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Warten auf die Vereinigung

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Im DDR-Wahlkampf zeichnet sich ein Kopf an Kopf-Rennen zwischen den Sozialdemokraten und der „Allianz für Deutschland" ab. Das Institut für Jugendfragen sowie das Marktforschungsinstitut, beide Leipzig, haben unabhängig voneinander je 1.200 DDR-Bürger über ihre Parteipräferenzen befragt. Demnach hat die SPD die Aussicht, am kommenden Sonntag von 34 Prozent gewählt zu werden. Die Allianz könnte mit einem Stimmen- anteil von 31 Prozent rechnen. Der PDS, das heißt der umbenannten SED, würden momentan etwa zwölf bis 14 Prozent ihre Stimme geben; im Vergleich zu früheren Umfra- gen ist die Tendenz bei der PDS sinkend. Mit vier bis sechs Prozent schneiden die Liberalen (LDPD) unterdurchschnittlich ab, die Grü- nen kommen in den Meinungsum- fragen auf etwa drei, die Vereinigte Linke auf ein, die Bauernpartei auf rund drei Pro- zent. Vollkom- men abgefallen ist das „Neue Fo- rum" , dem nur ein Prozent der Wahlberech- tigten ihre Stim- me geben wür- den. Gegenwärtig bestimmt Bun- deskanzler Hel- mut Kohl den DDR-Wahl- kampf. Vor hun- derttausend Magdeburgern betonte er am 6. März gewandt wie gewendet, „wir Deutsche wollen, daß Polen in gesicherten Grenzen lebt". Willy Brandt mußte sich am Tag davor in Dresden mit nur zehntausend SPD- Sympathisanten begnügen. Der SPD gehen offenbar die Zugpferde aus dem Westen aus. Den Bürger- bewegungen ist der Atem (und wohl auch die finanzielle Unterstützung) ausgegangen. Das Rennen werden die Großparteien machen.

Ein Runder Tisch im DDR-Fern- sehen hat dieser Tage konstatiert, daß der Wahlkampf äußerst unfair und unkultiviert geführt werde. Sozialdemokraten werden als Nachfolger der Kommunisten dar- gestellt, Lothar de Maiziere als „Kapitalistenknecht" beschimpft. Die vergangenen Wahlkampftage waren von zunehmender Aggressi- vität geprägt, das geht bis zu Hand- greiflichkeiten.

Hinsichtlich des Einheitskurses der Parteien ist die Position der „Allianz" mitdemSlogan „Wirsind ein Volk" am klarsten, die SPD drängt auf einen Volksentscheid über die Vereinigung nach den Wahlen. Ein großer Teil der DDR- Bevölkerung setzt auf die Wäh- rungs- und Wirtschaftsunion sowie auf einen schrittweisen, aber baldi- gen „Anschluß" an die Bundesre- publik unter Beachtung Staats- und völkerrechtlicher Normen. De fac- to existiert in der DDR die D-Mark bereits als zweite Währung, Süd- früchte in Bautzen, Löban, Leipzig und Dresden sind nur mehr gegen harte D-Mark zu erhalten.

Viele DDR-Bürger glauben, eine Einheit nur mittels Übernahme des Grundgesetzes der Bundesrepublik erreichen zu können, nicht über eine neue gemeinsame Verfassung, da man drei Viertel der künftigen Be- völkerung des neuen Deutschlands (also die Bevölkerung der Bundes- republik) nicht für eine neue Ver- fassung werde gewinnen können.

Wichtig erscheinen den DDR- Bürgern Absicherungen der sozial Schwachen nach einer Währungs- reform sowie Lastenausgleichsmaß- nahmen bei den Pensionisten. Eine Erhöhung der Renten wurde für die DDR-Pensionisten seitens der BRD bereits in Aussicht gestellt. Die all- gemeine Stimmung ist daher: War- ten auf die Vereinigung (begreifli- cherweise mit Ängsten)

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