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Digital In Arbeit

War Lenin ein Sauertopf ?

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Diese Schrift kommt uns mit allerlei Empfehlungen auf den Tisch: als von der deutschen Akademie für Sprache und Dichtung preisgekrönte Studie, die einen Mann zum Autor hat, der, obwohl erst 1969 promoviert, bereits drei Jahre vorher in die Hochbegabtenstiftung des Cusa-nus-Werkes aufgenommen wurde, der seit 1970 als Assistent und Lehrbeauftragter für Philosophie tätig ist, der ein halbes Dutzend ähnlicher Schriften verfaßt hat und dem Wolfgang Weyrauch zu dem hier anzuzeigenden Buch das Nachwort schrieb.

Anderseits waren wir im Hinblick auf eben diesen Autor, den deutschen Verlag und das Sujet — „Heiterkeit“ — von vornherein ein wenig mißtrauisch und begannen sozusagen mit zurückgelegten Ohren zu lesen. Dabei stießen wir zunächst auf einige Zwischentitel: wie „Reduzierung auf das ästhetische Bewußtsein“, „Heiterkeit des Humors als Distanzierung und Gestimmtheit“, „Die Verbindlichkeit der Weltverfassung“, „Umstrukturierung überkommener Orte des Heiteren“, „Der Traum als Dimension der Wirklichkeit“, „Chif-fern als Signale unartikulierten Glücks“, „Das Strukturmoment der Offenheit“, „Humorlosigkeit durch unvermitteltes Engagement oder Distanz“, „Die Bedeutung der Lichtverhärtnisse für die Metaphorik verbliebener Heiterkeit und ihrer Gefährdung“ u. a.

Gewiß, das bekommt beim Lesen alles seinen Sinn, und der Autor hat sich's nicht leicht' gemacht. Das beweisen allein die acht Seiten mit 108 Anmerkungen zu einem Text von rund 100 Seiten, sowie ein acht-spaltiges Namensverzeichniis. Aber die zuständige Kommission in der Deutschen Akademie, die hier als Jury amtierte, hat dem Autor nicht nur bestätigt, daß seihe Arbeit facettiert, genau und kundig ist, sondern daß es der Autor auch vermieden habe, durch Belesenheit zu wuchern ...

Eigentlich war die Frage der Akademie ziemlich präzise. Sie lautete: „Ist unserer Literatur die Heiterkeit vergangen?“ Aber der junge Autor — und es ist ein Vorrecht der Jugend, kompliziert zu schreiben und alle gelesenen Bücher, d. h. eine kleine Bibliothek, in eine einzige Arbeit hineinzustecken — hat es, wie gesagt, sich selbst, aber auch dem Leser — der nicht gerade von einer Heidegger- oder Klages-Lektüre kommt, nicht leichtgemacht, so daß man sich eigentlich gründlich und ausführlich mit ihm auseinandersetzen müßte. Und eine solche kritische Untersuchung würde ohne Zweifel oft zugunsten des Autors ausfallen. Aber der Leser, der arme Leser? Er hat nichts zu lachen.

Hören wir, was Eichhorn gleich eingangs sagt: „Es wurde angedeutet, daß nicht eine bestimmte Gemütsverfassung, sondern die durch Reflexion gewonnene Distanzierung selbst, zunächst in Absehung ihres Objekts, als bloße Form betrachtet, die entscheidende Anstrengung des Humors darstellt, deren Potenz sich im Gelächter noch unentfalte't angekündigt.“ Oder, ein Beispiel für Eichhorns Quellen-Süchtigkeit: „Der von Heidegger in Sein und Zeit ausgearbeitete Stimmungsbegriff, auf den sich Bollnow verfälschend und Otto Pöggeler wieder korrigierend beziehen, hat dieselbe Voraussetzung, die Adorno und Gadamer ihren .Generalangriffen gegen die sogenannte Erlebnisästhe'tik unterlegen.“ Das volle Verständnis dieses Satzes setzt die Kenntnis wenigstens der wichtigsten Werke der genannten Autoren voraus. Oder, eine Paranthese auf S. 35: („Der uns wichtige Ausdruck ,Relationalität', bereits in der Struk-turontologie, 1971, von Heinrich Rombach vorfindbar, umfaßt auch Relativität als die vom Detail her gesehene Perspektive im Hinblick auf dessen mögliche Beziehbarkeit und Fremd-Determinierung.“) Nun, wir sagten es schon: es ist ein Vorrecht der Jugend, ein bissei gelehrt aufzutreten und womöglich alles Gelesene und Genossene ans Licht zu fördern. Dabei gelingen dem Autor ganz reizvolle Trouvaillen, bei andern Autoren und in seinen eigenen Gedanken und Formulierungen. So zum Beispiel zitiert er ein uns bisher unbekanntes Gedicht von Heinz Kahlau, mit dem Titel „Für Heiterkeit“, das da heißt:

Überall

wo die Porträts der Klassiker des Marxismus gezeigt werden, macht es mich traurig, daß sie so ernst auf uns schaun. Ist nicht,

was wir in ihrem Namen erfüllen, von allen Menschenwerken das heiterste?

Unser Ziel ist doch

Freundlichkeit.

War Engels ein Sauertopf?

Warum zwinkert uns Lenin,

der listige Denker,

nicht aufmunternd zu?

Wo ist das Land,

auf dessen Erbauer

ein lachender Marx schaut?

Das könnte von Brecht sein — und ist I daher vorzüglich. Und das Fazit dieser Studie, die Antwort auf die Frage der Akademie? Eichhorn resümiert: „Das hohe Maß an praktischer Verpflichtung in Verbindung mit ästhetischen Interessen hat ergeben, daß jene durchgängige Heiterkeit Goethes nicht mehr möglich ist.“

So ungefähr hätten auch wir auf die Frage der Akademie geantwortet. Nur, vielleicht, ein bissei „populärer“.

KRITIK DER HEITERKEIT. Von Peter Eichhorn. Antwort auf die Frage der deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 130 Seiten. Verlag Lambert Schneider, Heidelberg.

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