6836965-1975_20_07.jpg
Digital In Arbeit

Warten auf Salzburg

Werbung
Werbung
Werbung

Die Araber, von denen in den letzten Jahren so viele antiamerikanische und antiwestliche Impulse ausgingen, sind erschüttert und verunsichert von der amerikanischen Niederlage in Südostasien. In Kairo und Damaskus, Bagdad und er-Riad hat man sich zwar stets auch vor dem Popanz des angeblichen USA-Imperialismus gefürchtet, aber man glaubte auch stets, man betrete das schwankende Drahtseil der Schaukelpolitik zwischen West und Ost nicht ohne das unsichtbar doch aufgespannte Netz des amerikanischen Wohlwollens für die Dritte Welt. Jetzt ist die Ernüchterung groß. Und hinter dem Jubel über den „gerechten und unvermeidlichen Sieg unterdrückter Völker über seine Unterdrücker“, wie es im kommunistischen Jargon so euphorisch heißt, verbirgt sich — zumindest bei den Arabern — die nackte Furcht vor einem nicht mehr ganz unmöglich erscheinenden völligen Disengagement der westlichen Führungsmacht gegenüber der Weltpolitik und dem dann zwangsläufigen absoluten Ausgeliefertsein an den östlichen „Verbündeten“.

In den arabischen Kommentaren und den bislang noch spärlichen amtlichen Verlautbarungen der arabischen Regierungen zu den Vorgängen in Südostasien wird zwar triumphierend erklärt, jetzt sei die Verhandlungsposition der Vereinigten Staaten geschwächt und die Glaubwürdigkeit Henry Kissingers erschüttert. Gleichzeitig aber wirft man Washington vor, seine Versprechungen seien nicht mehr glaubhaft. Keinem Kommentator wird der eklatante Widerspruch klar. Einerseits wirft man den USA vor, sie hätten imperialistische Machtgelüste, anderseits macht man ihnen zum Vorwurf, niemand mehr könne sich auf die Amerikaner verlassen.

Daraus läßt sich nur folgern, daß man zwar Einflußvermögen und Machtvolumen der Amerikaner noch immer fürchtet, weil man Erfahrungen mit dem Kolonialismus gemacht hat, die nun einmal nicht mehr hin-wegzudiskutieren sind, man fürchtet aber etwas noch mehr, nämlich die direkte Berührung mit dem russi-

schen Bären. Mit anderen Worten: eine „pax Americana“ wäre den Arabern noch immer lieber als eine „pax Sovietica“.

Im Nahen Osten mehren sich die Stimmen, die befürchten, daß der Umweg über einen fünften Nahostkrieg der kürzeste Weg zu einem Frieden in dieser Region sein könnte. Sie argumentieren, Waffen für eine solche erneute Auseinandersetzung seien im Übermaß vorhanden. Im Ernstfall könne niemand sie verhindern, und bestenfalls nach zwei Wochen, wenn den Kontrahenten der Atem ausgehe, hätten beide Supermächte die Chance, die Beteiligten an den Verhandlungstisch zu zwingen.

In dieser von unkontrollierbaren Emotionen aufgeheizten Stimmung scheint immerhin ein Mann die Nerven zu behalten. Ägyptens Präsident Mohammed Anwar es-Sadat hat offenbar klar erkannt, daß seine Region jetzt nur noch die Wahl hat zwischen einem Friedensdiktat beider Supermächte um den Preis eines neuen mörderischen Schlachtens an den Fronten, oder einem frei ausgehandelten Vernunftfrieden unter den Fittichen der USA und mit dem stillen Wohlwollen auch der Sowjets. Seine Rechnung ist, daß auch der Kreml diese Minimal- der Maximallösung vorziehen dürfte, die USA so herauszufordern, daß sie, trotz der Niederlage in Fern-, eine Niederlage in Nahost nicht mehr hinzunehmen bereit sind. Die Kontakte zwischen Kairo, Washington und Jerusalem, die durch die geplante Begegnung zwischen es-Sadat und Gerald Ford in Salzburg in den Mittelpunkt des Interesses geraten und die untergründige Rolle, die Bonn gegenwärtig zwischen Washington, Moskau, Kairo und Jerusalem zu spielen scheint, lassen noch einige Überraschungen erwarten. „Die Deutschen können jetzt endlich zeigen“, konstatierte ein führender arabischer Würdenträger zu diesen Vorgängen, „daß sie dreißig Jahre nach ihrer katastrophalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg aus ihren Fehlern gelernt haben und ihren Beitrag leisten wollen zu einer besseren Welt.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung