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WALDER IM DAUERSTRESS

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FURCHE: Eigentlich sehen unsere Wälder recht gesund aus...

PROFESSOR HEINRICH WOHLMEYER: Ja. Wer durch den Wald geht, sieht nicht die viele Leichen, die dauernd weggeräumt werden. In meinem Wald lebe ich nur von der laufenden Durchforstung. Ich nehme gar keine Waldschlägerung mehr vor -eine teure Art der Holzgewinnung. Sorge bereitet mir, daß die Zukunftsstämme besonders leiden. Sie gehören zu den am schwersten geschädigten Bäumen.

FURCHE: Was ist ein Zukunftsstamm?

WOHLMEYER: Das sind die „besten” Exemplare in einem Wald. Wo geschlägert wird, läßt man sie stehen, damit sie sich vermehren. Die schönsten Bäume sollten für den Nachwuchs sorgen. Weil sie freistehen, bekommen sie besonders viele Immissionen ab und gehen zugrunde. Die natürliche Verjüngung funktioniert nur mehr schlecht. Weiters: Der Anteil der keimfähigen Samen der Bäume nimmt stark ab. Bei den Tannen ist dieser Wert seit den fünfziger Jahren auf ein Zehntel gesunken. All das zeigt, daß die Lage unseres Waldes alles andere als gut ist. Und noch etwas stimmt bedenklich: In den Bergwäldern gab es immer starke Rohhu-mus-Auflagen...

FURCHE: Was ist Rohhumus?

WOHLMEYER: Das ist ein Amalgam unverrotteter Nadeln, Blätter, die untereinander verfilzt und durch Pil-'ze verwoben sind: das federnde Material, das wir im Wald unter den Füßen spüren. Es ist mikrobiologisch nicht voll aufgearbeitet. Dieser Rohhumus hat den Vorteil, daß er wie ein Schwamm Regen aufnehmen und langsam ableiten kann. Nun kurbelt die Stickstoff-Überdüngung aus der Luft das Bodenleben massiv an.

FURCHE: Was versteht man unter Bodenleben?

WOHLMEYER: Es handelt sich um die im Boden lebenden Bakterien, Protozoen, Pilze, kleine Insekten... Wo diese Lebenswelt ihre Aktivität intensiviert, kommt es zu einem Abbau der Rohhumusschicht. Eine Untersuchung von Professor Schinner aus Innsbruck am Pfänder in Vorarlberg hat das belegt: Die ursprüngliche Rohhumus-Schicht von 40 Zentimetern, die ein wesentlicher Feuchtigkeitsregulator war, ist binnen 30 Jahren auf acht bis zehn Zentimeter Mullboden abgebaut worden. Das ist jener feinstrukturierte, braune Boden, der eine geringere Wasserbindungsfähigkeit aufweist. Er wird bei größeren Niederschlägen viel leichter abgeschwemmt.

FURCHE: Wie spielt sich der Zusammenbruch eines Waldes ab?

WOHLMEYER: Bei Übersäuerung wird das Aluminium, das normalerweise unschädlich im Boden gebunden ist, freigesetzt und wirkt als Giftstoff. Der Wald wird vergiftet.'Eine andere Variante besteht darin, daß er so geschwächt ist, daß ihn die Schädlinge überrennen. Schädlingsbefall und Epidemien treten dann auf, wenn die Bäume schwach sind. Es ist irreführend, dann den Schädlingen alle Schuld zuzumessen. Ich selbst habe ein Waldstück, das in einer Westschneise liegt, stark dem Wind ausgesetzt. Ich hatte damit gerechnet, daß es noch zehn Jahre aushalten würde, tatsächlich aber war es in nur vier Jahren tot. Wir haben alles umschneiden müssen. Alles dürr.

FURCHE: Kennen sich die Bäume normalerweise gut wehren?

WOHLMEYER: Ja. Das Harz ist eine tolle Mixtur von Antibiotika: Wenn man einen Baum verletzt, sorgt dieser für den Wundverschluß. Da kommt dann kein Schädling hinein. Dringt ein Schädling ein, wird er abgekapselt und die Wunde, die der Schädling verursacht, wird „verbunden”.

FURCHE: Was soll man also tun?

WOHLMEYER: Auf Waldböden, die massiv versauern, behutsam Dolomit streuen. Dolomit ist ein Kalzium-Magnesium-Karbonat. Damit kann man der Säure gegensteuern.

FURCHE: Was geschieht dann?

WOHLMEYER: Es erholt sich das Bodenleben und die Bäume. Diese allerdings rascher. Jedenfalls muß man sehr vorsichtig vorgehen, nur ja nicht zu viel auf einmal geben. Den Säuregehalt rasch und stark zu verändern, verträgt das Bodenleben nicht gut.

FURCHE: Viele sagen: Der Wald lebt ja auch so gut, nur keine Panik...

WOHLMEYER: Denen muß man antworten. Ein an der Grenze dahinvegetierender Wald wird anfällig für den Zusammenbruch. Spricht man etwa mit Leuten, die für die Wildbach-und Lawinenverbauung im Gebirge zuständig sind - ich erinnere mich an Gespräche in Tamsweg -, dann sagen sie: Die Gerinne tiefen sich stark ein, die Erdabschwemmung nimmt zu, die Kleinereignisse werden zahlreicher...

Bachvermurungen, das Abrutschen von Waldstücken... Mit den derzeitigen Mitteln komme man kaum mit dem Nachbessern dieser Ereignisse nach. Nun bereiten Kleinereignisse aber Großereignisse vor. Übrigens spielt in diese Überlegungen auch der Nadelverlust der Fichten hinein: Dadurch verdunstet der Baum weniger Wasser. Es kann zu einem Wasserüberangebot im Boden kommen - und er rutscht. Und noch etwas: Mit dichtem Nadelkleid haben die Bäume viel Schnee aufgefangen. Durch die Temperaturveränderungen im Tagesverlauf hat dieser Schnee seine Kristalle so verändert, daß er „sperriger” wurde und nicht so leicht ins Rutschen kam, wie der Schnee, der jetzt durch die Bäume direkt auf den Boden fällt. Daher nehmen die Staublawinen zu und gefährden den Schutzwald.

Dr. Heinrich Wohlmeyer ist Leiter der Verbin-dungssstelle für Agrarwissensch. Forschung.

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