6799727-1971_28_03.jpg
Digital In Arbeit

Wandlung der Diplomatie?

19451960198020002020

Der Zweite Weltkrieg, der das Antlitz der Welt so wesentlich veränderte, hat unbemerkt auch eine Institution einem Wandlungsprozeß unterworfen, die bisher alle Katastrophen zu überdauern vermochte: die Diplomatie. Durch Jahrhunderte gehörten die Diplomaten zum Gesamtbild Europas, durch Jahrhunderte waren sie, gleich den Generalstäblern, die großen Kön. ner ihres Metiers, die allein die hundertfältigen Riten ihres Berufes beherrschten und deshalb allen Regimen unentbehrlich waren: diese bedienten sich ihrer, ohne auf ihre persönliche politische Einstellung besonderes Augenmerk zu richten. Wer die Personallisten der deutschen Diplomatie innerhalb der letzten fünfzig Jahre überprüft, wird entdecken, daß im Auswärtigen Dienst des Deutschen Kaiserreiches, der Weimarer Republik, in Hitlers Drittem

19451960198020002020

Der Zweite Weltkrieg, der das Antlitz der Welt so wesentlich veränderte, hat unbemerkt auch eine Institution einem Wandlungsprozeß unterworfen, die bisher alle Katastrophen zu überdauern vermochte: die Diplomatie. Durch Jahrhunderte gehörten die Diplomaten zum Gesamtbild Europas, durch Jahrhunderte waren sie, gleich den Generalstäblern, die großen Kön. ner ihres Metiers, die allein die hundertfältigen Riten ihres Berufes beherrschten und deshalb allen Regimen unentbehrlich waren: diese bedienten sich ihrer, ohne auf ihre persönliche politische Einstellung besonderes Augenmerk zu richten. Wer die Personallisten der deutschen Diplomatie innerhalb der letzten fünfzig Jahre überprüft, wird entdecken, daß im Auswärtigen Dienst des Deutschen Kaiserreiches, der Weimarer Republik, in Hitlers Drittem

Werbung
Werbung
Werbung

Reich und der Bonner Bundesrepublik die gleichen Namen auftauchen. Dieses Phänomen erklärt sich aus der Mentalität der Diplomaten. Durch ihre Erziehung waren sie dazu gebracht worden, über die innenpolitischen Vorgänge ihres Landes so gut wie keine persönliche Meinung zu äußern, sondern sich immer als Vertreter des Landes zu fühlen, ohne Rücksicht darauf, welche politische Richtung dort am Zug war. Bismarcks berühmtes Wort „Meine Diplomaten müssen wie Unteroffiziere einschwenken, wenn ich kommandiere“ erhellt besser als alle Erklärungen diese Erscheinung. Gleichgültig, wer in ihrer Heimat herrschte, war und ist es die Aufgabe der Diplomaten, zu beobachten, zu berichten, die politischen Interessen ihres Landes zu vertreten, Verhandlungen zu führen und zu repräsentieren.

Hier nun -wind ersichtlich, daß die Institution der Diplomatie innerhalb der Freien Welt so manche ihrer Funktionen einzubüßen scheint:

• Die Telephonverbinduingein erlauben es den Staatsmännern und den Kabinetten, unter Umgehung der Diplomaten in direkten Kontakt zu treten. So gibt es bekanntlich einen direkten Draht zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus.

• Die modernen Kommunikations- mittel ermöglichen es, daß innerhalb der Welt nicht nur der einzelne Staatsbürger, sondern auch die Regierungen von politischen Ereignissen rascher informiert werden als durch den schnellsten Bericht eines Diplomaten.

• Das über die ganze Welt ausge- breitete Flugnetz ermöglicht es, daß sich Staatsmänner innerhalb kürzester Frist persönlich treffen können, um wichtige Fragen zu besprechen. Die Vertreter eines Landes haben dann scheinbar nur noch die Aufgabe, solche Besuche vorzubereifen, die Staatsmänner zu empfangen und wieder auf den Flugplatz zu begleiten und für ein klagloses Abläufen des Treffens zu sorgen.

• Die Schwierigkeit vieler politischer und wirtschaftlicher Materien brachte es mit sich., daß politische Verhandlungen selten durch Diplomaten mit Regierungen, sondern fast immer van Staatsmännern oder eigens zusammemgestellten Kommissionen geführt werden.

• Die modernen Massenmedien, wie Presse, Rundfunk und Fernsehen, haben es durch ein ausgedehntes Netz von Berichterstattern verstanden, oft besser informiert zu sein als der bestinformierte Diplomat. (Mit Heiterkeit erinnere ich mich an ein Gespräch mit einem Diplomaten, der in einem westeuropäischen Staat akkreditiert war und mir erzählte, daß er vor Abfassung seiner Berichte immer zunächst genau die „Neue Zürcher Zeitung“ studiere, da dieses Blatt sich als ausgezeichnet informiert erweise. Erst auf Grund dieser Lektüre verfasse er dann seine Berichte. Diese kamen dann mit einem Geheimkurier in das Auswärtige Amt, vier Wochen, nachdem sie alle Welt in der Neuen Zürcher Zeitung lesen konnte.

So erhebt sich denn die Frage, hat die Institution der Diplomaten — zumindest in der freien Welt — noch einen Sinn?

Der erste Diplomat

Die Einrichtung der ständigen Diplomaten entstand, als die Einheit Europas zerbrach, als sie gegen Ende des Mittelalters in eine Vielfalt von Staaten aiuseinanderfiel, die einmal in Bündnissen miteinander verknüpft waren und ein anderes Mal sich als erbitterte Feinde gegenüberstanden. Auf jeden Fall hegten sie ständig Mißtrauen gegeneinander und sahen es für notwendig an, genauestens über die politischen Verhältnisse des anderen Staates unterrichtet zu sein. Italien, dessen historisches Schicksal es immer war, dem allgemeinen Schicksal Europas um Jahrzehnte voraus zu sein, das Italien der Renaissance, in dem der Kampf aller gegen alle tobte, ist der Erfinder der ständigen Diplomatie. 1446 — ein besonderer Augenblick der Geschichte — ernannte der Herzog Francesco Sforza von Mailand den Messer Nicodemo da Pomtremoli zu seinem ständigen Vertreter in Florenz. Es ist der erste ständige Gesandte in einer langen Reihe von europäischen Diplomaten. Die übrigen italienischen Staaten ahmten bald das Beispiel von Mailand nach und bald folgten auch die übrigen europäischen Mächte, bis im Laufe der kommenden Jahrhunderte ein dichtes Netz von Gesandtschaften und Vertretungen Europa und die übrige Weit überzog. Zu vorteilhaft hctte es sich für alle Staaten erwiesen, überall „privilegierte Spione“ zu besitzen.

Aber unter den oben geschilderten Verhältnissen scheinen die Aufgaben der Diplomaten, zumindest in der freien Welt, überflüssig zu sein, und scheinbar ist nur noch eine Aufgabe geblieben: den Staat zu repräsentieren. Eine sehr kostspielige Aufgabe.

Teuere Diplomatie

Die Bezüge der Diplomaten waren zu allen Zeiten, .gemessen an den Bezügen sonstiger Staatsbeamter, sehr hoch. Dies ist nur zu begreiflich, waren und sind doch alle Diplomaten im Interesse ihres Staates zu einem sehr aufwendigen Leben verpflichtet.

Trotz der hohen Bezüge hörten die Klagen der Diplomaten über chronischen Geldmangel nie auf. Bis 1918 versuchten manche Staaten, so auch die Donaumonarchie, diesen Klagen in der Weise zuvorzukom- men, daß sie von allen Bewerbern, die in den diplomatischen Dienst aufgenommen werden wollten, den Nachweis eines großen Privatvermögens verlangten.

Aber die großen Vermögen sind verschwunden, und kein Außenamt kann von den jungen Leuten, die sich um Aufnahme bewerben, einen solchen Nachweis verlangen. Das fehlende Privatvermögen muß durch um so höhere staatliche Bezüge ausgeglichen werden. Diese Posten bedeuten für das Budget besonders kleinerer Staaten eine sehr hohe Belastung. Um hier zu sparen, kamen kleinere Staaten wiederum auf den Gedanken, einen Vertreter gleich bei mehreren Staaten zu akkreditieren, der dann oft ein Gebiet zu betreuen hat, das so groß wie halb Europa ist. Eine Tatsache, die scheinbar nur neuerlich bestätigt, daß die heutigen Diplomaten keine andere Aufgabe mehr haben, als zu repräsentieren.

Sinnlose Diplomatie

Welchem Schicksal eine solche Diplomatie entgagenigeht, kann aus der Geschichte der deutschen Diplomatie zwischen 1870 und 1918 ersehen werden.

Das deutsche Kaiserreich beließ nämlich seinen Matgliedstaaten sowohl das aktive wie das passive Gesandtschaftsrecht. Allerdings war dieses Recht völlig bedeutungslos. Denn die 104 deutschen Bimnenver- tretungen, die die einzelnen Staaten des deutschen Kaiserreiches untereinander unterhielten, kosteten nur enormes Geld, waren wegen der geringen Arbeit sehr beliebt und politisch sinnlos. Auch bei fremden Mächten konnten die deutschen Staaten Gesandte unterhalten. Allerdings machten rvur wenige Staaten, wie zum Beispiel Bayern und Württemberg, davon Gebrauch. So gab es bis 1918 eine bayrische Gesandtschaft in Wien und in Petersburg. Auch diese Gesandtschaften waren politisch wertlos, denn der bayrische Gesandte in Wien oder Petersburg kannte doch die Politik des deutschen Botschafters nicht konterkarieren. Die Weimarer Republik räumte mit dem aktiven und passiven Gesandtscbaftsrecbt der deutschen Staaten großzügig auf, nur Bayern konnte sich noch eine Zeitlang einen eigenen Gesandten beim Heiligen Stuhl und einen französischen Gesandten und einen Nuntius in München leisten. Sonst gab es außerhalb Deutschlands nur mehr Gesandte und Botschafter des Reichs. Wird somit das künftige Schicksal der Diplomaten der Freien Welt dem Schicksal der deutschen Blnnen-Oiplomaten gleichen?

Neuen Aufgaben entgegen

Gewiß, viele der früheren Aufgaben der Diplomaten haben sich durch den Wandel der Zeit von selbst erledigt. Aber es gibt neue Zweige der Aktivität, die sich der Diplomatie erschließen und die weit über die Aufgabe der reinen Repräsentation, die auch nicht verachtet werden soll, hinausreicht. Darunter fallen:

• Die Einrichtung einer ständigen Sozialdiplomatie. In der heutigen Welt werden die Menschen vielfach durch das Wechseln des Arbeitsplatzes ständig von einem Staat in den anderen geworfen. Besonders Frauen und junge Mädchen sind dann mehr als genug schutzlos der Willkür der fremden Arbeitgeber ausgelliefent. Diese arbeitenden Menschen in fremden Ländern besonders zu betreuen, ist ein ganz neuer Zweig der Diplomatie.

• Die Kulturdipl omatie. In einer sich ständig annähernden Welt ist es für jeden Staat von enormer Wichtigkeit, daß seine Kultur und Kunst propagiert und würdig vertreten sind. Vielfach wird diese Aufgabe von Kultuninstituten durchgeführt, aber doch in einem viel zu geringen Ausmaß und nicht immer an den wirkungsvollsten Stätten. So hat Österreich zum Beispiel in Teheran und in Kairo ein Kul-tuminstitut, aber nicht in Prag, Budapest, Bukarest und Sofia, Gewiß stehen heute wahrscheinlich unüberwindliche Schwierigkeiten der Errichtung solcher Kulturinstitute gegenüber, aber es gab Zeiten, wo dies möglich gewesen wäre, zum Beispiel im Jahr 1968 während des Prager Frühlings. Eiin Kulturinstitut, das einmal errichtet ist, kann nicht so bald wieder geschlossen werden.

Die meisten Kulturtostitute der verschiedenen Staaten unterstehen außerdem nicht den Außenministerien, sondern den Unterrichteministerien, wodurch sich natürlich Ko- ordinderungsschwierigkeiten ergeben können.

• Die Konsulardiplomatie. Die Kon- sulen sind eine Art Bezirkshaupt- leute, die sich um das Wohl und

Wehe ihrer Staatsbürger zu kümmern haben. Aber die meisten Staaten haben viel zu wenige Konsilien. Das ist verständlich, da natürlich auch diese Diplomatie viel Geld kostet. Aber hier gibt es einen Ausweg: Die Errichtung von Homanar- konsulaten. Das sind bekanntlich Konsulate, deren Träger diese Pflicht völlig freiwillig und unentgeltlich ausüben. Alle Homorarkon- sule haben sich immer als hervorragende Vertreter des Landes, das sie repräsentieren, erwiesen, obwohl Honorarkonsule fast durchwegs nicht aus den Reihen der eigenen Staatsbürger genommen werden. So ist es eigentlich nicht begreiflich, warum sich zum Beispiel Österreich nicht dieser segensreichen Institution sehr viel mehr bedient, als es derzeit geschieht. Die USA zum Beispiel könnten durch ein Netz solcher Honorarkonsulate viel mehr für Österreich interessiert werden.

• Die Wirtschaftsdiplomatie. Die großen Wirtschaftskonzeme der Welt haben sich fast durchwegs einen eigenen Ventretungsdiönst eingerichtet, def meistens klaglos funktioniert, schon aus diesem Grund, weil die betreffenden Vertreter von ihren Aufträgen leben müssen. Die österreichische Bundeswirtschaftskammer hat sich ebenfalls einen eigenen diplomatischen Dienst eingerichtet, der ganz ausgezeichnet ist. Aber alle diese diplomatischen Dienste sind teils privat, teils nur halboffiziell und es wäre sicherlich eine große Aufgabe der Diplomatie, noch stärker als bisher sich für die Wirtschaft des eigenen Landes einzusetzen und Kontakte mit der Wirtschaft des Landes, in dem der Diplomat sich befindet, herzustefllen.

So erwachsen denn der Diplomatie der freien Welt, obwohl sie viele von ihren politischen Aufgaben ein- gebüßt hat, neben den Aufgaben der Repräsentation ein weites Feld von neuen Agenden. Daneben soll noch eine besondere Aufgabe nicht vergessen werden:

Vielfach hat man die Diplomaten als aalglatte Menschen bezeichnet, ja sogar als Zyniker, denen jedes persönliche Gefühl fremd ist. Das ist ein Urteil, das natürlich in seiner Pauschalverdächtigung falsch ist und höchstens bei einzelnen Vertretern zutreffen mag. Auch die Diplomaten sind Menschen, in deren Brust ein Herz schlägt und die Gefühlen nicht fremd gegenüberstethen. Sie haben es aber nur immer wieder verstanden, in allen Schwankungen des persönlichen und politischen Lebens das Gesicht zu bewahren und auch in den ärgsten Situationen die Regeln des Anstandes und der Höflichkeit nicht zu verletzen. Alle Diplomaten haben es gelernt, sich über Siege nicht überschwänglich zu freuen und in Niederlagen ein guter Verlierer zu sein und die Schmerzen, die man darüber an der eigenen Brust empfindet und die Wundern, die man erleidet, nicht öffentlich zur Schau zu tragen. Die Diplomaten sind vielleicht heute der letzte Stand, der noch etwas von der Humanität und der Würde des Gentleman zu bewahren wußte. Neben den vielfältigen Aufgaben, die die Diplomaten einst hatten und die sie teils verloren und den vielfältigen, die ihrer harren, soll diese urmenschlliche Aufgabe nicht übersehen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung