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Warten auf den Tag der Ernte

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Wer als Europäer von Peru spricht, erwähnt Cuzco, die 3400 Meter hoch gelegene Ex- Hauptstadt des alten Inkareiches, deren Charme auch den nüchternsten Besucher umstrickt, dann die nahen Steinwunder von Sacysay- huaman, die heute in eine völlig unerforschte Vor-Inka-Zeit verlegt werden, und natürlich Machu Picchu, die atemberaubende Kult- und Wissenschaftsstätte der Inkas am Waynapicchu-Berg.

Auch ihre Spuren weisen heute in eine Epoche vor Beginn der Herrschaft dieser „Römer Amerikas“ (12. bis 16. Jahrhundert) zurück. Cuzco heißt „Nabel“ und ist vielleicht die älteste dauernd bewohnte Siedlung der westlichen Zivilisation.

Der Nabel der heutigen Repü- blica del Peru ist Lima, die Fünf-

Millionen-Stadt -am Rio Rimac, Gründung des in seinen Mauern mumifizierten spanischen Conquistador Francisco Pizarro, einstige Kapitale aller spanischen Besitzungen Südamerikas, anmutig-stolz noch heute mit seinen Kirchen, Regierungspalästen, weiten Plätzen und prächtigen Holzbaikonen, deprimierend mit seinen 400.000 Slumbewohnern in den Barriadas von San Cristöbal, wo sieben von zehn Kindern sterben.

Seit zweieinhalb Jahren ist Peru wieder eine Demokratie. Den 1968 vom Militär gestürzten Präsidenten Fernando Belaunda Terry hat man zurückgeholt, und er steuert heute einen gemäßigten Mitte-Links-K’irs mit starker Abstützung auf me Gewerkschaften. Erst vor kurzem hat er einen Großteil der Minister ausgewechselt.

„Peni hat in den letzten zwei Jahren eine erfreuliche Entwicklung genommen“, begann ich alle meine Gespräche (im Oktober 1982). Die meisten Gesprächspartner stimmten freudig zu.

Nur Senator Luis Alberto Sanchez, ehrwürdige Figur in Penis Politszene, widersprach von Anbeginn: „Nein, ich glaube das nicht. Die heutige Generation trägt die Last der Irrtümer ihrer Vorgänger.“ Und er zählt auf:

„Die, Ernährung ist schlechter

als vor zehn Jahren. Die Erziehung liegt im argen. Der Terror nimmt zu. 80 Prozent der wegen Terrors Erschossenen oder Gefangengenommenen sind Studenten und Hochschullehrer — das ist ein intellektueller Aufstand … “

Was verursacht ihn? Ja, gewiß, die noch immer große Armut. Aber alle sagen: Arbeiter und Bauern trifft man kaum unter den Aufständischen, deren Zentrum die Hochschulstadt Ayacucho ist, wo einst die von der Inquisition Verurteilten hingerichtet wurden. Nur relativ wenige Indios haben sich den Terroristen des Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) angeschlossen, der eine wirrmarxistische Mao-Linie vertritt.

Im August/September hat sich die Zahl der Bombenanschläge auch in Lima erhöht. An die 1300 Terrorfälle wurden 1981 und 1982

registriert. Aber niemand glaubt derzeit an eine unkontrollierbare Ausbreitung der Aufstandsbewegung.

„Wir müssen unsere Armen besser ernähren, Arbeitsplätze schaffen, aber vor allem das Erziehungswesen verbessern“, fordert Senator Sanchez, der in dem von Schwerbewaffneten geschützten Parlamentsgebäude eine imponierende Sprache führt.

In der peruanischen Wirtschaft haben sich nach einer kurzen Erholungsperiode wieder Rezessionstendenzen verstärkt — wachsende Zahlungsbilanz- und Budgetdefizite, stagnierende Kaufkraft, Inflation um 70 Prozent. Überdurchschnittlich starke Budgetkürzungen trafen das Unterrichtsressort. Aber an die 60 Prozent der 18 Millionen Peruaner sind immer noch Analphabeten.

Das zentrale Problem einer gerechteren Einkommensverteilung wurde bereits vor Belaunda Terry angegangen. „Schon seit der noch

von den Militärs eingeleiteten Agrarreform gibt es keine Riesenländereien mehr“, erläutert Enrique Zileri Gibson, der 31jährige Dritteleigentümer und Chefredakteur des Wochenmagazins „Caretas“, der sich wie alle Zęi- tungsleute Perus über das Ende der jahrelangen Zensur freut.

„In Teilen des Berglandes werden heute schon die damals geschaffenen Agrargenossenschaften von den verbliebenen Privatbauern als privilegierte .terrate- nientes betrachtet.“ Zileri Gibson hofft vor allem auf eine Eindämmung der Inflation und wieder steigende Rohstoffpreise.

Auch Alexandro Miro Quesada, Direktor der größten Tageszeitung Perus, „El Comercio“, nennt sinkende Exportrohstoffpreise, steigende Importgüterpreise und den Terrorismus als Hauptprobleme. Und die Korruption? „Ja, die gibt es in gewisser Hinsicht auch…“

Andere Gesprächspartner bezeichnen diese Formulierung als starke Untertreibung. Auf ein anderes Grundproblem weist der sympathiegewinnende Botschafter Perus in Wien, Augusto Arzu- biaga Rospigliosi, hin:

Es ist die große Schwierigkeit, drei voneinander nahezu völlig getrennte Regionen — die Küstenzone um Lima, das Kordillerenhochland („Sierra“) mittiefeinge- schnittenen Tälern, rauschenden Flüssen und grünem Weideland, sodann die feuchtheißen Regenwälder des Dschungels („monta- na“) — wirtschaftlich und sozial zu integrieren.

Im Hochland leben die meisten der Indios, die um 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, seit 1975 ihre Sprache (Ketschua) auch vor Behörden verwenden dürfen, aber arm, unwissend (und kinderreich) sind. Ihnen vor allem galt das letzte Wort des jüngst verstorbenen Bischofs von Cuzco:

„Die Früchte der Gerechtigkeit und der Wahrheit werden erst nach dem Schneiden der Pflanzen im Winter und nach der Blüte des Frühlings geerntet. Doch haben wir die Gewißheit, daß dieser Tag kommen wird.“

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