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Wanderzirkus oder Entscheidungsträger ?

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Zwischen 15.und 18. Juni wird in den Mitgliedstaaten der EG zum dritten Mal das Europäisclne Parlament direkt gewählt. Österreich kann nur von außen beobachten.

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Zwischen 15.und 18. Juni wird in den Mitgliedstaaten der EG zum dritten Mal das Europäisclne Parlament direkt gewählt. Österreich kann nur von außen beobachten.

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Der Wahlkampf der Parteien in den EG-Staaten (insgesamt sind 80 nationale Parteien im Europäischen Parlament vertreten) scheint diesmal heftiger als noch vor fünf Jahren. Österreich kann als EG-Aussenseiter das Geschehen nur als Zaimgast verfolgen.

Die direkten Wahlenfür die "Versammlung" (so die frühere Bezeichnung des Europaparlaments) waren eigentlich schon im Gründimgsver-trag der EWG (aus 1957) vorgesehen. Sie fanden aber erst Mitte der siebziger Jahre die Zustimmung aller Mitgliedstaaten. Die ersten direkten Wahlen im Jahre 1979 gingen mit der Erwartung einher, daß damit die Demokratisierung der

Entscheidimgsstrukturen in derEG eingeleitet werde.

Seit Anbeginn haben die EG-Parlamentarier verschiedene Kontrollrechte - etwa mündliche imd schriftliche Anfragen an die EG-Kommission und an den EG-Rat zu stellen. Außerdem können sie der Kommission mit Zweidrittelmehrheit das Mißtrauen aussprechen, was aber bis dato nie geschehen ist. Bis Mitte der siebziger Jahre erlaubten die EG-Verträge demParlamentjedoch nur die Abgabe unverbindlicher Stellungnahmen zu den Gesetzesvorschlägen des Rates.

Das Sekretariat des Parlaments befindet sich in Luxemburg, die Ple-narsitz\mgen werden in Straß-biurg abgehalten, mar die Ausschuß-beratimgen finden in Brüssel statt, am Sitz der beiden wichtigsten Entscheidungsträger Rat imd Kommission. Die Abgeordneten "wandern" daher zwischen den verschiedenen Tagungsorten. Aus diesen rechtüchen und organisatorischen Eigenheiten ergibt sich, daß die Entscheidungen der EG-Organe nicht direkt den EG-Bürgem gegenüber demokratisch legitimiert werden, obwohl diese in zxmehmen-dem Maße von ihnen betroffen werden.

Trotzdem kann in denletztenzehn Jahren ein wachsender Einfluß des Europaparlaments festgestellt werden. So hat sich schon Mitte der siebziger Jahre im Haushaltsrecht, ziimindest bei den sogenannten nicht-obligatorischen Ausgaben, eine gewisse Mitbestimmimg herausgebildet. Betrug damals der Anteü dieser Ausgaben am EG-Budget etwa 15 Prozent, so ist er nun auf zirka 25 Prozent angestiegen. Durch eine interinstitutionelle Vereinbarung zwischen Rat, Kommission und Parlament wurden außerdem für die Jahre 1989 bis 1992 bestimmte Höchstgrenzen im Budget festgelegt - das Parlament hat hier gleichberechtigt mitgewirkt.

Durch die Einheitliche Europäische Akte wurde mit I.Juli 1987 das sogenannte Verfahren der Zusammenarbeit eingeführt. Bei Entscheidungen, die der EG-Rat in den Bereichen Binnenmarkt, Sozialpolitik, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt sowie Forschung mit qualifizierter Mehrheit trifft, wurde die Stellung des Parlaments gestärkt.

Wenn auf diesen Gebieten der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments einen Beschluß faßt, kann sich das Parlament binnen drei Monaten in einer "zweiten Lesung" nochmals dazu äußern. Lehnt das Parlament den Beschluß des Rates mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder ab oder schlägt es Änderungen vor, kann der Rat nur mehr einstimmig vom Wülen des Parlaments abweichen, es sei denn, die Kommission übernimmt dieAbänderungsanträ-ge des Parlaments nicht.

Diese komplexe Entscheidungsstruktur kann das Parlament nun zur Durchsetzung seines Willens ausnützen. Beispielsweise versucht es damit, strengere Abgaswerte auch für kleinere Kraftfahrzeuge im EG-Raum durchzusetzen. So forderte es mit überwältigender Mehrheit in der zweiten Lesung (wie schon in der ersten Stellungnahme) die Einführung der US-Normen für Autos unter 1,4 Liter Hubraum ab 1993.

Rat und Kommission hatten zuvor ihre Entscheidungen nicht dem Willen des Parlaments angepaßt. Die nun gegenüber Umweltfragen sensiblere Kommission erklärte sich bereit, Vorschläge in Einklang mit dem Willen des Parlaments dem Rat zu unterbreiten. Am 8. Jiuii muß nun der Rat der EG-Umweltminister entscheiden, ob er diese Vorschläge einstimmig zu Fall bringen oder ob er siemitquaH-f izierter Mehrheit akzeptieren will. Eine Ablehnung oder eine Nichtentschei-dung wird für den Rat - so die Hoffnung der Parlamentarier - politisch kaum durchzuhalten sein.

In zwei Bereichen erhielten die EG-Parlamentarier durch die Einheitliche Europäische Akte ein echtes Mitentscheidungsrecht - nämlich bei der Beschlußfassung über Assoziationsverträge und bei der Aufnahme neuer Mitglieder. Die Regelung über die Assoziations verträge haben die Abgeordneten sofort extensiv ausgelegt und wenden sie bei jeder Abänderung solcher Abkommen an.

Erstmals benützte das Parlament seine neuen Befugnisse bei der Behandlung von zwei Abkommen mit der Türkei Pezember 1987). Es verzögerte deren Abschluß, um auf die Situation der Menschenrechte beim Vertragspartner hinzuweisen. Noch weiter ging das Parlament bei der Prüfung von drei Protokollen zum Assoziationsvertrag mit IsraeL Im März 1988 wurde deren Annahme verweigert, um Konzessionen Israels bezüglich der Exporte aus den besetzten Gebieten zu erreichen.

Die Palästinenser sollten ohne Mitwirkung des israelischen Exportmonopols Waren in die EG liefern können. Erst als sich nach längerem Zögern die israelische Regierung den Vorstellungen der Mehrheit der EG-Abgeordneten beugte, erteilte das EG-Parlament den Protokollen seine Zustimmung.

Sollten Rat und Kommission den zu erwartenden österreichischen Antrag auf EG-Mitgliedschaft positiv beurteilen, muß auch noch das Parlament mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten einem österreichischen Beitritt zustimmen, damit Österreich EG-Mitghed werden kann.

Diese Ausdehnung der Rechte des EG-Parlaments darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch vieles im argen Hegt. So wird oft kritisiert, daüß sich das Parlament viel zu sehr mit "Weltproblemen", etwa Menschenrechten und Entwicklungspolitik, beschäftige und seine "Haus-

aufgaben" im Rahmen der EG vernachlässige.

Natürlich wül ein Parlament, das keine wirkliche Mitbestimmungsmöglichkeit hat, medienwirksame Bereiche intensiver bearbeiten. Die Erweiterung seiner Entscheidungsbefugnisse seit Mitte 1987 brachte jedoch eine Verlagerung der Arbeit des EG-Parlaments auf die RoUe des (Mit-) Gesetzgebers und eine Einschränkung seiner sonstigen Aktivitäten.

Innerhalb des Parlaments bildeten sich noch keine festen und beständigen Mehrheits- und Minderheitskoalitionen heraus. Wie die Graphik zeigt, gibt es eine geringfügige Mehrheit für die Mitte-Rechts-Parteien, die jedoch in mehrere Fraktionen gespalten sind. Außerdem ist diese Mehrheit nur in hochpolitischen Fragen entscheidend. Häufig sind andere Interessengegensätze vorherrschend (zum Beispiel Landwirtschaft kontra Nicht-Landwirtschaft).

Das Europäische Parlament ähnelt etwas dem alten österreichischen Reichsrat mit seinen vielen Nationalitäten und Parteigruppierungen, aber auch mit seinen sehr eingeschränkten Mitbestimmungsrechten. Als Detail am Rande sei vermerkt, daß im Jahre 1914 das Abgeordnetenhaus 516 Mitglieder hatte, das EG-Parlament heute 518 Abgeordnete zählt.

Das Europäische Parlament übt eine wichtige Funktion im EG-System aus. Es bildet nämlich auch ein Forum für die Bestrebungen zur Intensivierung des Integrationsprozesses. Am bekanntesten ist sein Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union aus 1984, der eine föderative Verfassung mit weitgehender Mitbestimmung für das Europäische Parlament vorsah. Die Einheitliche Europäische Akte ist eine, wenn auch nur begrenzte Folge diese Initiative. Auf einer anderen Ebene versucht etwa der Unterausschuß "Sicherheit und Abrüstung" eine verstärkte sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Rahmen der EG zu erreichen.

Dieses Streben nachDemokratisierung und das damit verbundene Vorantreiben derEG-Integra-tion durch das Parlament wird aber nicht in allen Mitgliedstaaten gleich beurteilt. So gibt es insbesondere in Dänemark (und teilweise auch in Großbritannien) eine starke Abneigung gegen jede weitere Demokratisierung. Denn damitwürdedie Souveränität der Mitgliedstaaten weiter eingeschränkt werden.

Hier ist auch ein Dilemma für Österreich angesprochen. Je weniger " demo-kratisch" die EG ist (wenn etwaünEG-Rat ein "Vetorecht" besteht), desto leichter könnte ein Neutraler der EG beitreten. Kommt dem Europäischen Parlament jedoch immer mehr Mitbestimmung zu, so kann ein Kleinstaat die Willensbildung immer weniger beeinflussen und so eine eventuelle Erweiterung der EG-Integration auf für Neutrale sensible Bereiche nicht verhindern.

Auch wenn die österreichische Regierung in wenigen Monaten ihr Beitrittsansuchen in Brüssel deponierenwird, so werden die Österreicher noch eine Weüe die Vorgänge in der EG, darunter die Wahlen zum Europaparlament, nur als Zaungäste beobachten können. Die Stellung des Parlaments im EG-System allgemein und seine Stellungnahme zum österreichischen Antrag um Mitgliedschaft im besonderen werden erhebliche Bedeutung für das zukünftige Verhältnis Österreichs zur EG haben.

DrPaul Ltüf, Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Internationale Politik in Laxenburg, ist Autor des Buches "Neutrale in die EG? Die wirtschaftliche Integration in Westeuropa tmd die neutralen Staaten", Braumüller Verlag, Wien 1988.

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