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War die Kirche je demokratisch?

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Das Alte Gottesvolk wußte, daß es „eine königliche Priesterschaft, ein geheiligtes Volk“ (Ex 19,6) sei und daher eigentlich keinen irdischen König wie die Heiden brauche, weil es eigentlich nur Gott zum König habe. 1 Petrus 2,9 übernahm diese Idee des allgemeinen Priestertums analog für das Neue Gottesvolk. Ob man diese biblische Idee als „demokratisch“ bezeichnen soll, kann man mit Fug bestreiten, denn es geht dabei nicht um die „Herrschaft des Volkes (des demos)“, sondern um die Herrschaft Gottes (das Gottesreich).

Aber dieser „theokratische“ Ansatz bedeutete immer auch eine Herrschaftskritik, zunächst gegen den weltlich-religiösen „kurios“, den Kaisen Die ersten Christen gingen für ihr Bekenntnis in den Tod, daß der eigentliche Kaiser und der eigentliche „ kyrios “ Christus der Herr sei.

Dann war die Berufung auf das allgemeine Pries tertum im Sinne der Petrus-Briefstelle immer auch ein Argument, die Herren- und Adelskirche des Mittelalters und der vorrevolutionären Neuzeit in Frage zu stellen. Das geschah in radikalen Kreisen der spätmittelalterlichen Armutsbewegung-, das betrieben konziliaristische Kreise des 15. Jahrhunderts, die revolutionären Anhänger von John Wiclif und Jan Hus; darauf beriefen sich die Reformatoren des 16. Jahrhunderts.

Von den katholischen Jansenisten Frankreichs weiß man, daß sie in ihren Konventikeln und „Parlamenten“ (damals Gerichtshöfen) ein Element bildeten, das die Große Französische Revolution mit dem „heiligen Ternar“ von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mittrug.

Es wird demnach nicht völlig verfehlt sein zu sagen, daß die jüdisch-christliche Herrschaftskritik mit ihrer Entdivinisierung aller politis chen Machtausübung eine der Wurzeln für die Entstehung der westlichen Demokratien war. Denn Demokratie in der großen Tradition bedeutet im umfassenden Sinn das „checking of power“, das heißt Beschränkung der Staatsgewalt durch Trennung von Gesetzgebung und Vollzugsgewalt, durch die Unabhängigkeit der Rechtssprechung, durch die Gleichheit auch der Machtinhaber vor dem Gesetz und durch die Möglichkeit, untaugliche Inhaber der Exekutivgewalt jederzeit legitim und gewaltlos zu entfernen.

Es ist auch einigermaßen unbestritten, daß die jahrhundertelang andauernden Konflikte zwischen Papsttum und Kaisertum zur Verhinderung despotischer Herrschaftsformen beigetragen haben, wie wir sie im Osten kennen. Nach den schmerzlichen Erfahrungen des konfessionellen Absolutismus im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation stand am Ende dieser Entwicklung als westliche Errungenschaft die Idee des laizistischen Staates, der sich selbst nicht mehr als verantwortlich für die Religion der Staatsbürger versteht, sondern nur die Freiräume für eine religiöse Betätigung garantiert.

Insofern darf die Tatsache einer „freien Kirche im freien Staat“ als unschätzbares Gut westlicher Verfassungsgeschichte begrüßt werden. Sie ist ein schlechthin demokratischer Wert, ungeachtet dessen, ob er in einer Republik oder konstitutionellen Monarchie verwirklicht wird. Denn niemand wird bezweifeln, daß die britische Monarchie und neuerdings auch die spanische große demokratische Traditionen pflegt und schützt.

Trotz dieser inneren Nähe von jüdisch-christlichem Staatsverständnis und der demokratischen Entwicklung des Westens, sind die Vorbehalte gerade der katholischen

Kirche gegenüber konkreten demokratischen Bestrebungen bekannt und müßten eigentlich als widersprüchlich angesehen werden. Das erklärt sich zum Teil aus geschichtlichen Umständen. Es hängt unter anderem davon ab, welche Erfahrungen die Kirche mit Demokratien machte.

Den Bischöfen der Vereinigten Staaten fiel es zum Beispiel leicht, die Revolution von 1776 zu bejahen, denn die Kirche konnte sich unter Separation of Church and State besser entfalten als unter katholischen Monarchen. Das konnte man aber einem Papst Pius IX. (1846-78) und den ultramontanen Katholiken des 19. Jahrhunderts (mit Ausnahme der Holländer und Briten) schwer verständlich machen. Denn durch die Ereignisse der Französischen Revolution, durch die National-Liberalen und durch die italienischen Freimaurer waren die demokratischen Ideale kirchlich suspekt geworden.

Daß ein Kardinal Faulhaber von München und ein Erzbischof Waitz von Salzburg nach dem Ersten Weltkrieg Monarchisten waren, mit Skepsis gegenüber den neuen demokratischen Republiken, hat sicher nicht ihre eigentliche Ursache in inneren autoritären oder gar faschistoiden Herrschaftsstrukturen der Kirche.

An dieser Stelle müßten die Begriffe Macht und Autorität geklärt werden. Dadurch daß einzelne Ortskirchen auch über beträchtliche Vermögenswerte und Einkünfte verfügen und gleichzeitig wie große Wirtschaftsunternehmen auch besoldete Posten zu vergeben haben, verfügt die Kirche auch heute noch Über weltliche Macht. Aber es wird leicht zu begreifen sein, daß jeder bessere Generaldirektor eine größere Machtfalle als der Erzbischof von Wien oder auch der Papst ausübt, von der Exekutivgewalt und militärischen Macht der Staaten gar nicht zu reden. Der Papst hat als Souverän des Vatikanstaates an staatlichen Machtmitteln nicht viel mehr zur Verfügung als ein kleiner Bezirkshauptmann.

Jedoch die „Macht“ des Klerus, der Bischöfe und des Papstes liegt auf einer anderen Ebene, auf der der moralischen und religiösen Autorität. Und diese ist wiederum völlig der Glaubenszustimmung der Menschen ausgeliefert. Schon der selbstbewußte heilige Ambrosius von Mailand sagte dem Kaiser Theodo-sius, daß er als christlicher Kaiser dem Bischof Untertan sei, wenn er für seine Sünden losgesprochen werden wolle. Aber diese „Machtausübung“ galt eben nur, wenn der Kaiser glaubte.

Bei Demokratie im strengen Sinn geht es um die vom Staatsvolk kontrollierte politische Machtausübung. Weil nun personale Glaubenszustimmung nur bei Verzicht auf politische Zwangsgewalt möglich ist, bedeutet jede Form politischer Exekutivgewalt, die von Bischöfen und Priestern ausgeübt wird, an sich eine Behinderung ihres eigentlichen Amtes, nämlich für die Wahrheit Zeugnis abzugeben.

Daraus ergibt sich die Frage, ob es sehr sinnvoll ist, von Demokratie im eigentlichen Sinn in der Kirche zu sprechen. Denn zur Demokratie als einer politischen Regierungsform gehört wesentlich die Machtausübung, verbunden mit der Zwangsgewalt. Ein Arzt wird nicht dann ein guter Arzt sein, wenn er ein besserer oder schlechterer Demokrat ist, sondern, wenn er es versteht, dem Patienten zu helfen. Ein Lehrer ist dann gut, wenn er dem Schüler Optimales beibringt, indem er ihn bestens motiviert. Ähnlich ist es bei Papst und Bischöfen: Sie sind umso besser, je besser sie Zeugnis für Tod und Auferstehung Jesu ablegen. Wenn sie zudem noch gute Demokraten sind, umso besser. Nur von zentraler Bedeutung ist das nicht, solange sie die eigentliche Aufgabe recht erfüllen.

Die Verwaltungsformen in der Kirche (vielleicht auch ein Mehr oder Weniger an „Demokratie“) werden von der Größenordnung der Verwaltungseinheiten und denMöglich-keiten der technischen Kommunikation abhängen. In einer Missionsdiözese mit 5.000 Katholiken wird der Bischof noch in der Lage sein, seinen Pfarrern selbst Kaffee zu kochen. Das wird in einem Bistum mit zwei Millionen Katholiken nicht möglich sein. Oder in Zeiten, da ein Bischof in ein paar Stunden persönlich in Rom sein kann, werden die zentralen Verwaltungsformen anders aussehen als zum Beispiel noch im 16. Jahrhundert, wo eine Salzburger Gesandtschaft drei Jahre brauchte, um in Rom eine kirchenrechtliche Angelegenheit zu erledigen.

Unsere moderne Demokratie lebt von der Einhaltung der Spielregeln und der peinlichen Beobachtung von Verfassung und Rechtsstaatlichkeit. Man vergißt manchmal, daß auch in der Kirche das Recht ein Mittel ist, die unberechenbare Willkür derer, die Amt und Autorität inne haben, zu verhindern und dadurch Voraussetzungen für Freiheit, Frieden und den Schutz der Wehrlosen und der schutzbedürftigen Werte zu sichern.

Uber allem Recht steht aber in der christlichen Kirche der Glaube an den „demokratischen“ heiligen Geist. So fordert etwa der heilige Patriarch Benedikt, der Abt achte bei seinen Entscheidungen auch auf die Stimme des Jüngsten in der Gemeinschaft: Denn Gott offenbare des öfteren einem Jüngeren, was besser sei (Regula, Kapitel 3).

Vielleicht könnte man sagen: Die Kirche ist in ihrem Sinn in dem Maße „demokratisch“, als sie den heiligen Geist wirken läßt, und die „Freiheitdes Geistes““ (2 Kor 3,17), verbunden mit dem „apostolischen Freimut“ (1 Tim 3,13), nicht hindert, sondern ermutigt.

Der Autor ist Ordinarius für Kirdvengeschich-te an der Universität Salzburg und Zutfarziermar inWühering.

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