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War dieser Friede gemeint?

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An der vietnamesisch-chinesischen Grenze sind wieder verstärkte Kämpfe aufgeßammt. Artillerieduelle werden von einem propagandistischen Schlagabtausch begleitet, ein neuerlicher Grenzkrieg zwischen den beiden Staaten wie im Februar 1979 scheint nicht ausgeschlossen. Möglich, daß den kommunistischen Machthabern in Hanoi diese Konfrontation nicht einmal so ungelegen kommt: Detin sie erlaubt es ihnen, von ihren inneren Problemen abzulenken, von denen es mehr als genug gibt.

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An der vietnamesisch-chinesischen Grenze sind wieder verstärkte Kämpfe aufgeßammt. Artillerieduelle werden von einem propagandistischen Schlagabtausch begleitet, ein neuerlicher Grenzkrieg zwischen den beiden Staaten wie im Februar 1979 scheint nicht ausgeschlossen. Möglich, daß den kommunistischen Machthabern in Hanoi diese Konfrontation nicht einmal so ungelegen kommt: Detin sie erlaubt es ihnen, von ihren inneren Problemen abzulenken, von denen es mehr als genug gibt.

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„Wir haben nur die Alternative: Krieg oder Diktatur“, sagte zu mir einst der südvietnamesische Abgeordnete Nguyen Duy Tai, ein in Paris ausgebildeter Gynäkologe, resigniert, während wir in seinem Saigoner Heim beim Abendessen saßen und die Raketen der Vietkong in regelmäßigen Abständen die Fensterscheiben erzittern ließet}.

Sechs Jahre sind seit der „Befreiung“ Vietnams vergangen. Die westliche Szenerie wurde merklich still: die Protestierer haben sich bekehrt, zerstoben, sind auf andere „lohnendere“ Themen umgestiegen: Hunger, wirtschaftliche Misere, Umerziehungslager mit Zehntausenden Gefangenen, wachsender Widerstand im Land, endloser Flüchtlingsstrom, und ein durch die koloniale Aggression in den benachbarten Ländern Laos und Kambodscha bedingter Militarismus bestimmen das Bild vom wiedervereinigten Vietnam.

Von einem wenn auch nur verkümmerten Pluralismus - wie unter dem vielgelästerten Thieu-Regime immerhin noch möglich - keine Spur: ein jeder Dissens wird im Keime erstickt!

War Südvietnam trotz des Krieges noch ein wirtschaftlich florierendes Land - immerhin exportierte Saigon bis 1972 noch Reis ins Ausland ist es heute durch die zwangsweise Kollektivierung weitgehend geschwächt. Ein mit viel propagandistischem Trommelwirbel eingeleiteter Vierjahresplan zwischen 1976 und 1980 ging daneben.

Laut Angaben der offiziellen nordvietnamesischen Tageszeitung „Nhan- Dan“ vom 18. Dezember 1980 konnten von den in Aussicht genommenen 774 Wirtschaftsprojekten nur ganze 281 verwirklicht werden. Derselbe Plan sah einen jährlichen Zuwachs des Nationalproduktes um 15 Prozent vor; in Wirklichkeit betrug („Far Eastern Economic Review“, 2. November 1980) die Wachstumsrate 1976 nur sechs Prozent, 1978 zwei Prozent und sackte im vorigen Jahr auf den Nullpunkt herab - und dies, obwohl die Sowjetunion ihren Genossen in Hanoi mit einer gewaltigen Geldspritze zur Seite steht! Immerhin pumpt Moskau täglich zwei bis 3,5 Millionen Dollar ih die leere Staatskasse der Kommunisten in Vietnam. Außerdem arbeiten etwa 6000 russische Techniker in den diversen verstaatlichten Betrieben.

Die Fleischproduktion hat sich verringert, da das Vieh durch Epidemien dahingerafft wird. Radio Hanoi gibt als Ursache „Mangel an tierärztlicher Aufsicht und an vorbeugenden Maßnahmen“ an. Ähnlich geht es in der Industrie zu: Die Armee benötigt einen großen Teil der Rohstoffreserven und viele Fabriken sind - auf Kosten der Konsumgüterherstellung - mit Waffenproduktion beschäftigt.

Die Kohlenförderung brach 1979 überhaupt zusammen, da die meisten Techniker und Arbeiter in diesem Bereich Chinesen gewesen waren, die 1978 das Land verließen. Der Kohlenexport, einer der Haupt-Devisenbringer Vietnams, weist heute eine kaum nennenswerte Größe auf; das Land hat Energiesorgen.

Unterernährung und Mangel an ärztlicher Versorgung, an Spitalsausrüstung und Medikamenten sind weitere Punkte des Übels. Erst vor kurzem versuchten die Kommunisten, eine Kampagne gegen die Unterernährung anzukurbeln. Radio Hanoi beklagte sich, daß in manchen Spitälern die Patienten zu zweit oder gar zu dritt in einem Bett liegen müßten und daß chirurgische Eingriffe ohne Anästhesie, nur mit natürlichen Betäubungsmitteln, durchgeführt würden.

Niemand traut sich freilich in Vietnam die Hauptursache für all die Probleme, die die Kommunisten selbst unumwunden zugeben, zu nennen: die rigorose Diktatur, die jegliche Freiheit unterdrückt, dem Volk die Freude und die Initiativkraft raubt, ja es durch diverse Zwangsmaßnahmen zum passiven Widerstand herausfordert. Der Rundfunk und die Zeitungen rufen das Volk immer wieder zur „revolutionären Wachsamkeit“ gegen Saboteure auf, und mahnen vor Pessimismus und Mutlosigkeit. Inzwischen geht die Einweisung der Dissidenten in die diversen Umerziehungslager weiter.

Die „Liga für die Menschenrechte in Vietnam“, eine von Exil-Vietnamesen gegründete Organisation mit Sitz in Paris, nennt die Namen vieler Intellek tueller, die in diesen Konzentrationslagern ums Leben gekommen sind.

Zu den rund 500 noch in den Umerziehungslagern befindlichen Intellektuellen zählt unter anderen auch der berühmte Sprachwissenschaftler Cao Giao, wegen seiner profunden Kenntnisse der vietnamesischen Sprache auch das „wandelnde Wörterbuch“ genannt, ebenso eine große Anzahl von katholischen Priestern und buddhistischen Geistlichen.

Nach Angaben des in Hongkong erscheinenden amerikanischen Nachrichtenbulletins „UCA News“ sollen noch immer 700.000 Vietnamesen in den Umerziehungslagern festgehalten werden. Ehemalige Lagerinsassen, denen die Flucht geglückt ist, bezeichnen die Lebensbedingungen in diesen Lagern als einfach „entsetzlich“.

Es herrschten unmenschliche Arbeitsbedingungen, die von jedem Häftling die letzte Kraft erforderten, so daß ein jeder Überlebende von einem Wunder sprechen könne. Wer nicht von den Regengüssen erkrankt, dem setzen die Insekten und das gänzliche Fehlen ärztlicher Hilfe zu. Viele sterben an Krankheiten, die durchaus nicht zum Tod führen müßten, wie Durchfall, Malaria, Lungenentzündung und Infektionen. Andere Häftlinge kommen beim Entsichern von Minen und Bomben ums Leben, die aus dem Krieg zurückgeblieben sind.

Kein Wunder, daß das Regime in Hanoi sechs Jahre nach Kriegsende mit einer wachsenden Anzahl von Widerstandsgruppen zu kämpfen hat. Die Hauptanführer verschiedener Untergrundaktivitäten sind ehemalige Offiziere der südvietnamesischen Armee und Angehörige jener Bergstämme, die schon immer gegen jedwede Regierung und für ihre Autonomie gekämpft haben.

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