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Wald gestorben — Diagnose folgt?

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Man spricht von Kalk und Dünger für den Wald. Die Forschungsinitiative gegen das Waldsterben sieht darin eher eine Bekämpfung der Symptome als der Krankheitsursachen.

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Man spricht von Kalk und Dünger für den Wald. Die Forschungsinitiative gegen das Waldsterben sieht darin eher eine Bekämpfung der Symptome als der Krankheitsursachen.

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„Das Waldsterben hat viele Gesichter — eine allgemeingültige Formel gibt es nicht“ — das ist die Quintessenz der neuesten Studie über die Ursachen des Waldniederganges in Österreich im Rahmen der Forschungsinitiative gegen das Waldsterben. Dieser „Versuch einer Einschätzung der Situation“ ist eine Zusammenarbeit zahlreicher Fachleute österreichischer Universitäten und der Forstlichen Bundesversuchsanstalt.

„Die derzeitige Niedergangsphase des Waldes in Mitteleuropa ist nicht eine Frage des Entweder —oder, sondern ist Ausdruck engverflochtener Umgestaltungsprozesse im ökologischen System des Waldes“, warnt Erwin Führer, Leiter des Instituts für Forstentomologie und Forstschutz der Uni-

versität für Bodenkultur in Wien, vor Verallgemeinerungen und einer isolierten Betrachtung einzelner Belastungen.

Seit Beginn der achtziger Jahre entstanden unzählige Hypothesen. „Sie entbehrten oftmals ebenso einer Untermauerung, wie die Vermutung, daß das weltweite Phänomen Waldsterben auf eine neue, einzige Ursache zurückgeführt- werden_könne. Die Überprüfung dieser Hypothesen hat bisher nicht dazu geführt, daß eine einzige, wahre Ursache übriggeblieben wäre“, ergänzt Gerhard Glatzel, Leiter des Institutes für Forstökologie.

Die umfangreichen Analysen, Messungen, Vergleiche und weitgestreuten Beobachtungen der Wissenschaftler sollen nun beweisen, daß das Gesamtbild des heimischen Waldsterbens Ausdruck eines räumlichen und zeitlichen Mosaiks unterschiedlicher Waldschäden ist. „Zur Aufdek- kung der Ursachen muß eine Vielzahl von Faktoren, wie Witterungseinflüsse, Schadstoffbelastungen und menschliche Eingriffe in die Wälder und deren Umweltbedingungen berücksichtigt werden“, erklärt Glatzel, „dabei hat sich gezeigt, daß das Ausmaß und der Verlauf der Schädigung stark von lokalen Gegebenheiten abhängen. Bei zukünftigen Sanierungsmaßnahmen müssen daher verschiedenste Bedingungen einbezogen und in Zusammenhang gebracht werden.“

In Zusammenhang gebracht wurden beispielsweise frühere menschliche Eingriffe mit der heutigen Erkrankung der Wälder: Viele, in den Nachkriegsjahren aus Unkenntnis gemachte Fehler rächen sich erst jetzt. Durch Waldweiden, Streunutzung und Baumbeschneidung sind viele Waldböden erheblich vorbelastet, so daß an vielen Standorten nur mehr anspruchslose Kiefernoder Heidewälder gedeihen.

Eine Wurzel des Waldsterbens vermutet man auch in der starken Ausweitung der Fichtenmonokulturen, deren gutes Wachstum durch enorme Bodenverschlechterung erkauft wurde. Die forstliche Nutzung, Waldschneisen und Forststraßenbau, Lifttrassen und Skipisten, haben im gesamten Waldökosystem negative Spuren hinterlassen.

Einen nicht unerheblichen Einfluß auf das gesamte biologische Gleichgewicht unserer Wälder schreibt man verschiedenen extremen Witterungsbedingungen der letzten zwei Jahrzehnte zu: Auf markante Trockenperioden mit erhöhter Sonneneinstrahlung reagieren Fichten mit Nadelabwurf und Kronenverlichtung, eine Art Selbstschutz-Mechanismus. Plötzliche Temperaturstürze, wie sie in den letzten Jahren auftraten, schwächen die Widerstandskraft des Baumbestandes empfindlich und tragen möglicherweise zu seinem Niedergang bei.

Zu den wohl am häufigsten diskutierten Verursachern des Waldniederganges zählt die Luftverschmutzung; über die tatsächliche Schadstoffbelastung unserer Wälder gibt es wegen der aufwendigen Meßmethoden jedoch nur spärliche Daten.

Als unumstritten stellen die Wissenschaftler aber fest, daß durch die hohe Filterleistung hochaufragender Baumkronen die Wälder den verschiedenen Schadstoffen, vor allem irr Nebel;- Tau oder Reif, in besonderem Maße ausgesetzt sind. Dazu gehören vor allem Säuren oder versauernd wirkende Stoffe, aber auch Schwermetalle - etwa aus Treibstoffen. Wälder an Kammlagen und Oberhängen sind weit mehr betroffen als solche in geschützten Tälern und Mulden. Besonders sichtbar werden die Schäden bei nahegelegenen Hüttenwerken, metallverarbeitenden Industrien oder Müllverbrennungsanlagen.

Gerhard Glatzel plädiert daher für eine drastische Senkung der Schwermetallemissionen, „da diese Stoffe über lange Zeit gespeichert werden und in die Nahrungskette gelangen können - obwohl diese Belastung generell nicht hoch genug ist, um als pri-

können“.

Mit dem schlechten Gesundheitszustand unserer Wälder wird aber auch ein völlig neues Phänomen in Zusammenhang gebracht: die überreichliche Stickstoffversorgung bei zunehmender Versauerung der Waldböden. „Auf eine erhöhte Stickstoffzufuhr, wie sie teilweise aus den Stickoxiden unserer Kfz-Motoren stammt, oder als Ammoniumstickstoff aus landwirtschaftlicher Düngung und Tierhaltung freigesetzt wird, reagieren Bäume zunächst mit verbessertem Wachstum“, erklärt Glatzel in der Studie, „wenn dabei die Aufnahme anderer Elemente nicht Schritt halten kann, kommt es zu einseitigem Nährstoffmangel, häufig Magnesiummangel, der Waldbestand ist anfälliger für Frost, Trockenheit, Schädlinge und Krankheiten.“

Stickstoffverbindungen führen nicht nur zu dramatische#! Um-

Stellungsprozessen in Waldökosystemen, sondern beeinflussen möglicherweise auch atmosphärische Prozesse — man sollte ihnen daher in Zukuft besonderes Augenmerk schenken.

Die Erforschung der Ursachen für den mitteleuropäischen Waldniedergang stößt insgesamt auf große Probleme - nicht zuletzt deshalb, weil die verschiedenen Organismen im ökologischen System des Waldes eng miteinander verflochten sind. Das biologische Gleichgewicht und dessen Stabilität kann durch geänderte Lebensbedingungen in diesem System ins Schwanken geraten und sich krankhaft entwickeln.

Bei der Bewertung der Belastungen müssen daher deren Auswirkungen auf das Beziehungsgefüge der Organismen berücksichtigt werden — diese sind jedoch sehr schwer vorauszusagen. „Sol-

Ort che Veränderungen im ökologischen System bleiben oft lange Zeit imerkannt, und Baumerkrankungen treten vorerst nicht in Erscheinung“, meint Erwin Führer. Ein vermeintlich gesunder Wald kränkelt bereits — dies gilt zum Beispiel für Wälder, die natürlichen Belastungen (Klimastreß, überhöhter Wildbestand) nicht mehr gewachsen sind.

Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn offensichtlich gewordene Krankheitsmerkmale nicht auf eine bestimmte Ursache schließen lassen — und unterschiedliche Einflüsse zu ähnlichen Merkmalen führen.

Oft ist bereits die Suche nach einem „Ungeschädigten Vergleichsbaum“ schwierig, da die Vitalität eines Baumes objektiv nicht meßbar ist.

Diese Problematik muß auch in zukünftigen Sanierungsmethoden berücksichtigt werden - dies trifft besonders auf den Nährstoffmangel zu, der von Luftschadstoffen herrührt, gebietsweise jedoch sehr verschieden ist. Die Frage, ob Kalk und Dünger als Medizin für kranke Wälder die Zukunft gehöre, löst daher bei den Wissenschaftlern eher Unbe hagen aus.

Glatzel: Obwohl diese Maßnahmen bei richtiger Anwendung positiven Einfluß ausüben, bedeuten sie doch einen Eingriff in das gesamte Ökosystem und haben Auswirkungen auf das Landschaftsbild, die Lebensbedingungen der Tierwelt wie auch auf die Qualität des Grund- und Quellwassers.

Kalk und Dünger behandeln bloß Krankheitssymptome - Wälder werden von einer Dauerbehandlung abhängig, wie der Kopfweh-Patient vom „Pulver“, und brechen beim Ausbleiben dieser „Medizin“ erst recht zusammen. Dennoch wird dieser zweifelhafte Weg - eine schmale Gratwanderung zwischen gerechtfertigten Verbesserungsbemühungen und der Gefährdung erhaltenswerter Biotope — anerkannt und unterstützt werden.

Es ist für die Politik nämlich attraktiver, dem Waldsterben mit Geld für neue Arbeitsplätze bei der Herstellung und Anwendung der „Waldmedikamente“ zu begegnen, als den Bürgern Einschränkungen abzuverlangen und die Luftverschmutzung auf ein tragbares Maß zu reduzieren.

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