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„Wann kommt Ehrlicher?“

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Der Tadel verfehlte seine Wirkung nicht. Auf dem letzten Parteitag der SED warf Parteichef Erich Honecker dem DDR-Fernsehen vor, es sei oberflächlich, äußerlich und langweilig. Solche Vorwürfe schmeckten den Polit-Strategen der Mattscheibe nicht sonderlich. Auf dem II. Kongreß des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden in der DDR, der kürzlich stattfand, gingen sie mit sich selbst ins Gericht. Der Vorsitzende des Kongresses, Andrew Thorndike, erkannte: „Alle Kunst muß unterhalten, Vergnügen bereiten... am Erleben und Erkennen!“ Auch das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ hatte sich — vor einiger Zeit — ähnlich geäußert.

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Der Tadel verfehlte seine Wirkung nicht. Auf dem letzten Parteitag der SED warf Parteichef Erich Honecker dem DDR-Fernsehen vor, es sei oberflächlich, äußerlich und langweilig. Solche Vorwürfe schmeckten den Polit-Strategen der Mattscheibe nicht sonderlich. Auf dem II. Kongreß des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden in der DDR, der kürzlich stattfand, gingen sie mit sich selbst ins Gericht. Der Vorsitzende des Kongresses, Andrew Thorndike, erkannte: „Alle Kunst muß unterhalten, Vergnügen bereiten... am Erleben und Erkennen!“ Auch das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ hatte sich — vor einiger Zeit — ähnlich geäußert.

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Diese Einsichten kommen nicht von ungefähr. Eine Umfrage, die im Auftrage der DDR-Regierung durchgeführt wurde, ergab, daß die Bürger des „Arbeiter- und Bauernstaates“ sich am liebsten durch westliche Kanäle informieren lassen. ARF und ZDF üben offensichtlich mehr Anziehungskraft auf die Bewohner der DDR aus als die eigenen Programme. Das soll nun anders werden.

Unterhaltung und Information, bisher in den DDR-Massenmedien zu kurz gekommen, sollen die neue Marschroute angeben. Sklavische Nachahmung der westlichen Sender soll dabei ebenso vermieden werden wie Borniertheit und Engstirnigkeit bei der Behandlung politischer Themen. Diese hätten nämlich dazu geführt, daß die Menschen jenseits der Mauer ihrer eigenen Massenmedien überdrüssig geworden seien — so die Analyse, die auf Grund der Umfrage gemacht wurde. Das heißt also mehr Unterhaltungssendungen, Shows, Krimis in den zukünftigen Programmen. Was die Information betrifft, will man eine gewisse Unabhängigkeit von den Nachrichtenagenturen — speziell ADN — dadurch erreichen, daß Spezialisten in Betriebe, Genossenschaften sowie kulturelle und wirtschaftliche wirtschaftliche Institutionen geschickt werden, um interessante Nachrichten einzuholen.

Diese Neuerungen sind durchaus positiv zu bewerten. Dennoch ist Skepsis angebracht, inwieweit die

Praxis den Forderungen entspricht. Seitenlange Erfolgsmeldungen der DDR-Wirtschaft, Wiedergabe von — oft bedenklich langweiligen — Referaten einiger Spitzenfunktionäre prägten bisher das Bild des offiziellen Parteiorgans „Neues Deutschland“. Wird sich das entscheidend ändern? Es ist zu hoffen. Interessante Informationen konnte man bisher lediglich Wochenzeitungen entnehmen. Genannt seien: „Horizont“, „Tribüne“ (Gewerkschafts-organ) und „Sonntag“ (Kulturbund).

Die verschiedenen Rundfunkstationen, wie „Stimme der DDR“,

Radio DDR I und II, „Berliner Rundfunk“, ließen bereits seit einiger Zeit einige positive Änderungen erkennen. Speziell die Auslandsberichterstattung ist besser geworden, paßt sich allmählich internationalem Standard an. Nur Staatsbesuche von DDR-Politikern in den „sozialistischen Ländern“ werden immer noch mit schier endlosen Aufzählungen der wichtigsten Teilnehmer — kein Titel und keine Funktion wird da in preußischer Gründlichkeit übersehen — gewürdigt. Schaltet man das Nachtprogramm auf DDR-Wellenlänge, glaubt der Hörer oft einem x-beliebigen westlichen Hit-Programm zu lauschen. Schnulzen-Sänger haben auch in Dresden und Leipzig ihre Anhängerschaft. Doch die politischen Informationen, geschickt eingeflochten, rük-ken die Dinge wieder ins rechte Licht.

Pfadfinder Felsenstein

Während sich Parteifunktionäre jahrelang in Diskussionen Gedanken um die Kulturpolitik machten, Bücher verfaßt wurden, handelte er. Port. Walter Felsenstein, Österreicher im Exil, erreichte mit Charme und Können, was engstirnigen SED-Funktionären versagt blieb: Kontakt mit dem Publikum, Erfolg und Begeisterung. Seine Musical-Inszenierungen überzeugten die Theaterfans mehr als offiziell gebilligtes Parteideutsch. „Porgy and Bess“ und „Der Fiedler auf dem Dach“ waren und sind en suite ausverkauft. Solche Erfolge konnten der Parteispitze nicht lange verborgen bleiben. Mit der üblichen Verspätung erfaßte auch das „Neue Deutschland'“ die Situation und stellte schlicht fest, daß man das Musical mehr beachten solle. Zudem erkannte es, daß Erholung und Entspannung ein grundlegendes Bedürfnis der arbeitenden Menschen sei. Das kam einer offiziellen Aufwertung der Unterhaltung gleich. Neuester Clou dieser Entwicklung: die Krimioper. Das

Opus heißt „Noch einen Löffel Gift, Liebling?“

Bereits im Dezember letzten Jahres gab der SED-Ideologe Kurt Hager zu verstehen, daß der „Bitterfelder Weg“ für die SED nicht mehr aktuell sei. Ein trauriges Kapitel sozialistischer Kulturpolitik („Sozialistischer Realismus“) fand damit seinen Abschluß. Alles sprach plötzlich von einer Neuordnung. Sie war bitter nötig. Gründe für diesen Wechsel in der offiziellen Haltung gab es verschiedene. Zwei seien stellvertretend genannt: weder die „Bewegung schreibender Arbeiter“ noch die Besuche der „Berufsschriftsteller“ in den Betrieben erwiesen sich als erfolgreich. Befohlene Diskussionen sind selten geeignet, Dialoge zu werden.

Schließlich mußten sogar einige Vertreter der SED-Lobby einsehen, daß es so nicht mehr weiterging. In Zukunft: Freiheit statt Partei-Doktrin, Kritik statt Jasagerei. Daß solche Umstellung im Kulturleben nicht von heute auf morgen erfolgte, versteht sich.

Rainer Kerndl, Theaterkritiker, ging bei den letzt jährigen Berliner Feststagen (die „Furche“ berichtete darüber) ein gutes Stück weiter: „Wann kommt Ehrlicher?“ war eine harte Anklage gegen Parteibürokratie, Spießertum (alles Dinge, die manche SED-Politiker einfach nicht wahrhaben wollen), geschickt verpackt“ in gescheite, geschliffene Dialoge. Und beim 3. Festival des politischen Liedes, das vor zwei Monaten stattfand, mußte sich sogar SED-Chef Honecker beißenden Spott gefallen lassen. SED-Parolen wurden offen ausgelacht, als Dieter Sü-verkrüp vor Berliner Arbeitern im Glühlampenwerk Narva sang. Seine Texte gingen mit engstirnigen Funktionären hart ins Gericht und für die „Schutzmacht“ Rußland fand er nur ironische Worte. Dergleichen wäre vor zwei Jahren undenkbar gewesen.

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