6836889-1975_20_01.jpg
Digital In Arbeit

Warten auf den Kanzler

Werbung
Werbung
Werbung

Die Studienkommission für Probleme der slowenischen Volksgruppe in Kärnten beendete nach rund zweieinhalb Jahren äußerst intensiver Arbeit am Freitag, dem 9. Mai, ihre Arbeiten.

Sie hieß von Anfang an und bis zum Schluß der Einfachheit halber im täglichen Sprachgebrauch „Ortstafelkommission“, weil sie vom Bundeskanzler (nur von ihm und nicht etwa von der Bundesregierung) aus Anlaß des „Ortstafelsturms“, der sich ja auch persönlich gegen den Bundeskanzler gerichtet hatte, eingesetzt worden war, um an die Stelle des wegen der deutschnationalen Leidenschaften nicht durchsetzbaren Ortstafelgesetzes ein neues Gesetz i über die topographischen Aufschriften in Südkärnten zu setzen und gleichzeitig andere grundsätzliche Differenzen zwischen Mehrheit und Minderheit zu bereinigen. Sie entwickelte sich dann allerdings immer mehr zu einer Kommission zur Ausarbeitung eines Verwal-tungs-Amtssprachengesetzes sowie eines Gerichtssprachengesetzes, nachdem ihre wissenschaftlichen Experten gleich zu Beginn in einer Unterkommission — diese verebbte später gänzlich — Themen behandelte, die nicht die Brisanz der Ortstafelfragen haben, aber grundlegend sind: Begriff der Minderheit gemäß dem Art. 7 des Staatsvertrages von 1955, Statistik der Kärntner Slowenen, Existenz oder Nichtexistenz eines windischen Volkes und einer windischen Sprache, Sinn des Art. 7 des Staatsvertrages.

Die Ortstafelkommision ist nur zur Erarbeitung von Vorschlägen an den Bundeskanzler zur Erfüllung des bis heute so gut wie gänzlich unerfüllten Absatzes 3 des Staatsvertrages eingesetzt worden (Amts- und Gerichtssprache, topographische Aufschriften), also nicht der zwar teilweise, aber nicht voll befriedigend gelöste Schulsprachenfrage, nicht der wohl nicht lösbaren Frage des Verbotes bestimmter minderheitenfeindlicher Organisationen (falls es solche gibt), und nicht der Teilnahme der Volksgruppe an den öffentlichen Förderungsmitteln und der kulturpolitischen Gleichstellung mit dem Mehrheitsvolk eingesetzt worden. Immerhin hat die Kommission durch ihre wissenschaftlichen Experten von Anfang an die Überschrift über den ganzen Artikel 7, nämlich den Begriff der slowenischen (und kroatischen) Minderheit in bezug auf die weitere Begriffsbestimmung „Bezirke mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung“ behandelt und ausgelegt, dies in einer absolut minder-heitenf reundlichen Weise. '

Sie stellte überhaupt fest, daß Art. 7 so minderheitenfreundlich wie nur möglich und völkerrechtskonform auszulegen sei. Daß später der Eindruck entstand, daß die offiziellen Vertreter von ÖVP und teilweise auch FPÖ — nicht allerdings SPÖ — von diesem Grundgedanken in den einzelnen Beratungspunkten erheblich abwichen, kann nichts an dieser Grundhaltung ändern, zumal ja auch die Politiker sich den Wissenschaftlern (Ethnosoziologen und Sprachwissenschaftlern) anschlössen und bestätigten, daß es weder ein windisches Volk noch eine windische Sprache gebe, womit eine der zentralen Divergenzen zwischen Deutschkärntnern und Slowenen überbrückt ist, wenngleich natürlich

immer noch offen bleibt, welche Auswirkungen das Bekenntnis jener rechtlich hat, die sich aus Gegensatz zu den volksbewußten Slowenen als „Windische“ und damit zu einem Volk aus der Retorte bekennen.

Man konnte im Lauf der Entwicklung der Kommission immer deutlicher erkennen, daß die gedankliche Führung weitestgehend auf die wissenschaftlichen Experten überging, so daß der da und dort spürbar gewesene Widerstand einzelner Politiker gegen eine von den Slowenenverbänden gewünschte minderheitenfördernde Verwirklichung des Staatsvertrages sich immer mehr verflüchtigte. Es sei nicht übersehen, daß vor allem Bürgermeister aus Südkärnten, die vom Bundeskanzler ganz zu Recht in die Kommission berufen wurden, auf die unendlichen Schwierigkeiten hinwiesen, die sich jeder Verwaltungsamtssprachenregelung entgegenstellen würden.

Nun, so schlimm ist es vielleicht nicht, auch wenn in letzter Zeit die gerüchteweise in Kärnten massiv in Umlauf gesetzte deutschnationale Parole, das slowenische Gymnasium müsse beseitigt werden, recht unbehaglich stimmt.

Die Ortstafelkommission hat in zwei Varianten ein Verwaltungs-Amtssprachegesetz mit Gerichtssprachengesetz (das auch in das

Verwaltungsamtssprachengesetz eingebaut werden kann) ausgearbeitet, wobei die eine Variante eine Sprachzählung besonderer Art zur Definition des territorialen Geltungsbereiches zur Grundlage hat (der Bundeskanzler hatte eine solche als Arbeitsgrundlage gegeben) und die andere die Ergebnisse der letzten Volkszählung vor dem Staatsvertrag (1951) als Basis nimmt. Dieser harte Kern führte zu keiner Einigung, denn es bleiben hiezu (und auch zu den Prozentsätzen Slowe-nischsprachiger in Bezirken und Gemeinden, die Voraussetzung für die Zweisprachigkeit von Behörden, Gerichten und Ortstafeln sind) kontroverse Standpunkte bestehen, doch hat man sich in allen übrigen Punkten geeinigt, sogar darin, wie die zweisprachigen topographischen Aufschriften auszusehen haben und wo sie außer Im Straßenverkehr anzubringen sind. Das kann als erstaunlich bezeichnet werden.

Der Bundeskanzler wird sich nun zu entscheiden haben, welcher Variante er den Vorzug gibt. Bleibt er bei der Sprachzählung besonderer Art, wird es in Kärnten keinen Frieden geben, da die Minderheit, und zwar auch die friedlichsten ihrer Vertreter darin eine Minderheitenfeststellung erblicken, die notwendigerweise der Dezimierung der Minderheit dient und die Auslöschung eines gemischtsprachigen Territoriums herbeiführen müßte (da die Zählung sicher nicht geheim bleibt und jeder, der sich zur Minderheit bekannt hat, in der Gesellschaftswirklichkeit über die Karawanken gejagt würde, wenn er zu den marginalen Kärntnern gehört, um deren ethnische Zugehörigkeit der Kampf geht).

Andernfalls könnte die Ära der großen Befriedung einsetzen, wenn die slowenischen Dachverbände sich endlich auch an den Verhandlungstisch setzen und statt nach Belgrad und Laibach nach Wien blicken wollten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung