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Warten auf Onkelchen

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Auftakt zu den französischen Präsidentschaftswahlen am 24. April. Nur langsam trudeln die Kandidaten ein. Der klar favorisierte Francois Mitterrand zögert seine Entscheidung weiter hinaus.

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Auftakt zu den französischen Präsidentschaftswahlen am 24. April. Nur langsam trudeln die Kandidaten ein. Der klar favorisierte Francois Mitterrand zögert seine Entscheidung weiter hinaus.

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Von den aussichtsreichen drei stehen bis jetzt nur Jacques Chirac (seit Jänner) und Raymond Barre (seit Februar) fest. Fran-cois Mitterrand, den alle Meinungsumfragen klar favorisieren (im ersten Wahlgang bekäme er laut Umfragen etwa 39 Prozent der Stimmen, Barre 23 und Chirac 21 Prozent; im zweiten Wahlgang hieße der Sieger eindeutig Mitterrand), zögert noch.

Wird er kandidieren? Oder heißt der diesjährige Kandidat der Sozialisten Michel Rocard, der schon 1981 Mitterrand parteiintern beinahe verdrängt hätte, und der durchaus nicht gewillt ist, auf ewig Türsteher zu spielen.

Die beiden bürgerlichen Kandidaten sehen sich nun vor der diffizilen Aufgabe, sich trotz Eigenpropaganda nicht gegenseitig aufzureiben. Denn es ist klar, daß jeder rechte Krach den Sozialisten zugute kommen würde. Andererseits kann eine PS (Sozialistische Partei) ohne Kandidaten schwer kritisiert werden, und Mitterrand darf sich ungehindert im Schutz seines Präsidentenamtes in vorteilhaftem Licht präsentieren.

Dabei hat es nach 1981, kurz nachdem Mitterrand seinen Erdrutschwahlsieg gelandet hatte, gar nicht so rosig für ihn ausgesehen: Die Finanzkraft des Landes sank rapide, Lohn- und Preisstops verbitterten die Franzosen ebenso wie die kurzzeitige Devisenausfuhrsperre, die 1983 einem Auslandurlaubsverbot gleichkam.

„Uff, bald ist das Tunnelende in Sicht!“ stand vor zwei Jahren auf den Plakaten der Gaullisten und Giscärdisten, die damit die „coha-bitation“ ansteuerten — was soviel bedeutete wie das politische „Zusammenleben“ eines sozialistischen Präsidenten und einer konservativen Regierung.

Seit 1958 (unter Charles de Gaulle) eine Verfassungsänderung die Fünfte Republik begründet hat, ist nämlich der übrigens auf sieben Jahre gewählte Präsident schier allgewaltig. Er ernennt den Premierminister, mit dem er die exekutive Gewalt teilt, und kann ihm mißliebige Gesetzesbeschlüsse durch Verweigerung seiner Unterschrift blockieren.

Der Premier seinerseits braucht das Vertrauen des Parlaments, vor allem aber auch das des Präsidenten. Politische Differenzen zwischen beiden erschienen bis 1986 undenkbar.

Deshalb hatte Mitterrand auch gleich nach seinem Wahlsieg Parlamentswahlen angeordnet, die prompt zugunsten der Linken ausgegangen waren.

Bei den Parlamentswahlen vom März 1986 siegten die „cohabita-tions“-Freunde jedoch nur mit einer dünnen Mehrheit über die Linksparteien, und der neue Premier Chirac mußte sehr bald erleben, daß die ausbleibenden Wunder seiner Politik enttäuschte Wähler nun erst recht wieder nach links trieben.

Unversehens wurde der taktisch klug agierende Mitterrand zu einer regelrechten Kultfigur der französischen Linken. „Onkelchen, verlaß uns nicht!“ tönte es Anfang 1988 in Anlehnung an den Spitznamen, den das satirische Magazin „Le Canard en-chaine“ dem Staatsoberhaupt verliehen hat.

Freüich, so links wie 1981 steht die PS längst nicht mehr. Die wilden Anfangs jähre, die von Verstaatlichungsrausch und Schuldiskussion gezeichnet waren, sind vorbei. Die Kommunisten, 1983 aus der Regierung gedrängt, haben mittlerweile von den Sozialisten genug. Und Mitterrand ist längst nicht mehr das Schreckgespenst jener Franzosen, die mit seiner Amtsübernahme das Ende von de Gaulles Werk gekommen sahen.

Im Gegenteil, in Karikaturen wird Mitterrand bisweilen schon mit den Zügen seines einstigen Dauergegners versehen. Sein Engagement für die französische Aufrüstung hat auch dem Ausland klargemacht, daß der Erdrutschsieg zu keinem wirklichen Kurswechsel geführt hat

Auch die „cohabitation“, 1986 von vielen Franzosen rundweg abgelehnt oder zumindest belächelt, erscheint nun vielen durchaus in vorteilhaftem Licht.

Um die „kleinen“ Kandidaten (die endgültige Liste wird erst am 8. April vorliegen) ist es bisher relativ still. Offizieller Kommunistenkandidat Andre Lajoinie muß sich auch gegen den „Dissidenten“ Pierre Juquin wehren, der gegen den Parteiwillen kandidiert.

Rechtsradikalenführer Le Pen, Senkrechtstarter der letzten Jahre, läßt momentan seine gewohnten Skandalsprüche „vermissen“. Freilich hat seine KZ-Aussage vom Spätsommer 1987 vielen Franzosen, die wähnten, der Nationalismus seiner „Nationalen Front“ sei nicht mit Rassismus Hitlerscher Prägung zu verwechseln, die Augen geöffnet. Nach Meinungsumfragen würden ihn etwa acht Prozent der Franzosen wählen.

Anders als in Österreich sind in Frankreich zwei Wahlgänge die. Regel. Am 24. April werden von den vielen Kandidaten zwei übrigbleiben: ein Sozialist (Mitterrand?) und Chirac oder Barre. Wollen die Bürgerlichen bei der Stichwahl am 8. Mai den linken Kandidaten schlagen, dürfen sie sich jetzt nicht zerstreiten.

Den Sozialisten bereitet die Kandidatenfrage zur Zeit offenbar kaum Probleme. „Generation Mitterrand“ steht auf ihrem Plakat, und ein Kind greift zuversichtlich nach der Hand eines Erwachsenen.

Die Frage, ob dieser Mitterrand selbst oder einer seiner Parteifreunde sein wird, bleibt damit geschickt ausgespart.

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