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Digital In Arbeit

Warnung vor totaler Gesundheitskontrolle

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Die elektronische Datenverarbeitung erleichtert viele Arbeiten ganz erheblich. Weil sie aber auch das Sammeln großer Mengen von Information ermöglicht, ist ihr Einsatz oft auch bedenklich -etwa im Gesundheitssektor.

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Die elektronische Datenverarbeitung erleichtert viele Arbeiten ganz erheblich. Weil sie aber auch das Sammeln großer Mengen von Information ermöglicht, ist ihr Einsatz oft auch bedenklich -etwa im Gesundheitssektor.

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Derzeit werden etwa 80 Prozent der Patienten in einer Wiener Allgemeinpraxis nach den Richtlinien der Gebietskrankenkassen abgerechnet.

Der Vorgang dürfte somit bekannt sein. Der Versicherte besorgt sich bei Bedarf seinen Krankenkassen-„Scheck" bei Arbeitgeber, Arbeitsamt, Krankenkasse oder hat ihn bereits von der Pensionsversicherung erhalten und pilgert damit zum Arzt seines Vertrauens. Dieser kontrolliert Vollständigkeit, Datum und Unterschrift, vollbringt seine ärztliche Leistung, setzt dann auf dem Krankenschein die Diagnosen ein und gibt auf der Rückseite mittels eines Zahlenschlüssels der Kasse die erbrachten Leistungen bekannt.

Die Scheine werden zum Quartalschluß gesammelt, sortiert, kontrolliert, gebündelt und der Krankenkasse übermittelt. Dort wird jeder Schein in die Hand genommen, wieder geprüft. Daten und entschlüsselte Leistungen werden nun, soweit entzifferbar, in den Computer eingegeben und verrechnet.

Schließlich wird das errechnete Honorar in drei Monatsraten ausbezahlt. Alles in allem werden so um die 30 Millionen (!) Krankenscheine im Jahr, jeder etwa zehn Mal, in die Hand genommen.

Ein Vorgang, der nach EDV-mäßiger Abwicklung geradezu schreit. Zahlreiche EDV-Firmen sind daher emsig bemüht, diese Abläufe irgendwie maschinell faßbar zu machen und mehr oder weniger anwenderfreundlich aufzubereiten.

Nun gibt es aber schon seit Jahren bei den Beamten und den Selbständigen einen inzwischen vereinheitlichten, bedingt computerles- und beschreibbaren Krankenschein. Bei diesem System verwaltet der Versicherte seinen Vorrat an Krankenscheinen selbst.

Mit der Übergabe an den Arzt seines Vertrauens liefert er ihm die nötigen Versicherungsdaten (die EDV-Lesbarkeit könnte sicher noch verbessert und standardisiert werden). Diese Scheine der sogenannten „Kleinen Kassen" lassen sich auch ohne Computer ganz gut verarbeiten.

Die vom Arzt erbrachten Leistungen werden durch Ankreuzen und ebenfalls mittels eines Zahlenschlüssels am Schein eingetragen; die Scheine werden dann jeweils zum Stichtag der Versicherungsanstalt übermittelt.

Nebenbei wird bei diesen Kassen durch die Verrechnung eines Selbst-behaltes (derzeit 20 Prozent) dem Prinzip der direkten Kontrollmöglichkeit Rechnung getragen. Der Versicherte weiß dadurch, wann er bei welchem Arzt gewesen ist und wie hoch das von der Versicherung bezahlte Honorar war.

Derzeit laufen aber bereits zwei Pilotprojekte, die total auf maschinelle Datenübertragung aufgebaut sind.

Zunächst gibt es bereits seit längerer Zeit Versuche, eine sogenannte

„Medicard" einzuführen. Im Prinzip handelt es sich dabei um einen kleinen Datenspeicher im Scheckkartenformat, in dem die wichtigsten medizinischen Daten vom Arzt - wenn er das entsprechende Gerät besitzt - eingetragen werden: Krankheiten, Allergien, Medikamente. Der Vorteil, vor allem bei Notfällen, liegt auf der Hand: Selbst bei Bewußtheitsstörung sind die für eine Behandlung nötigen Daten rasch zur Verfügung.

Ein Nachteil ist aber meiner Meinung auch, daß der Betreffende selber nicht direkt überprüfen kann, ob seine Medicard in Ordnung ist. Der Krankenschein wird dabei nicht ersetzt.

Seit drei Monaten wird aber nun die „Chipkarte" erprobt. Hier gibt es meiner Meinung nach die entscheidende Änderung. Erstmals ist der Patient nicht der Überbringer seiner Daten. Die Chipkarte dient nur zur Identifikation. Ähnlich wie bei der Bankomatkarte wird die Chipkarte eingeschoben, daraufhin wird eine Verbindung zum Zentralcomputer aufgebaut, der eine automatische Berechtigungsprüfung durchführt. Der Arzt schreibt Diagnose und Leistung dazu und alles ist okay!

Jede Menge von Papier, Verwaltungsaufwand und Zeit ist gespart. Würde man noch ein wenig mehr vernetzen und gleich auch die Rezepte mit eingeben, Fachärzte, Ambulanzen und Spitäler einbeziehen, dann wäre es auch noch vernünftig, die Rettung, das Rote Kreuz, den Ärztenotdienst mit einem Terminal auszurüsten.

Ist es verwunderlich, wenn mir beim Durchdenken dieser Modernisierungen Horrorvisionen einer allgegenwärtigen Kontrolle durch einen Hauptverband aufsteigen.

Mir ist klar, daß auch ich mich auf Dauer der EDV in der Arztpraxis nicht entziehen können werde. Ich sehe mich aber in meiner Tätigkeit persönlich nur meinem Patienten verpflichtet.

Natürlich muß ich gewisse Daten an die Versicherung weiterleiten, aber nur damit diese für den Versicherten die Kosten für Medikamente, weitere Untersuchungen und mein Honorar übernehmen kann.

Deshalb sollte der Informationsfluß an die Versicherungsträger möglichst gering gehalten werden. Das ist für mich auch das wichtigste Argument für ein sogenanntes Mischhonorarsystem mit einer vernünftigen Grundpauschale. Nach eingehender Beschäftigung mit diesem Thema komme ich zu dem Schluß, daß das derzeit mit den „Kleinen Kassen" gehandhabte System in mehrfacher Hinsicht optimal ist und weiter verbreitet werden sollte, auch um der „Notwendigkeit" der Einführung der Chipkarte vorzubeugen:

□ Der Krankenschein ist mit dem freien Auge und maschinell lesbar;

□ der Versicherte verfügt selbst über seine Scheine;

□ es gibt eine direkte Kontrollmöglichkeit für den Patienten durch den Selbstbehalt (soziale Härtefälle sind von diesem befreit);

□ auch bei Strom- oder Systemausfall kann weitergearbeitet werden.

Ein vernünftiger Weg der Mitte ist wieder einmal gefragt.

Der Autor ist praktischer Arzt in Wien.

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