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Warschauer „Erpressung“

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Den wenig populären Schlußstein zu der von Willy Brandt mit Vehemenz vorangetriebenen deutsch-polnischen Aussöhnung mußte jetzt Brandts Nachfolger als Bundeskanzler, Helmut Schmidt, setzen. Ihm fiel jetzt in Helsinki, am Rand des

KSZEnSchlußakts, die Aufgabe zu, mit Polens Parteichef Gierek über die finanzielle Seite dieser Aussöhnung handelseinig zu werden.

Denn der von Brandt unterzeichnete deutsch-polnische Vertrag hatte zwar die Frage der ehemaligen deutschen Ostgebiete im Sinne eines Verzichts der Bundesrepublik geregelt, hatte die Aufnahme von normalen Beziehungen zwischen den beiden durch eine leidvolle Geschichte miteinander verbundenen Staaten eröffnet und auch die Umsiedlung ausreisewdUiger Polen deutscher Abstammung in die Bundesrepublik zaghaft eingeleitet. Aber bereits bald danach hatte Polen deutlich zu erkennen gegeben, daß die endgültige Normalisierung der Beziehungen von der Erfüllung einiger finanzieller Forderungen abhängt.

Kreditwünsche in Höhe von drei Milliarden D-Mark zu ungemein günstigen Konditionen wurden laut, die Frage von Rentenansprüchen polnischer Staatsbürger gegenüber der Bundesrepublik wurde erhoben und auch die Frage der Entschädigung von KZ-Opfern. Im gleichen Maße, in dem die bundesdeutsche Haltung gegenüber derartigen Forderungen zurückhaltend war, sank außerdem die Bereitschaft Polens, Deutsche im Rahmen der sogenannten Famüienzusammenführuaig ausreisen zu lassen.

Diese Frage, im deutsch-polnischen Vertrag selbst gar nicht geregelt, sondern in einem einseitigen Zusatzpapier der Bundesrepublik angesprochen, wurde von Polen schließlich so sehr zum Problem gemacht, daß die Zahl der Umsiedler rapide abnahm und in diesem Jahr nicht mehr nennenswert war, obgleich nach“ Angaben des Deutschen Roten Kreuzes rund 300.000 ausreisewillige Deutsche in Polen leben sollen.

Verbitterung auf beiden Seiten war die Folge. Polen warf der Bundesrepublik Krämergeist vor, weil die finanziellen Forderungen als überhöht zurückgewiesen wurden. In der Bundesrepublik warf man Polen Menschenhandel vor, weil die Bewilligung von Ausreisen nur zu deutlich mit der Erfüllung finanzieller Forderungen gekoppelt wurde.

Fünf Jahre nach Unterzeichnung des Warschauer Vertrags lösten Schmidt und Gierek das Problem. Die Lösung konnte nicht mehr als ein Kompromiß sein und da die ganze Angelegenheit mit ihrer Mischung aus Finanzen und humanitären Fragen nie sehr erfreulich war, nur ein unerfreulicher Kompromiß.

Schmidt muß sich den Vorwurf gefallen lassen, wesentlichen Forderungen der Polen nachgegeben zu haben. Zwar beträgt der nunmehr zugesagte Kredit nur eine Milliarde D-Mark. Die Konddtionen sind aber so, wie sie sonst nur Entwicklungsländern gewährt werden. Vor allem muß die Bundesregierung das Geld angesichts der angespannten Haushaltslage selbst auf dem Kapitalmarkt aufnehmen und dabei weit mehr als die mit Polen vereinbarten 2,5 Prozent Zinsen zahlen. Der Steuerzahler wird also kräftig zur Kasse gebeten. ,

Problematischer ist die Übereinkunft über die Regelung der Rentenansprüche polnischer Staatsbürger gegenüber der Bundesrepublik. 1,3 Milliarden D-Mark werden zur Abgeltung dieser Ansprüche an den polnischen Staat überwiesen. Ob die Anspruchsberechtigten tatsächlich in den Genuß dieser Zahlung kommen werden, scheint fraglich. Diese Lösung ist daher keineswegs lupenrein und kann kaum als Kompromiß, sondern nur als Anerkennung der Wünsche des polnischen Verhandlungspartners angesehen werden.

Endgültig fragwürdig wird die Regelung der Umsiedlerfrage. Zwar wird von Polen erstmals die Existenz einer deutschstämmigen Minderheit in seinen Grenzen vertragsmäßig respektiert, aber für die Deutschen in Polen sind ihre Probleme nicht gelöst. Denn nur 120.000 von ihnen dürfen in den nächsten vier Jahren in die Bundesrepublik übersiedeln, etwas mehr als ein Drittel der vermuteten Ausreisewilligen. Menschliche Probleme in großer Zahl scheinen mit dieser Regelung in die Welt gesetzt worden zu sein. Die bundesdeutsche Zustimmung zu dieser inhumanen Regelung dürfte allerdings wohl dadurch erleichtert worden sein, daß diese Umsiedler aus Polen bei steigender Arbeitslosigkeit zu einem wachsenden Problem werden, da ihre Integration schon zu Zeiten der Vollbeschäftigung nicht problemlos war.

Kein Wunder, daß die Opposition in Bonn trotz der Sommerferien das Vertragswerk von Gierek-Schmidt heftig kritisierte und das deutsch-polnische Verhältnis gleich wieder aufs neue belastete, indem sie davon sprach, daß hier „polnische Erpressungspolitik“ Erfolge , verzeichnen konnte. Mag hier auch der Ton manchmal etwas überzogen worden sein, so wird die SPD/FDP-Regierung aber kaum an der Kritik vorbeigehen können, daß der „Erfolg“ der Gespräche Gierek-Schmidt eigentlich die Unzulänglichkeit des Brandtschen Vertragswerkes erst deutlioh gemacht hat. Die damals angewandte Methode, eine entscheidende, vertraglich nicht zu klärende Frage, nämlich die Umsiedlung deutschstämmiger Polen, in einem einseitigen Nebenpapier ' unterzubringen, hat sich zu einem Großteil als unzureichend erwiesen. Da dieses Verfahren auch bei anderen Verträgen der Brandt-Ära in der Ostpolitik angewendet wurde, sind weitere böse Folgen nicht auszuschließen.

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