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Wann gegen die Inflation, wenn nicht jetzt?

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Die österreichische Arbeitsmarktverwaltung neigt eher zum Unterschätzen als zum Überschätzen des Kräftebedarfes. Trotzdem ist sie in ihrer Vorausschau für 1971 der Ansicht, daß in der Hochsaison etwa 22.000 Beschäftigte fehlen werden. Sie setzt den Mehrbedarf, übrigens sehr vorsichtig, mit 42.000 Personen an. wogegen im Inland nur rund 20.000 unselbständig Erwerbstätige zustäzlich verfügbar sein werden.

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Die österreichische Arbeitsmarktverwaltung neigt eher zum Unterschätzen als zum Überschätzen des Kräftebedarfes. Trotzdem ist sie in ihrer Vorausschau für 1971 der Ansicht, daß in der Hochsaison etwa 22.000 Beschäftigte fehlen werden. Sie setzt den Mehrbedarf, übrigens sehr vorsichtig, mit 42.000 Personen an. wogegen im Inland nur rund 20.000 unselbständig Erwerbstätige zustäzlich verfügbar sein werden.

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So bietet sich die Lage allein vom Inland gesehen dar. Dazu kommt noch, daß der Münchner Raum infolge der fieberhaften Oljmipiabau-tätigkeit auf den österreichischen Arbeitsmarkt einen Sog ausüben und ihm voraussichtlich bis zu 11.000 Beschäftigte entziehen wird. Die Hauptleidtragenden sind Oberösterreich und Salzburg; die Folgen dieses Aderlasses auf die Wirtschaft dieser beiden Bundesländer sind noch gar nicht abzusehen. Gesamtösterreichisch erhöht sich durch diese Abwanderung die Fehlmenge an Arbeitskräften auf etwa 33.000. Die Möglichkeit, den Mangel an heimischen Kräften durch Gastarbeiter auszugleichen, ist nur noch beschränkt vorhanden. Die südeuropäischen Arbeitsmärkte wurden von den Industriestaaten im Laufe der Jahre schon ziemlich leergefegt. Die Arbeitsmarktverwaltung nimmt an, daß nur etwa 15.000 zusätzliche Gastarbeiter für Österreich angeworben werden können. Damit wird der vorhandene Fehlbetrag nicht einmal zur Hälfte gedeckt sein.

Abschwächung nur bei der Industrie

Nun 1st von einem wirtschaftlichen Rückschlag in Österreich vorläufig noch wenig zu spüren; die internationale Entwicj^ng madit sich in Österreich immer etwa« verspätet bemeiiclbar. Überdies haben sich unsere Vorstellungen von einem Konjunkturtief gewandelt Verstand man früher darunter eine absolute Verringerung des Sozialproduktes, so genügt heute schon ein relatives Absinken: in der „Rezession", wie wir sie heute verstehen, wächst das Sozialprodukt weiter, nur die Wachstumsraten sind geringer. Dank immer leistungsfähigerer Maschinen können freilich unsere Fabriken bei gleichbleibendem Beschäftigtenstand laufend mehr erzeugen, weshalb eine ständige Umsatzausweitung zur Sicherung der Arbeitsplätze unerläßlich erscheint; das trifft aber hauptsächlich nur auf die Industrie zu, wogegen die meisten anderen Zweige, insbesondere die Dienstleistungsbetriebe, weitaus weniger Möglichkeiten haben, Arbeitskräfte einzusparen. Nun rechnet das Institut für Wirt-schaftsforschung heuer gerade bei der Industrie mit geringeren Wachstumsraten, nicht aber bei der Bau-und Dienstleistungswirtsdiaft, also bei jenen Zweigen, bei denen sich jede Erzeugungsausweitung sofort fühlbar auf den Arbeitsmarkt auswirkt.

Das schwächere Industriewachstum bedeutet aucäi nicht, daß dieser Zweig Kräfte abgeben werde, sondern nur, daß seine Anforderungen «in den Arbeitsmarkt weniger «türmisch sein werden. Di« Artjeitsmarktverwaltung nimmt an, daß der Mehrbedarf der Industrie heuer nur 4000 Personen ausmachen wird. Dagegen wird in den arbeitsintensiven Zweigen die Konjunktur anhalten und der Kräftebedarf weiter steigen. Im Falle von Gewerbe, Handel und Verkehr spricht die Arbeitsmarktverwaltung sogar von einem „zurückgestauten" Bedarf, das heißt, jene Zweige konnten in der Hochkonjunktur, als die Industrie die vorhandenen Kräfte weitgehend aufsaugte, auf dem Arbeitsmarkt nicht zum Zug kommen. Nunmehr werden sie bestrebt sein, nicht nur neugeschaffene Arbeitsplätze, sondern auch schon vorhandene offene Stellen zu besetzen.

Der zusätzliche Bedarf des Gewerbes wird daher bei 10.000 Kräften liegen, der des Handels bei 8000, der Bauwirtschaft bei 7000, des öffentlichen Dienstes bei 5000, des Verkehrs bei 4000, der Banken und Versicherungen bei 3000, um nur die wichtigsten Grupfpen zu nennen. Auch im Falle einer Konjunkturabschwächung wird also der Arbeitskräftebedarf auch im Inland weiter steigen, vom erwähnten „Olympiasog" ganz zu schweigen.

Wahlgeschenke? Wenn also, wie der Leiter des Wirtschaf taforschungsinstitutes, Professor Nemsdiak, unlängst behauptete, schon in diesem Jahr staatlich« Konjunkturstützungsmaßnahmen von-nöten sein sollten, dann müßten diese vornehmüch auf eine bessere Auslastung des Maschinenparks zielen, nicht aber neue Anforderungen an den Arbeitsmarkt stellen; denn gerade in diesem Teilbereiche der Wirtschaft ist keine Abschwächung zu fürchten.

Wirtschaftspolitisch bedeutet das, daß die öffentliche Hand allzu lohnintensive Vorhaben zurückstellen soUte, «o schwer ihr das auch aus politischen Gründen fallen möge — ganz besonders wegen der Neuwahlen, welche die Regierungspartei offenbar Im Falle eines Sieges ihres Präsidentschaftskandidaten anpeilt. Die Hoffnung, daß staatspolitisciie Verantwortung vor parteipolitische Erwägungen treten werde, ist unter diesen Voraussetzungen freilich gering.

Der österreichischen Bevölkerung werden daher vermutlich die Falfen der wirtschaftspolitischen Unterlassungen nicht erspart bleiben. Es verheißt niciits Gutes, wenn Bundeskanzler Dr. Kreisky kürzlich allen Ernstes erklärte, die Regierung könne keine tiefgreifenden Maßnahmen gegen die Infiation setzen, weil diese zahlreiche Arbeitslose mit sich brächten. Wann denn, wenn nicht in Zeiten des würgenden Arbeitskräftemangels, kann die überfällige Inflationsbekämpfung ohne Gefahren für die Vollbeschäftigung erfolgen?

Es ist ein gefährliches Spiel, die wirtschaftspolitiscihen Notwendigkeiten beiseitezuschieben, indem man den Teufel der Arbeitslosigkeit zur Unzeit an dia Wand malt. Gerade dann wird er uns schneller, all wir denken, am Kragen haben; wir aber werden die Munition gegen ihn sinnlos verböllert haben.

Das w^re Gebot der Stunde wäre eine vordringliche und entsdüossene Inflationsbekämpfung; Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung dürfen wir ruhig aufsparen, bis sich ein Bedarf dafür abzeichnet. Es hört sich xwar gut an, daß im Hinblick auf die Rezession ficäion vorsorglich arbeitsmarktpolitische Maßnahmen getroffen werden; unerwähnt bleibt aber, daß durch jene die gute Beschäftigungslage am allerwenigsten gefährdet ist.

Gewiß ist Vollbeschäftigung wichtiger als stabiler Goldwert. Aber es ist sinnlos, den Geldwert der Vollbeschäftigung zu „opfern“, solange diese noch gar nicht bedroht ist.

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