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Wahnsinnsgalopp
Szene: Wien 1986. Ein pri-vatversicherter Patient erzählt einem Freund, er habe sich trotz eines Gesamtrech-nungsumfangs von 100.000 Schilling bei einem Spitalsaufenthalt nicht sehr aufmerksam betreut gefühlt.
Der Freund will wissen, wieviel der Arzt bekommen habe. Eine ordentliche Summe, „denn ich bin ja privatversichert“. — ,JNein, nicht das Offizielle. Wieviele Tow-sender hast du ihm schwarz noch auf die Hand bezahlt? Es ist doch üblich, konkret nach der Summe zu fragen. Vor der Operation natürlich!“
Staunen, Kopfschütteln. Entsetzen. Wenn das stimmt, ist es ein Skandal. Umfrage unter Bekannten, Es stimmt. Zumindest da und dort in Wien. Die schwarzen Extratausender für den Primär sind der Extra-Tupfen auf einem Zustand, der an sich schon ein Skandal ist.
Die Kosten in Österreichs Krankenhäusern explodieren, weil es keinen Anreiz zum Sparen gibt. Im Gegenteil: Anreize bestehen in Richtung Verschwendung.
Je mehr Spitalstage ein Krankenhaus verrechnet, um so mehr Qeld kommt von der sozialen oder der privaten Krankenversicherung ins Haus. Also werden die Patienten länger als nötig im Spital behalten, ja schon öfter als nötig dorthin eingewiesen. Die sprunghafte Zunahme der Einweisungen belastet die Versicherungen schon erheblich mehr als das Steigen der Pflegesätze.
Manche schlagen an Stelle der Entschädigung nach pauschalen Tagsätzen ein leistungsorientiertes System vor. Aber auch damit hat man in der Bundesrepublik Deutschland keine besonders guten Erfahrungen gemacht: Es verführt zu schamloser Ausweitung der Leistungen und damit auch zu einer Expansion der ohnehin schon sündteuren Apparatemedizin.
Ein Nierensteinzertrüm-merer, um beim derzeit berühmtesten Beispiel zu bleiben, kostet 40 Millionen Schilling. Drei hat Österreich, und das würde genügen. Aber nein: Vier weitere sind schon angeschafft. Irgend jemand zahlt sie ja auf jeden Fall.
In Wirklichkeit zahlen sie auf jeden Fall die Steuerzahler. Und Privatversicherte müssen immer höhere Prämien entrichten, die in keiner Weise mehr dem Zusatzwert von Versorgung und Komfort in der Sonderklasse von Spitälern entsprechen.
Kein Wunder, daß ihre Zahl zurückgeht. Kein Wunder, daß die Zahl der Privat-spitäler wächst, die für mehr Geld auch mehr bieten. Um so weniger nehmen dann öffentliche Spitäler ein. Diesem Kostengalopp müßte der Gesundheitsminister auch ein Tempolimit setzen.
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