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Waren die Juden nur Opfer unter vielen?

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Auschwitz ist ein Schlüsselbegriff für Deutsche, Polen und Juden, dessen Symbolkraft mit dem zeitlichen Abstand nicht abnimmt. Er wurde Synonym für Genocid und Massenmord im 20. Jahrhundert, da sich der GULAG der Sowjetunion, die „Kil-ling fields" Kambodschas und der „Hunger-Holokaust" (Ukraine) nicht an einem konkreten Ort in einer konkreten Gedenkstätte verdichten. Außerdem sind die ausschließlich für die Vernichtung der Juden bestimmten Lager Belzec, Sobibor und Tre-blinka noch vor der Befreiung aufgelöst und zerstört worden. Da Auschwitz-Birkenau weitgehend erhalten blieb und überragende Symbolkraft erhielt, hat der Verwalter dieses Erbes eine große Verantwortung.

Im Gegensatz etwa zur Aburteilung der Kriegsverbrecher in Nürnberg einigten sich die Alliierten nicht auf eine gemeinsame Verwaltung dieses Erbes. Die Gründung des Museums lag daher in der ausschließlichen Verantwortung der Volksrepublik Polen.

Das Symbol des Holokaust wurde zur nationalen Mahn- und Gedenkstätte des polnischen Volkes erklärt. Damit war der Konflikt um die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau vorprogrammiert. Ein über Jahrzehnte gehender Konflikt, der Ende der achtziger Jahre im Streit um das Karmeli-tinnen-Kloster am Rande des Stammlagers seinen Höhepunkt erreichte und Anfang der neunziger Jahre mit der Gründung des Internationalen Rates und der damit verbundenen Interna-tionalisierung der Verantwortung für die Gestaltung dieses Ortes einer Lösung zugeführt wurde.

Obwohl Auschwitz der zentrale Ort für die Vernichtung der Juden Europas ist, haben die polnischen Behörden von Anfang an versucht, diese Tatsache so weit wie möglich zu verschweigen. Der in großer Auflage verbreitete „Informator Staatliches Museum Auschwitz" beginnt: „Fünf Jahre lang erregte der Name Auschwitz ein Gefühl von Schrecken unter den Völkern der von den Nazis während des Zweiten Weltkrieges besetzten Länder. Das Konzentrationslager Auschwitz (KL Auschwitz) wareines der größten Vernichtungslager, in welchem der Nazi-Faschismus seine grausame Losung verwirklichte, seine Widersacher, ohne Rücksicht auf ihre Staatszugehörigkeit, politische Einstellung, Abstammung und Konfession, auszurotten." Diese Unbedingt-heit des Ausrottungswillens galt aber nur gegenüber den Juden.

Das Wort Jude wird jedoch im „Informator" auf den ersten Seiten überhaupt nicht erwähnt. Bei der Beschreibung des Ausstellungsblok-kes mit der Bezeichnung „Vernichtung" werden zum erstenmal die Juden erwähnt: „Das KL Auschwitz, angelegt für polnische politische Häftlinge, wurde seit dem Jahre 1941 ein internationales Lager. Neben polnischen Staatsangehörigen, die während der ganzen Zeit seines Bestehens in dieses Lager versandt wurden, starben darin auch Russen, Tschechoslowaken, Franzosen, Belgier, Holländer, Griechen, Ungarn, Jugoslawen, Österreicher, Deutsche, Luxemburger, Norweger, Dänen, Italiener, Rumänen, Juden und Zigeuner."

Diese Vereinnahmung wurde von den europäischen Ländern (und in eingeschränkterem Maße von Israel) hingenommen, wobei sich die Frage stellt, warum dies geschehen ist. Seit den sechziger Jahren haben offizielle Vertreter anderer Staaten das Museum Auschwitz-Birkenau besucht und in keiner bekanntgewordenen Form gegen diesen Mißbrauch der Gedenkstätte protestiert. Der italienische Staatspräsident hat 1965 genau wie der deutsche Bundeskanzler zwölf Jahre später (bewußt?) darauf verzichtet, in einer Rede das Wort Jude auch nur auszusprechen. Aus Gründen, die im einzelnen (noch) nicht zu belegen sind, haben die verschiedensten Partner und Besucher der Gedenkstätte zum Mißbrauch geschwiegen.

Beim Internationalen Auschwitz-Komitee (IAK) ist dies noch am einfachsten zu erklären, hat es sich doch seines kritischen Generalsekretärs entledigt und das Büro von Wien nach Warschau verlegt. Von einem von den polnischen Kommunisten kontrollierten IAK war natürlich keine kritische Einflußnahme zu erwarten. Ähnlich verhielten sich übrigens auch die Internationalen Komitees von Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück gegenüber der Vereinnahmung dieser Mahn- und Gedenkstätten durch* die SED der DDR.

Obwohl die Volksrepublik Polen Israel bereits am 23. Mai 1948 anerkannt hatte, gestand man dem Staat Israel nicht das Recht zu, die überwältigende Mehrheit der Auschwitz-Opfer zu vertreten. Da Israel von 1940 bis 1945 noch nicht existiert hat, waren die jüdischen Opfer des Vernichtungslagers natürlich nicht israelische Staatsbürger. Erst 1965 wurde ein erstes Zugeständnis gemacht.

Der damalige Generalsekretär von ZBoWiD (polnischer Verband der Widerstandskämpfer) und stellvertretende Kulturminister profilierte sich als besonders aggressiver Antisemit.

Da als Ergebnis der von ZBoWiD geleiteten antisemitischen Kampagne Tausende Polen das Land verlassen mußten, war dies in den westlichen Ländern natürlich bekannt. Trotzdem änderte sich nichts im Verhältnis zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. ZBoWiD bekämpfte auf allen Ebenen das Gedächtnis an die jüdischen Opfer und schreckte nicht vor der Forderung zurück, die ganze Hauptredaktion der Wielka Encyklopedia Powszechna PWN (Große allgemeine Enzyklopädie) zu entlassen, weil sie im Artikel „Oswiecim" (Auschwitz) schrieb, daß im Lager vor allem Juden ermordet wurden. In der nächsten Auflage wurde der Text wieder geändert.

Die jüdische Ausstellung führte ein Schattendasein, ausländische Staatsbesuche beließen es weiter dabei, sich in Auschwitz der Meinung der polnischen Regierung anzuschließen. Auch die neueOstpolitik Willy Brandts und der Kniefall vor dem Warschauer Getto-Denkmal änderte nichts daran, dies, obwohl der deutsche Bundeskanzler damit bewiesen hatte, daß es auch in Polen möglich ist, der jüdischen Opfer zu gedenken, ohne die schwierigen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen emsthaft zu gefährden. „Bei meinen polnischen Gastgebern war an jenem Dezembervormittag eher Betroffenheit zu beobachten", schreibt Brandt in seinen Erinnerungen. „Man äußerte sich nicht, weder mittags, noch am Abend; ich schloß daraus, daß auch Polen diesen Teil seiner Geschichte noch nicht verarbeitet hatte." Brandt sollte leider recht behalten.

Der Autor lebt als Politikwissenschaftler in Innsbruck und leitet die „Braunauer Zeitgeschichtstage".

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