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Waldheims UNO

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Für Österreich war es ein Erfolgsfest, dieses Weihnachten 1971. Ein Österreicher an der Spitze der Weltorganisation — das ist für heimische Gazetten schon fast so viel wie eine Goldmedaille bei Olympischen Spielen. Der Vergleich hinkt?

Tatsächlich hat die Wahl des Doktor Kurt Waldheim so mächtig wie schon lange nicht die bekannten nationalen Minderwertigkeitskomplexe entlang des Alpenhauptkammes überwinden geholfen. Vom Lehrerbuben aus Sankt Andrä zum Chef des Palastes am East River! Die große, weite Welt, der man sonst nur respektvoll Nachrichten unterhalb heimischer Wichtigtuereien zumißt, hat mit einem Schlag mitten ins volle österreichische Leben gegriffen. Man wird jetzt nicht mehr nach Staberl-Manier die UNO zur Quatschbude der Unterentwickelten degradieren können — und wir prophezeien nichts Außerordentliches: die Waldheim-UNO wird eine ganz treffliche österreichische Presse erwarten dürfen.

Zum anderen hat die Wahl des UNO-Generalsekretärs eine Welle der Befriedigung über die so offensichtlich belobte und belohnte Neutralität Österreichs hervorgerufen. Fürwahr: karges Brot schmeckt wieder besser, trotz der Nichteinigung in Brüssel, trotz der weltweiten Lächerlichkeit, der sich dieses Land mit seinem entwaffneten Neutralitätsschutz ausgesetzt hat. Waldheim als Mister UNO — wer will da noch einem Lütgendorf Demontage am Bundesheer vorwerfen oder die zunehmende Spioniererei der Großen in diesem alpinen Naturschutzgärt-lein ernst nehmen? Wir sind wer.

Allerdings, um nicht mißverstanden zu werden: diese Wahl des österreichischen UNO-Botschafters kann in der Tat Befriedigung hervorrufen. Dies deshalb, weil Kurt Waldheim trotz seiner persönlichen Niederlage im April dieses Jahres bei den Präsidentschaftswahlen nicht aufgab und über lange Strecken im Alleingang so großartig Zustimmung bei den Delegierten in West und Ost, bei Schwarz und Gelb fand. Und weil offenbar die Überlegungen richtig waren und sind, die Österreichs UNO-Politik bisher bestimmten: zum ersten (entgegen dem Schweizer Modell) Mitgliedschaft in der Weltorganisation, zum anderen eine aktive Rolle, die auch bei den Aktionen der UNO kein Abseitsstehen gestattete.

Studiert man die Auslandskommentare zur Wahl Waldheims, wird bereits klar, welche Einschätzung dieser Wahlakt gefunden hat. Der Osten zeigt sich positiv und zuversichtlich. Die Dritte Welt nimmt die Wahl eines Europäers in Kauf, weil sie in sich selbst so zerstritten ist, daß sie sich (noch) auf keinen eigenen Kandidaten einigen konnte. Der Westen freilich ist eher skeptisch: Waldheims Position wird zum Teil höflich mit „neutralistisch“ umschrieben, was jedenfalls eine schiefe Ebene für die Politik Österreichs darstellen müßte. Aber allzu viele scheinen im neuen UNO-Chef eine Persönlichkeit zu vermuten, die nicht allzuhart in den Rädergang separatistischer und nationalistischer Entwicklungen' eingreifen werde. Ein schwacher Generalsekretär — soll das tatsächlich die Rolle des höchsten internationalen Beamten sein, den die Republik hervorbrachte?

Waldheims UNO umfaßt im Gegensatz zur UNO unter seinen Vorgängern alle Großmächte. Und in Kürze darf erwartet werden, daß auch die beiden Deutschland am East River einziehen. Sollten sich die Kritiker in der Schweiz durchsetzen, dann wird selbst unser westlicher Nachbar nicht mehr allzu lange außerhalb der Weltorganisation stehen. Die UNO kann also unter Waldheim gerade das werden, was sie sein soll: ein wirkliches Forum der Welt.

Ein Forum allerdings, auf dem die Szene für ein universales Schauspiel geprobt wird, dessen Schauspieler noch hinter dem Vorhang stehen. Aber diese nächsten Jahre werden unvermeidlich einen weltpolitischen Szenenwechsel offenbaren — und die UNO wird der Schnürboden dieses Schauspiels sein: die Konfrontation der gelben, braunen und schwarzen Entwicklungsländer unter Chinas Führung mit den Industrienationen unter Washingtons und Moskaus Führung. Weiß gegen braun, gelb, schwarz; reich gegen arm.

Waldheim: er hat heute das Vertrauen beider Seiten. Kann er dieses Vertrauen behalten? Erhalten — und um welchen Preis? Das ist die eigentliche Gewissensfrage an den bald immer einsamer werdenden Mann, der die Wärme seiner Heimat gegen die Kälte einer grausamen Welt vertauschen muß.

Waldheim wird wissen müssen, daß er um Entscheidungen nicht herum kommt — und daß Entscheidungen nicht populär sein werden. Nur die Kraft und die Bereitschaft zur Entscheidung aber wird in seinem Amt weiterhelfen.

So ist Waldheim der Mann, der Neutralität garantiert, nicht aber Neutralismus. Wie auch Österreich im internationalen Spiel. Neutralität zwingt keine Gesinnung, sondern nur eine bestimmte völkerrechtliche Gestion auf. Neutralität ist daher auch keine Weltanschauung. Das gilt für das Land, das gilt für den Mann.

Es scheint wichtig zu sein, Klarheiten über so substantielle Fragen auch bewußt zu machen. Denn Österreich wird sich nicht drücken können, mehr denn je Engagement in den möglichen zukünftigen und häufigen Aktionen der UNO zu beweisen. Und man wird dieses Engagement schon im Hinblick auf die Heimat des Generalsekretärs abverlangen. Wien wird nicht zögern können, wenn New York ruft.

Das verlangt freilich ein wenig öffentliches Umdenken ab. Die Einstellung zur Weltpolitik hat ja hierzulande — anders als in der bereits geübten Schweiz oder in den nordischen Ländern — seit langem schizophrene Züge. Man hat trotz Informationsexplosion und trotz touristischer Integration die Außenpolitik tabuisiert und ihr die „Heile Welt“ daheim entgegengesetzt. Und die UNO-Soldaten aus Österreich? Welch ein Grund zum Belächeln und Auslachen...!

So gesehen, könnte die Wahl des Kurt Waldheim, eines so sympathischen, erfolgreichen Landsmannes, endlich auch das Ende des öden Isolationismus bedeuten, der seine wichtigste Funktion in der Selbst-bespiegelung des österreichischen Nabels sieht. Es gilt, dieses Österreich aus seinem Schlummer zu reißen. Die Welt kann offensichtlich tüchtige Österreicher brauchen. Wir könnten sogar beweisen, daß wir noch mehr davon haben.

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