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Warnsignale an Marokkos König

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Mit dem Ergebnis der marokkanischen Parlamentswahlen ist König Hassans Mittelposition zwischen den verschiedenen arabischen und islamischen Lagern noch schwieriger geworden. Innenpolitisch stellt die linke „Union der Volkskräfte" nach ihrem über hundertprozentigen Stimmengewinn mehr einen Hecht im Karpfenteich der traditionellen Königstreuen als eine revolutionäre Gefahr dar.

Die klare Niederlage der Isti-klal-Partei hingegen, von der die diplomatischen und militärischen Zerreißproben des Königs in der

Westsahara, in der Nahostfrage und am Golf abgedeckt wurden, macht Hassan jetzt aus dieser Richtung leicht verwundbar.

Nach den Wahlen vom Frühjahr 1977 — dem ersten freien Urnengang unter der Herrschaft von König Hassan — hätten die 204 Abgeordneten schon letzten März neu bestellt werden sollen. Zur Verschiebung des Wahltags auf den 14. September führte gleich eine ganze Reihe von Gründen: Zunächst die Hunger- und Teuerungsrevolte im marokkanischen Norden und in Casablanca zur Jännermitte. Die Lage beruhigte sich nicht vor dem Sommer.

Der seit 1975 hauptsächlich zu Lasten des kleinen Mannes geführte Krieg in der Westsahara und die wirtschaftlich-soziale Krise des Landes standen dann auch seit Mitte Juli im Mittelpunkt des so heftig wie noch nie geführten Wahlkampfes.

Nach seiner alten Taktik versuchte Hassan II. mit äußeren Erfolgen zu glänzen und abzulenken. Unter seiner Führung hatte Marokko trotz seiner geographischen Randlage schon immer eine zentrale Rolle in der gesamtarabischen Politik gespielt.

Bis zur siebten arabischen Gipfelkonferenz von Rabat im Oktober 1974 konnte der König dank seiner brillanten Diplomatie daheim außerparlamentarisch regieren und diktieren. Darauf stürzte er sich in das Abenteuer des Krieges in der bis dahin spanischen Westsahara. Das brachte seiner Hofpartei den Wahlsieg von 1977, aber zugleich den immer blutigeren und kostspieligeren Kleinkrieg mit den Partisanen der Polisario-Front ein.

Das marokkanische Volk, von dem sich 1975 Hunderttausende am Einmarsch in das phosphatreiche aber umstrittene Gebiet beteiligt hatten, ist von Jahr zu

Jahr kriegsmüder geworden. Um diesen inneren, wie den äußeren Druck von seiten der Organisation für afrikanische Einheit, von Algerien und Libyen abzuschwächen, hat Hassans Außenminister Boucetta in die Selbstbestimmung für die Saharauis durch ein Referendum eingewilligt.

Der eigentliche Wahlschlager des Königs und seiner Verbündeten in der „großmarokkanischen" Sahara- und Nahostpolitik von Rabat, der alten nationalistischen Unabhängigkeitspartei des „Isti-klal" war jedoch am 13. August der zwischen Hassan und dem Tripolitaner Machthaber Ghad-dafi unterzeichnete Vereinigungsvertrag zwischen Marokko und Libyen.

Ähnliche Abkommen hatte Ghaddafi in den 15 Jahren seit seiner Machtergreifung den Ägyptern, Tunesiern und zuletzt dem Tschad abgerungen. Alle sind nur auf dem Papier geblieben.

Als Marokko hingegen den Vertrag zwei Wochen vor seinen Parlamentswahlen mit 99 Prozent Ja-Stimmen seiner 7,5 Millionen Stimmbürger ratifizieren ließ, erwarteten sich Königspartei und Istiklal davon eine Gewährleistung ihres Wahlerfolges.

Ghaddafi hatte Hassan die Einstellung jeder Unterstützung für die Frente Polisario versprochen, was ein Ende des Wüstenkrieges in eine vorstellbare Nähe rückte. Außerdem hatten sowohl die marokkanische Linke wie die islamischen Fundamentalisten mit Fez und Marrakesch als Hochburgen auf Ghaddafi gesetzt. Sein Pakt mit dem König mußte Marokkos Opposition verunsichern.

Die Rechnung Hassan II. ist auch insofern aufgegangen, als seine Königstreuen von der „Nationalen Union" die relative Mehrheit gewinnen konnten. Da das restliche Drittel der insgesamt 324 Parlamentssitze mit „zuverlässigen" Berufs- und Standesvertretern besetzt wird, kann der König seines Thrones weiter sicher sein.

Hingegen wurde Boucettas Istiklal mit seinen großarabischen Ambitionen zum eigentlichen Verlierer der Wahl. Die sozialistische USFP wiederum konnte ihren Stimmenanteü verdoppeln. Sie verfügt jetzt über 34 statt wie bisher nur über 16 Abgeordnete.

Das marokkanische Volk hat damit seinen Willen klar zum Ausdruck gebracht: Es will mehr Freiheit und bessere Lebensbedingungen, nicht nur Schauerfolge seines Königs als Makler und Mittler in allen afrikanischen, arabischen und islamischen Angelegenheiten.

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