und der damit rechtlich abgesicherten Mitbestimmung wußte man einige Zeit nichts mit diesem Gesetz anzufangen. Durch das Zuerkennen eines allgemein-politischen Mandates durch Wissenschaftsminister und Studentenmutter Herta Firnberg ermuntert, organisierte man Solidaritäts-Kundgebungen für Vietnam, Unterstützung für das Russell-Tribunal, Aktionen gegen den Schah und einiges mehr.

Ziel der meisten Studenten ist es aber, das Studium so schnell wie möglich abzuschließen, um mit dem akademischen Diplom in der Tasche eine gut bezahlte berufliche Laufbahn einschlagen zu können. Zu dieser ohnehin schon ungünstigen Ausgangssituation könnte der knappe Abstand zwischen Nationalratswahlen und ÖH-Wahlen (16. und 17. Mai) die Wahlbeteiligung weiter drücken. Ein weiteres bekanntes Problem ist, daß bis zu 30 Prozent der Wahlberechtigten kaum als „Studenten“ anzusprechen sind.

Seit zwei Jahren besitzt die „österreichische Studentenunion“ (ÖSU) mit 33 von 65 Mandaten die absolute

Mehrheit im Zentralausschuß (ZA), dem obersten Studenten-Parlament. Mit plakativen Aussagen wie „Wir haben alle Probleme, lösen wir sie gemeinsam“, will man die Studenten einerseits zum Engagement motivieren, anderseits aber auch interne Schwierigkeiten vertuschen.

War bis vor zwei Jahren der Car-tellverband (CV) tonangebend in der ÖVP-nahen Hochschulfraktion, so löste die Bestellung des Nicht-CVers Fritz Pesendorfer zum ÖH-Vorsit-zenden einen seit dem letzten Wahlsieg andauernden Machtkampf aus. Für zusätzliche Auseinandersetzungen sorgte der Entwurf eines Grundsatzprogramms mit marxistischen Zügen durch die Linzer ÖSU-Grup-pe. Fazit Die ÖVP wollte die Schulden nicht mehr abdecken und die Zahlungen überhaupt einstellen.

Seit einiger Zeit zeigt man sich aber wieder als geeinte Fraktion und versucht, die 48 Prozent der Stimmen vom letzten Wahlgang zu verteidigen. Der neue ÖSU-Spitzenkandidat für den Zentralausschuß, der Salzburger Fritz Lenkh, ist ein Kompromiß-Mann der beiden rivalisierenden Blöcke innerhalb der ÖSU.

Die ÖH kann unter der Führung Pesendorfers freilich auf einige Erfolge hinweisen: Schaffung einer Wohnungs-Servicestelle, Bemühungen um Erhöhung der Stipendien, Kampf um Aufhebung der Altersgrenze (27 Jahre) für Kinderbeihilfen, ÖBB-Ermäßigung und Netzkarten bei den städtischen Verkehrsbetrieben.

Ein Naheverhältnis zur ÖVP wird .derzeit nicht -abgestritten, für -den teuren Wahlkampf erhofft man sich auch finanzielle Unterstützung durch die Volkspartei „im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten“.

Walter Schwarzenbrunner, Spitzenkandidat des „Verbandes Sozialistischer Studenten Österreichs“ (VSStö), der mit elf Mandaten zweitstärksten Fraktion, sieht die absolute Mehrheit der ÖSU durch die bundesweite Kandidatur des Forum (einer Rechtsabspaltung der ÖSU unter Führung einiger CVer) bereits gebrochen. Ihm erscheint nach der Wahl eine Zusammenarbeit mit der ÖSU in einzelnen Sachfragen als nicht unwahrscheinlich.

Im Gegensatz zu anderen Hochschulparteien möchte der VSStö im

Wahlkampf auch Grundsatzfragen erörtern. Schwarzenbrunner sieht die Universität nicht isoliert von der Gesellschaft, er kann sich eine Änderung des derzeitigen Bildungssystems nur Hand in Hand mit einer Veränderung der Gesellschaft vorr stellen. Die sozialistischen Studenten wollen noch vor der Wahl in den Schoß der Mutterpartei zurückkehren, weil so vermutlich die für die

WahlkampfcFtihrang- notwendigen Gelder leichter flüssig gemacht werden können.

„Etikettenschwindel“ werfen die JES-Chefs Michael Ikrath und Rainer Stepan der ÖSU vor: Unter den Fahnen der ÖVP sei sie in den letzten Wahlkampf gezogen, habe dann aber sozialistische Politik gemacht. Daß die „christlich, demokratisch, sozial, konservativ und europäisch“ gesinnten JES-Studenten die Volkspartei liniengetreuer auf der Hochschule vertreten wollen, zeigen sie schon im Wahlkampf. Auf ihren Plakat-Ständern kleben ÖVP-Blumen, die den neuen Frühling ankündigen, zu Diskussionen werden vorrangig ÖVP-Politiker eingeladen.

Daß das JES-Rezept erfolgversprechend sein kann, zeigt der Wer* degang dieser Fraktion: Bei der ersten Kandidatur 1975 erreichte JES nach intensivem Wahlkampf vier Mandate, 1977 waren es schon sieben. Spitzenkandidat Rainer Stepan erwartet diesmal einen Sprung auf elf Mandate, wobei nach seiner Rechnung die zusätzlichen Mandate der ÖSU und dem „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS) abgeknöpft werden könnten. Die finanziellen Mittel für den JES-Wahlkampf kommen neben der ÖVP aus Kreisen der österreichischen Industrie sowie von dem Bayern-König Franz Josef Strauß nahestehenden „Paneuropäern“.

Als Ziel für die. Arbeitsperiode nach der Wahl hat sich JES die Reak-tivierung der lethargischen Studenten für die Mitbestimmung an den Universitäten gesteckt.

Als vierte an der Plakatschlacht .teilnehmende Kraft tritt der RFS auf. Man versucht, mit neuem Image jene Stimmen wiederzugewinnen, die 1975 verloren wurden. Durch das Aufstellen einer weiblichen Spitzenkandidatin, der Salzburgerin Christiane Schüller, versuchen die RFS-Funktionäre vom degenschwingenden Burschenschafterbild wegzukommen.

Auch bei den Werbeslogans blickt man in die Zukunft und nicht zurück:

Fürs Uberleben nach dem Jahr 2000 fordern die RFSler Institute für Umweltschutz und Ökologie, das Erarbeiten neuer Wirtschaftstheorien und das Forcieren alternativer Energiequellen.

Nur untergeordnete Rollen werden in diesem Wahlkampf die Kleingruppen der „Linken“ spielen. Wenn jedoch die „Gruppe Revolutionärer Marxisten“ (GRM), der „Kommunistische Studentenverband“ (KSV) und die „Liste Kommunistischer Hochschüler“ (LKH) wieder als Sammelliste „Lili“ (Linke Liste) kandidieren, dann werden sie, ausgestattet mit einigen Mandaten, in der nächsten Periode versuchen, im Zentralausschuß ihre revolutionären Töne anzuschlagen.

Auf der anderen Außenseite des ideologischen Spektrums nehmen die Vertreter der „Aktion Neue Rechte“ (ANR) Anlauf auf ihr erstes Mandat, um dann mit „schlagkräftigen“ Argumenten deutschtümelnde Parolen von vorgestern verbreiten zu können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung