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Wanderschaft und Fremde
In den elf Vorlesungen der Inter- nationalen Sommerakademie der Hochschule Mozarteum, die Peter Härtling vor Sängern, Liedbeglei- tern und Literaturfreunden hielt, ging es um ein Thema von bestür- zender Aktualität: Wanderschaft und Fremde, aufgezeigt an den Zyklen „Die schöne Müllerin" und „Winterreise". Es war eine späte Rehabilitierung des oft verkannten Dichters Wilhelm Müller (1794-1827), dessen Texte Franz Schubert (1797-1828) vertonte. Härtling, dessen Buch „Der Wan- derer" vor zwei Jahren erschien, spricht von der „gewaltigen poeti- schen Substanz eines der bedeu- tendsten Lyriker der Spätroman- tik" und fügt hinzu: „Obwohl Mül- ler auch schauerliche Sachen ge- schrieben hat."
Aus der Müllerschen Dramatur- gie wird die Schubertsche. Er ver- ändert in Tempo und Grundrhyth- mus, oft auch an Worten und „stellt die Gedichte um". Die „Winterrei- se" , Schuberts eigentlicher Schwa- nengesang, veränderte ihn derart, daßein Zeitgenosse schrieb: „Schu- bert wurde durch einige Zeit düster gestimmt und schien angegriffen."
Härtling spannte einen weiten Bogen vom Begriff der Wander- schaft, eines In-der-Natur-Seins, das wir längst verloren haben, über die uralte Frage nach dem Woher und Wohin bis zur stimmigen
Kunst-Fertigkeit der Metaphorik in den gewählten Gedichten. Er erwähnte auch die ganz feine Herz- Schmerz-Ironie, die bei Müller schon anklingt und später bei Hei- ne zum bewußten Stil-Mittel wird.
Vorher aber noch: das „klassi- sche Naturgefühl" Goethes, seine ganz in sich ruhenden und aus die- ser Ruhe steigenden Verse in „Wan- derers NachÜied " - dann aber schon der Sprung in die Un-Ruhe in „Will- kommen und Abschied": „Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde".
Härtling versteht sich auf die Kunst des „Springens", im Sprung Assoziationen herzustellen, Atmo- sphäre zu beschwören, gleicherma- ßen Appelle an Gefühl und Ver- stand zu richten. Wenn ihn eine Gestalt, ein Vers sehr berührt, sagt er schlicht: „Hier erklär' ich nichts mehr" und nimmt die Hörer in die Verantwortung der Weiterführung. Die existentielle Unruhe der Wan- derer durch alle Zeiten wurde wach, die ausgetragen und ausgehalten werden muß, heimatlos und su- chend. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus..."
Friedrich Hölderlin, sein Freund Friedrich Wilhelm Waiblinger („Mein flüchtiges Glück"), sodann die beiden so gegensätzlichen weib- lichen Gestalten aus Goethes „Wil- helm Meister", das Kind-Frau- Wesen Mignon und Philine mit ih- rer bewußt und konsequent geleb-
ten Un-Ruhe, Goethes Faust II, der Wanderer, der Philemon und Bau- cis zum „Kömmling" wird und mit ihnen untergeht, weiter ins Bieder- meier mit seiner „zipfelmützigen" Natur zu Heinrich Heine, dem „Ehrlichsten und Genauesten durch Mißbrauch der romantischen Ver- satzstücke" und weiter zu Friedrich Nietzsche, dem Spätromantiker, der sich unaufhörlich mit der Gestalt des Wanderers befaßte: „Wer nur einigermaßen zur Freiheit der Ver- nunft gekommen ist, kann sich auf Erden als nichts anderes fühlen denn als Wanderer."
In der Fülle der literarischen Beispiele - auch Eduard Mörikes „Peregrina" kam zu Wort - fiel die Wahl schwer, denn alle waren auf einen Nenner zu bringen. Immer wieder Wilhelm Müller dessen „Winterreise" aLs exemplarisches Beispiel für den Wanderer steht, aber auch Novalis, der in den Mär- chen und Geschichten, die wahre Weltgeschichte liest: „Da flieht in einem einzigen Wort / das ganze verkehrte Wesen fort." Oder - last but not least - das bis auf den heu- tigen Tag vielzitierte „Dort wo du nicht bist / dort ist das Glück."
Außer seiner Vorlesungsreihe hielt Peter Härtling eine vielbeach- tete Festspiel-Lesung im P.E.N.- Club, wo er seinen neuen Roman „Herzwand" vorstellte.
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