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Warnung aus Wiener Neustadt

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Nun schon traditionsgemäß am dritten Sonntag im September mustert die Wiener Neustädter Akademie ihren jeweils ältesten Jahrgang zu Leutnants aus. Dies tut man mit einem Zeremoniell, das der steinernen Würde der alten Babenberger-burg entspricht. Den fehlenden Gegenwartsbezug müssen die Festansprachen ersetzen, die mit ebensolcher Regelmäßigkeit gehalten werden. Auch sie sind meist von einer Schematik, die solchen Anlässen entspricht.

Seit Jahren nun benützt ein Mann dieses Forum, um von der gleichen Stelle aus den unbequemen Mahner für die Notwendigkeit der Landesverteidigung zu spielen. So auch heuer. Doch drangen die Worte des Mahners wie selten bisher als ein Appell an das Ohr des routinierten Zuhörers.

Unser Land werde seine interna^-tionale Vertrauensstellung nur dann behaupten können, so sagte Bundespräsident Franz Jonas, wenn seine Verteidigungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung seiner Freiheit keine Zweifel aufkommen lassen.

Die Zweifel an der Effizienz unseres Verteidigungsinstruments mögen so alt sein wie das Objekt der

Kritik. Doch nie zuvor in der nun bald achtzehnjährigen Geschichte des Bundesheeres dieser Republik kamen die Zweifel so deutlich aus einer Richtung, der eher die Aufgabe zukäme, solche Zweifel zu zerstreuen — aus der Regierung.

Es ist bereits genügend um das forcierte Auftreten des parteilosen Außenministers Kirchschläger in Parteiveranstaltungen der SPÖ heruminterpretiert worden. Doch weniger die Tatsache allein, daß Kirchschläger die bisher geübte Distanz aufgibt, ist für die Kombinationen von Bedeutung, die um seine Person angestellt werden. Es ist der Tenor der dort abgegebenen Äußerungen, der aufhorchen läßt und die Frage auslöst, ob dieser Mann dem Bundesheer in ähnlich konsequenter Weise einen Oberbefehlshaber abgeben würde, wie der gegenwärtige Bundespräsident. Dies um so mehr, als Kirchschlägers Haltung zur österreichischen Sicherheitspolitik nicht bloß die Wiedergabe einer Kanzlermeinung, sondern eigenständiges Gedankengut ist. Für ihn ist eine konsequente Entspannungspolitik auch gleichzeitig die beste Sicherheitsvorsorge.

Nun hat auch Bundespräsident

Jonas keineswegs die Bestrebungen um eine europäische Entspannung kritisiert. Im Gegenteil, er begrüßte sogar die Bemühungen, Konflikte in Zukunft ohne Gewalt lösen zu wollen. Die logische Schlußfolgerung sei, wie er sagte, Entspannung, Zusammenarbeit und Sicherheit als Grundlagen der internationalen Politik. Im selben Atemzug warnte aber das Staatsoberhaupt davor, den Blick für die Realitäten zu verlieren.

Der Herbst 1973 bringt eine internationale Konferenzfolge, die den weltweiten Sicherheitsbemühungen entspricht. Am Genfersee, einem bewährten Treffpunkt der internationalen Diplomatie, soll sowohl eine politische wie eine militärische Sicherheitslösung erarbeitet werden.

Im ersten Fall soll das Ergebnis eine europäische Sicherheitscharta werden, im zweiten, die Sicherung des atomaren Patts und damit die Aufrechterhaltung des nuklearen Schirms als Konfliktbremse bewerkstelligen. In Wien wird man bereits im nächsten Monat versuchen, die ersten Schritte auf dem Neulandspfad einer militärischen Potentialverdünnung in Mitteleuropa zu beschreiten. Alles an sich begrüßenswerte Schritte.

Doch wovor warnte der Bundespräsident? Doch vor der Gefahr, bei allem angebrachten Optimismus den Blick für die Realität zu verlieren. Und die Realität spricht keineswegs noch die Sprache der Entspannung. Da war im Bericht des angesehenen Londoner Instituts für strategische Studien von nicht nachlassenden Anstrengungen des Warschauer Paktes die Rede, seine Truppen an der Front mit der NATO zu verstärken; da hört man, trotz aller verbalen Versprechungen, den atomaren Rüstungswettlauf zu beenden, immer wieder Meldungen über steigende Raketenzahlen und neue Vernichtungstechniken.

Friedlich, wie in seiner Grundtendenz der Österreicher nun einmal ist, mag er sich fragen, was diese so unfreundliche Umwelt ihn wohl angehe? Ist diese verständliche Naivität noch keineswegs tadelnswert, ist dies wohl aber die Haltung der verantwortlichen Stellen, solchen Gedanken noch das Siegel des Offiziösen zu verpassen. Der bekannte politische Autor Alexander Vodopivec war sicher nicht bestrebt, in seinem, dieser Tage erscheinenden Buch, den Teufel leibhaftig an die Wand zu malen, wenn er das Kapitel über die Verteidigungspolitik mit dem Titel überschreibt: „Von der bewaffneten zur unbewaffneten Neutralität.“ Die von ihm in allen Details geschilderte fiktive Intervention von östlichen Truppen in unserem Land ist nicht etwa seine geistige Erfindung und entbehrt auch nicht bereits eines praktizierten Vorbildes.

Man muß keineswegs die Ära des Kalten Krieges begrüßen und schon mit dem Bemühen, Fakten zu vermitteln, auch eine Renaissance dieser Zeit forcieren wollen. Realitätsbezug und Friedensbemühungen schließen sich keineswegs aus; viel eher scheinen sie die notwendigen Antipoden für eine Verwirklichung dieses Vorhabens zu sein.

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