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Warnung aus dem Norden

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Mit Riesenschritten nähert sich die Menschheit einer globalen Katastrophe, werden bei der Abrüstung nicht bald echte Fortschritte erzielt. Eine schwedische Studie und eine norwegische Umfrage geben dieser Warnung Nachdruck:

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Mit Riesenschritten nähert sich die Menschheit einer globalen Katastrophe, werden bei der Abrüstung nicht bald echte Fortschritte erzielt. Eine schwedische Studie und eine norwegische Umfrage geben dieser Warnung Nachdruck:

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Unter der unübersehbar geworde- nefli Bücherflut, aus der eine verwirrte und ratlos gewordene Leserschaft das für sie wirklich Wertvolle und Bleibende herausfinden soll, nehmen die Publikationen des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitutes SIPRI eine Sonderrolle ein.

Die Veröffentlichungen der SIPRI über den Stand und die Entwicklung der militärischen Rüstungen entstehen unter der Mitarbeit international anerkannter Forscher und Wissenschaftler aus Ost und West. Sie werden durch den Umstand gefordert, daß sie ohne Beachtung kommerzieller Rücksichten und in einem neutralen, seit vielen Jahren der Friedensarbeit verpflichteten Land, erscheinen.

Außerdem können sich ihre Autoren ein weitaus größeres Maß an Meinungs- und Äußerungsfreiheit zunutzemachen, als dies in einem Mitgliedstaat der beiden großen Militärallianzen möglich wäre. Das vor kurzem herausgekommene SIPRI-Jahr- buch für das Jahr 1979 (es ist das zehnte dieser Reihe) beweist überzeugend, was das für die Offenheit der Darstellung bedeutet.

Die Fortschritte, die auf dem Wege zu einer wahrhaftigen Abrüstung erzielt wurden, sind deprimierend gering: Die Aufrüstung geht in unvermindertem Takt zu immer effektiveren Waffen und fortgesetzten Kernwaffenversuchen unter der Erde weiter. SIPRI stellt’einen beschleunigten Ausbau der Rüstungsindustrie auch in solchen Ländern fest, die alle Ursache hätten, ihre begrenzten Mittel für friedlichere Zwecke einzusetzen. Und der Waffenhandel, der längst der Kontrolle der Regierungen entglitten sei, weite sich aus.

SIPRI weist darauf hin, daß sich die Militärausgaben - umgerechnet zu Preisen von 1973 - seit 1948 vervierfacht haben und nun die unvorstellbare Summe von 400 Milliarden Dollar jährlich erreichen; der Anteil der USA und der Sowjetunion beträgt etwa die Hälfte davon.

Alarmierend hoch ist der Anteil der Länder der Dritten Welt, der sich in zehn Jahren von sechs auf 14 Prozent der Gesamtkosten erhöht hat. In den letzten fünfzehn Jahren sind die bewaffneten Streitkräfte der Welt um 30 Prozent auf etwa 26 Millionen Mann erhöht worden. Die unterentwickelten Länder geben nun bereits viermal so viel für Rüstung aus als sie an Entwicklungshilfe von den industrialisierten Ländern erhalten.

Der Umsatz des internationalen Waffenhandels wird auf 20 Milliarden Dollar jährlich geschätzt. Laut SIPRI ist die Rüstungsindustrie der USA daran mit 47 Prozent, die der Sowjetunion mit 27 Prozent, Frankreichs Waffenproduzenten (die vor allem in den Nahen Osten und nach Südafrika liefern) mit elf Prozent, die italienischen und britischen Erzeuger mit je vier Prozent beteiligt. Die Bundesrepublik Deutschland mit zwei Prozent nimmt dagegen einen relativ bescheidenen Platz ein.

Die alles andere überschattende Bedrohung ist die Entwicklung auf dem Kemwaffensektor. Nach vorsichtigen Schätzungen entspricht der Vorrat an aufgestapelten Kernwaffen einer Sprengkraft von einer Million Atombomben des Hiroshima-Typs. Es gibt jedoch Forscher, die bereits mit einer Sprengkraft von 1,300.000 Hiroshima-Bomben rechnen. Man kann das auch so sehen, daß für jede menschliche Siedlung bis hinab zu 3500 Seelen eine eigene Atombombe bereitliegt.

Dieses höllische Arsenal ist nun so groß geworden, daß seine weitere Verstärkung völlig sinnlos erscheint. Trotzdem arbeiten zwischen 300.000 und 400.000 Forscher und Techniker ununterbrochen an einer weiteren Verstärkung der Effektivität der Kernwaffen.

Während zwischen dem 5. August und dem 31. Dezember des Jahres 1963 - um nur einen Zeitabschnitt herauszugreifen -15 Atomsprengungen durchgeführt worden sind, waren es im gleichen Zeitraum des Jahres 1978 48 Sprengungen. Seit 1963 haben die USA 636, die Sowjets 398, Frankreich 76 und Großbritannien 29 Atomwaffen gezündet. Frankreich kann dabei den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, als einzige dieser vier Mächte 41 Sprengungen in der Atmosphäre durchgeführt zu haben.

Doch nicht nur die Erde, auch das Meer und der äußere Raum werden immer mehr zu Ausgangsbasen für Vemichtungsschläge. So sind seit 1963 mehr als 1600 militärische Satelliten in Umlaufbahnen um die Erde gebracht worden. Und mit dem amerikanischen Unterwasser-Schlachtkreuzer „Trident” entsteht nun auf den Rüstungswerften Nordamerikas eine Vemichtungsmaschine von geradezu unvorstellbarer Effektivität.

„Ist die Abrüstung möglich, oder ist sie nur ein Traum”, befragte eine Studiengruppe im Auftrag des norwegischen Ausschusses für Rüstungskontrolle eine Anzahl von politischen Persönlichkeiten und Friedensforschem in Norwegen: „Die Abrüstung ist heute die einzige Alternative zu einer globalen kemphy- sischen Katastrophe”, antwortete darauf Marek Thee, einer der angesehensten Publizisten und Friedensforscher des Nordens:

„Gelingt es uns nicht, schon in den allernächsten Jahren auf dem Wege der Abrüstung ein Stück voranzukommen, ist es so gut wie sicher, daß diese Vernichtungswaffen innerhalb eines oder zweier Jahrzehnte zur Anwendung gelangen. Ob nun auf Grand einer Fehlkalkulation oder eines Unglücksfalles, mag dann gleichgültig sein.”

Es gehe um die Weiterexistenz der Menschheit, fährt Thee fort, und in dieser Hinsicht sei die Abrüstung ein Traum und eine Notwendigkeit zugleich. Die Katastrophe zu verhindern, liege heute noch im Bereich des Möglichen. Keine Seite mehr könne heute den Rüstungswettlauf gewinnen, aber jede Seite sei imstande, eine Weltkatastrophe herbeizuführen…

Ob diese Warnungen aus dem Norden auch überall in der Welt gehört werden?

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