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Wahlr echt für Mehmet?

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Derzeit wäre ein Wahlrecht für Ausländer in Österreich - auch auf kommunaler Ebene - verfassungswidrig. Aber „Internationalisierung“ ist die Aufgabe unserer Zeit.

Ja oder nein. Das ist hier die Frage, öffentlich: Denn Publizität reduziert die Komplexität. Komplizierte Fragen werden einfach zu „dafür oder dagegen?“, auch wenn ein „Ja, aber“ oder ein „Nein, aber“ der praktischen Vernunft entsprechen. Ausländische Beispiele werden unvollständig zitiert, die EG wird von EG-Geg- nern strapaziert, mit der Nation Österreich wird von Gegnern der Nation Österreich für „dagegen“ plädiert.

Die Bundesverfassung wird meist ignoriert. Warum wird nicht auf diesen Grundkonsens rekurriert? Vielleicht, weil dieser Weg wieder problematisiert und kompliziert.

Die Verfassung verbietet nämlich das Ausländerwahlrecht auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene. Sie behält das Wahlrecht ausdrücklich Staatsbürgern vor. Das überrascht nicht bei einem Grundgesetz, das das Grundrecht der Gleichheit ausdrücklich nur Staatsbürgern gewährleistet. Die Gleichheit vor dem Gesetz war in der Monarchie nach dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte „der Staatsbürger“ Staatsbürgern Vorbehalten. Die Republik hat das beibehalten. Das österreichische Gleichheitsrecht ist kein Menschenrecht (wenn auch internationale Verträge gewisse Ausnahmen normieren).

Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist nach dem Ersten Weltkrieg entstanden und hat den Souverän „Volk“ als „Staatsbürgervolk“ konstituiert. Der staatsbürgerliche Gleichheitsgrundsatz ist hinsichtlich des Wahlrechts zu den allgemeinen Vertretungskörpern auf Bundes», Landes- und Gemeindeebene zusätzlich noch in den Artikeln 26, 95 und 117 B-VG festgelegt. Diese „demokratische Nationalstaatlichkeit“ ergab sich historisch-politisch. Sie ist aus der Entstehungszeit und -ge-

schichte der Verfassung ebenso zu verstehen wie das Verfassungsgebot der deutschen Sprache als Staatssprache.

Verfassungen nach dem Zweiten Weltkrieg sind „internationaler“. Das Gleichheitsrecht ist dort schon Menschenrecht. Wir aber kehrten 1945 wieder ins Verfassungsgesetz 1920 zurück. In seiner Nationalstaatlichkeit konstituierten wir uns erst als Nation Österreich, wobei die nationale Souveränität durch Neutralität gesteigert wurde. Die Suche nach dieser Identität hat die österreichische Seele nicht kosmopolitisch werden lassen. Unsere Nationalität ist Lokalität, Regionali- tät, Provinzialität geworden, zu wenig Internationalität. Aber In- terregionalität und Reziprozität sind Wege dazu.

In diesem Übergang treffen uns Fragen der Internationalisierung Österreichs, des EG-Beitritts, der Entwicklungspolitik, der Weltausstellung, des Wahlrechts der Österreicher im Ausland, des Ausländerwahlrechts. Wir haben „introvertierend“ Identität gefunden. Jetzt sollen wir uns öff nen. Öffnung nach innen und außen ist unsere Herausforderung geworden. Die „Liberalisierung“ und „Internationalisierung“ Österreichs ist die große staatspolitische Aufgabe unserer Zeit. Sie verlangt nach einem Konzept.

Derzeit werden die Probleme isoliert diskutiert, und die Interessen gruppieren sich im Für und Wider der Einzelheiten. Die Diskussion der Details bleibt uns nicht erspart. Aber Politik soll auch Großes und Ganzes sein. Gerade in der Zeit des Überganges von der Staatssouveränität zur Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit aller Völker bedarf es der Vorsorge durch vorausschauende Politik.

Unsere Republik ist durch mehr als 2000 Verträge formell international gebunden und verflochten. Die faktischen Interdependenzen sind nicht zu zählen. Jede auftretende Frage hat internationale Aspekte. Sie sind nicht immer bewußt. Aber wie die Außenpolitik immer mehr zur Weltinnenpolitik geworden ist, wird Innenpolitik immer mehr auch zu einer Außenpolitik.

Der weise Rat, wir sollten uns mit großen Problemen beschäftigen, solange sie noch klein sind, kann selten befolgt werden. Beim Ausländerwahlrecht (FURCHE 7/1989) könnte es der Fall sein. Aber auch diese Diskussion gehört in den Rahmen eines größeren Internationalisierungskonzepts. Solange Österreicher, die im Ausland sind, nicht wählen dürfen, obwohl die Republik allen Österreichern das Wahlrecht verbürgt, kann von einer Politik der Internationalisierung Österreichs keine Rede sein.

Eine isolierte Diskussion des Wahlrechts von Ausländern in Österreich wird von vielen Auslandsösterreichern, die derzeit auf keiner Ebene wählen dürfen, nicht verstanden. Sie haben derzeit schon ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht, das die Republik nicht erfüllt, für Ausländer müßte erst einmal die Verfassung geändert werden! Derzeit wäre ein Wahlrecht für Ausländer auch auf kommunaler Ebene verfassungswidrig.

Um Menschenwürde

Das kommunale Ausländerwahlrecht im Ausland ist im übrigen meist in mehrfacher Hinsicht beschränkt. Es ist nirgends ein „Weltbürgerrecht“, wie manchmal behauptet wird. Die Zuerkennung eines kommunalen Wahlrechts, und auch das nur auf bestimmte Ausländer, auf Gegenseitigkeit und Ortsteile beschränkt und nach einem Wohnsitz von mehreren Jahren — in Hamburg sind es acht — ist nicht gerade Ausdruck von großzügiger Weltoffenheit.

Nach wie vor halte ich eine politische Lösung für besser, Welche die Integration und Partizipation über die Staatsbürgerschaft sucht. Dabei ist der Vorschlag des Stuttgarter Oberbürgermeisters Rommel auch in Österreich diskussionswürdig, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu tolerieren. Im Sinne der Vielfalt, Weltoffenheit und der multikulturellen Gesellschaft der großen Städte plädiert er für die Verleihung der Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit, allerdings beschränkt auf europäische Ausländer.

Wer mit Ausländern diskutiert, weiß aber, daß es ihnen im wesentlichen nicht um Wahlrecht und Staatsbürgerschaft geht, sondern um die Behandlung als Mensch wie du und ich. Es geht um die Menschenwürde.

Der Autor, Professor für Rechtslehre, ist Dritter Präsident des Wiener Landtages.

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