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Warnung vor Naivität

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Dem Zustand der europäisch-amerikanischen Beziehungen widmete sich ein Symposium, das Anfang Juli in Innsbruck stattfand. Hier Auszüge aus den Referaten der zwei bekanntesten Teilnehmer.

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Dem Zustand der europäisch-amerikanischen Beziehungen widmete sich ein Symposium, das Anfang Juli in Innsbruck stattfand. Hier Auszüge aus den Referaten der zwei bekanntesten Teilnehmer.

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Die neue amerikanische Administration war ein Signal für die Sowjetunion. Dann kamen die bekannten Erklärungen amerikanischer Politiker der Reagan-Regierung, zum Beispiel über einen begrenzten Nuklearkrieg und sonstige Aussagen, die selbst von Kissinger nicht als sehr zweckmäßig empfunden wurden.

Und schließlich gab es die neue Aufrüstungswelle als Antwort auf die Aufstellung der sowjetischen SS-20-Raketen.

Hier einige Spekulationen über die Ursachen der Aufstellung der SS-20 und des Uberfalls auf Afghanistan: sowjetische FehleinSchätzungen; die rüstungspolitische Haltung der USA; die Spannungen zwischen dem demokratischen Europa und den Vereinigten Staaten; die Drohung des Rückzuges aus Europa — also eine neue Isolation.

Was ist jetzt zu tun? Ich kann

mich nur mit den politischen Aspekten beschäftigen. Zuerst einmal ein sehr wichtiger und vorrangiger Punkt:

Die Freundschaft, wie sie zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Demokratien entstanden ist — die neutralen Staaten inbegriffen —, muß ein politisches Axiom auch für die Zukunft bleiben. Gibt es Meinungsverschiedenheiten, dann müssen sie in einem ehrlichen Dialog beseitigt werden...

Weiters: Europa, die europäischen Demokratien, die meisten dieser Länder jedenfalls können sich einen Wirtschaftskrieg mit der Sowjetunion nicht leisten, schon gar nicht in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise, wo infolge des speziellen Charakters dieses Warenaustausches die Stellung der Sowjetunion und der osteuropäischen Staaten zwar von marginaler, aber doch von großer Bedeutung ist.

Die europäischen Staaten sind in ihrer Energieerzeugung jetzt zwar in etwas geringerem Maße als früher von den Staaten im Mittleren Osten abhängig, aber dennoch abhängiger, als dies für die USA der Fall ist. Andererseits aber sind sie in steigendem Maße auf die Erdgaslieferungen aus der Sowjetunion angewiesen.

Jeder Wunsch, diese vor allem energiepolitische Relation zu behindern, an der natürlich besonders die Bundesrepublik Deutschland, Italien und Österreich, aber auch andere Länder interessiert sind, muß zum Scheitern verurteilt sein, weil er vitale Interessen des Wirtschaftsverkehrs mit der Sowjetunion stört. Erdgas ist, als ob die Sowjetunion mit barem Geld für ihre Importe zahlt.

Der Handelsverkehr mit der Sowjetunion muß meiner Meinung nach sogar über den Austausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und einen konstruktiven Charakter im Sinne der Helsinki-Akte bekommen. Stichworte dazu: Energieverbund, europäisches Kanalsystem.

Das alles ist wichtig, sollen die Beziehungen zwischen dem europäischen Westen und dem europäischen Osten sich in friedlicher Weise entwickeln können. Wobei ich nicht ausschließen möchte, daß die Sowjetunion heute ein gewisses Interesse haben mag, daß Präsident Ronald Reagan wiedergewählt wird. Denn ihr vordringliches taktisches Ziel ist es im Augenblick, eine zunehmende — wie sie hoffen — Entfremdung zwischen der Administration der USA und dem Westen herbeizuführen ...

Die Frage, inwieweit Aussichten auf eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Gegenstände, die in Genf seinerzeit diskutiert wurden, bestehen, scheint mir im Augenblick wenig sinnvoll zu sein, weil das Gleichgewicht — sofern man von so einem sprechen kann — sich sicher in den nächsten Monaten auf einer höheren Ebene einpendeln wird.

Und ich glaube auch, daß erfolgreiche Verhandlungen in Zukunft nur sinnvoll sind, wenn vorher vertrauensbildende Maßnahmen von beiden Seiten gesetzt werden...

Dazu gehören aber auch Lösungen für den Technologietransfer, an dem ja die Sowjetunion ein besonderes Interesse hat; wobei mir bewußt ist, daß hier aus verschiedenen Gründen gewisse Grenzen gesetzt werden müssen. Dennoch muß man sich über eines klar sein: Die intellektuellen Ressourcen der Sowjetunion sind beträchtlich, wie sich seinerzeit bei der Lancierung des Sputniks und wie sich auch bei der Aufrüstungstechnologie gezeigt hat.

Die Sowjetunion verfügt auf diesem Gebiet über ein beträchtliches Potential, und es ist eigentlich eine technologische Konsequenz, daß dieses Personal — wenn es zu einem Teil freigesetzt werden kann — Fortschritte der UdSSR auf dem zivilen Sektor bringen könnte.

Die Vorstellung, die es heute unter sehr naiven, aber doch einflußreichen Leuten gibt, ist die, daß die Sowjetunion mit wirtschaftlichen Mitteln in die Knie gezwungen werden kann. Ich erlebe diese Quasi-Prognosen seit dem Jahre 1930.

Es hat alles nichts genützt, die Völker der Sowjetunion sind zum Unterschied von damals zu sehr großen Opfern bereit. Das hat nicht zuletzt der Zweite Weltkrieg bewiesen, in dem ja die deutschen Truppen lange Zeit in unmittelbarer Nähe von Leningrad und Moskau lagen und große Teile der Sowjetunion besetzt hielten.

Ich würde also empfehlen, daß derartige Überlegungen als Wunschdenken außer Betracht gelassen werden. Ebenso unrealistisch ist die Vorstellung, daß man zusammen mit China die Sowjetunion in einem Einkreisungsprozeß zu Konzessionen zwingen kann. Dazu wird sich China sicher nicht ohne Not verwenden lassen. Ganz im Gegenteil: Es ist das große Interesse Chinas, mit der Sowjetunion mindestens ein ebensolches Verhältnis herbeizuführen wie mit den USA.

Von einem Gipfeltreffen zwischen Reagan und Tschernenko erwarte ich mir aus vielen Gründen subjektiver Art nicht sehr viel: Man listet in relativ kurzen Gesprächen die Probleme auf, die es zwischen den beiden Mächten gibt, und einigt sich dann darauf, daß die Stellvertreter der Regie-rungs- und Staatschefs nun die Probleme diskutieren. Ohne eine gründliche Vorbereitung, die bis ins Detail gehen müßte, wird sich von direkten Gesprächen nichts erwarten lassen ...

Ein weiteres Referat, das bei diesem von den Universitäten New Orleans und Innsbruck veranstalteten Symposium vom österreichischen Botschafter in Washington, Thomas Klestil, vorgetragen wurde, erschien in der FURCHE Nr. 29/84.

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