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Wann beginnt Leben?
In der neuaufgeflammten Ab- treibungsdebatte gibt es wie- der viele Ungereimtheiten. Wer gegen Abtreibung spricht, wird gleich verdächtigt, nach mehr Strafe zu rufen. „Helfen statt strafen", das klingt human. Richtiger aber wäre: „Helfen statt töten." Zur Zeit scheint es nur mehr ein Tabu zu geben: zu fragen, was Abtreibung ist und wieviele es jährlich gibt. Fri- stenlösung wird stolz als „ libe- rale Errungenschaft" bezeich- net. Gewisse Politiker wollen sie verfassungsrechtlich schüt- zen (nicht aber die Ehe).
RU 486 wird „Medikament" genannt, obwohl es meist Tö- tungsmittel ist. Baulieu, der Erfinder dieses neuen Mittels rühmt sich: „Ich kämpfe für das Leben." Ihn erschüttert, daß 200.000 Frauen bei ver- pfuschten Abtreibungen star- ben. Daß dabei ebensoviele Kinder getötet wurden und bei der weitaus größeren Zahl der Abtreibungen noch viel mehr, scheint ihn nicht zu rühren.
Die Abtreibungsdebatte ist festgefahren. Sie wird erst wieder flott, wenn beide Seiten endlich von dem selben reden, nämlich vom Kind. Wenn beide sich offen die Frage stellen: Wann beginnt das Leben?
Schon vor 3000 Jahren - längst vor dem Ultraschall - betete man fromm in den Psal- men: „Vom Mutterleib an bist du mein Gott." Aber wann Leben beginnt, ist letztlich keine religiöse, sondern eine na- turwissenchaftliche Frage. Der Mensch wird bei der Empfäng- nis. In der befruchteten Eizelle sind schon alle Instruktionen, die einen Menschen ausma- chen, alle Charakteristika, die eine Person prägen.
Die Wissenschaft weiß spä- ter keinen Zeitpunkt zu nen- nen, wo wesentlich Neues ent- steht. Menschwerdung also bei der Empfängnis. Dann aber hat der Mensch von diesem Augen- blick an Recht auf Leben. Es ihm gewaltsam zu nehmen ist Tötung.
Man soll Frauen davon nicht sprechen, um sie nicht unter Gewissensdruck zu stellen, sagen manche. Regt sich das Gewissen nicht recht? So et- was Wichtiges wie Tötung ver- schleiern, kann Gewissen nicht beruhigen. Und wer so ängst- lich dieses Thema tabuisiert sollte sich fragen, ob ihn dazu nicht gar sein eigenes (schlech- tes) Gewissen drängt.
Die Abtreibungsdebatte muß noch lange keine Strafrechts- debatte sein. Sie eignet sich jedenfalls nicht für die übliche Polemik eines Wahlkampfes. Längst aber wäre es an der Zeit, offen zu sagen, wann Leben entsteht. Auch die Wissenschaft sagt: „Bei der Empfängnis." Wer anderes zu wissen glaubt, muß dies erst beweisen und darf anderen vorher das Reden dar- über nicht verbieten.
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