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Warum eigentlich nicht konservativ?

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Eine Schwalbe macht bekanntlich nodi keinen Sommer, und eine zweite auch noch nicht. Von der dritten an beginnt man sich zu fragen, ob der Vogelzug sich gewendet hat. In den letziten Wochen und Monaten sind in der deutschen Presse Artikel aufgetaucht, die alle ungefähr den gleichen Inhalt haben: „Warum eigentlich nicht konservativ?" Wenn ein Günther Zehm in der „Welt" über eine Neu’besinnung auf das viel geschmähte „Konservative" meditiert, so kann man das Immer noch damit abtun, daß die Springer-Presse ein Minderheitsphänomen ist und darum nicht t^isch sei. Schreibt ein Dolf Stemberger einen Leitartikel gleichen Inhalts in der „Frankfurter Allgemeinen", so kann man immer noch einwenden, daß der kapriziöse Politologie-Professor eben aus purem Sno-bismiis gegen den Strom schwimme. Wenn aber kurz darauf ein so bandfester Kollege Stembergers wie Waldemar Besson, immerhin Rund-funkkomentator, in der Zeitschrift „Monat" nachzieht, beginnt man doch zu stutzen. Besson hat nie in den Wolken gelebt; er steht mit beiden Beinen in unserer Welt und weiß sich ihrer zu bedienen. Wenn er nun in Nr. 265 des „Monat" sagt: „Ich bin überzeugt davon, daß die linke Mode, so wie wir sie jetzt betreiben, an der Natur des Menschen, so wie sie sich uns hlstorisdi offenbart hat, vorbeizielt" — wenn ein Besson uns das sagt, so dürfen wir sicher sein, daß er der Meinung ist, es soMe nidit noir, sondern es könne audi anders werden. Und diese dred Symptome sind nicht die einzigen, an denen sidi ablesen läßt, daß Immer mehr Leute sidi fragen, warum edgentUdi „konservativ" so etwa« Sdilbmnes sein sollte.

An dieser Oberrasdienden Wendung hart das Meine Grüppdien von Leuten, (fie sldi während der letzten Jahre In der Publizistik als Konservative bekannt haben (in der praktischen Politik tat das überhaupt niemand), eher einen symbolischen Anteil. Sie haben einfadi die Erinnerung daran wadigehalten, daß es eine solche Posdtion überhaupt gibt — daß die poliitisdie Landschaft sich nidit einfadi auf ein Mehr oder Weniger an Linken reduzieren läßt. An dem sidi ankündigenden Wetterumsdilag sind aiber vor allem „die Vertiält-nisse" sdiuld, und dann auch die Maßlosigkeit der Linken. Was die Verhältnisse betrifft, so läßt sidi beispielsweise die marxistisdie Heilslehre durdi nidits wirksamer widerlegen, als wenn mit der Einsetzung einer „sozialistisdien" Regierung sofort auch die Enteignung des Arbeitnehmers durch die Inflation einsetzt. Das Ausbleiben des Paradieses ist stets das Kreuz für die Bewegungen, die durch großzügig ausgestellte Wechsel auf die Zukunft an die Macht gekommen sind; zum mindesten schlechter als bisher darf es nicht werden, wenn die Wartenden die Geduld nicht verlieren sollen. Und was die Maßlosigkeit betritt: die von der Linken betriebene Verketzerung des Wortes „konservativ" beginnt nun auf die Zauberlehrlinge zurückzusdilagien. Propaganda ist nämlidi eine Sache der Dosierung.

Verschleiß des Links-Vokabulars

Wir erleben auch auf anderen Gebieten, daß politische Schimpfworte ihre Wirkung verlieren, wenn sie ohne Maß verwendet werden. Wen schreckt schon die Bezeichnung als „Faschist", wenn man dadurch mit so honorigen Männern wie Helmut Sdimadit und Oberbürgermeister Vogel in eine Schublade kommt? Die Voltabel „Nazi" löst sich in Luft auf, wenn sdion jeder schlechte Schüler sie auf seinen Lehrer verwendet und meint, diesen wegen „autoritärer Haltung" mit Auschwitz in Beziehung bringen zu müssen. Was soll das Wort „Antisemit" noch, wenn man es ausgerechnet einem Publizisten an-hän’gt, der mit einer Jüdin glücklich verheiratet ist? Wer scheut sich nodi, „repressiv" zu sein, wenn sdion derjenige es ist, der Exhibitionisten an der öffentlichen Verrichtung ihrer Notdurft verhindert? Und der allzu sehr mach „Prawda" duftende Vorwurf des „revanchistischen Nationalismus" kann keinen Bayern mehr erschüttern, seit 56% seiner engeren Landsleute bei der Landtagswahl auch gegen den Moskauer und den Warschauer Vertrag gestimmt haiben. Wir sind da Zeugen eines gigantischen Totalausverkaufs. Recht heruntergekommene Vertreter der Linken benehmen sich wie Derwisdie und verschleudern im Handumdrehen das gesamte Kampfvokabular, das sich ihre geschickteren Vorgänger während vieler Jahrzehnte geduldig zusammengesammelt haben. Und wo einer der linken Ahnen nodi überlebt — etwa Professor Horkheimer, der vor einem Vierteljahrhundert den Popanz vom „autoritären Menschen" in die Welt setzte —, da kann man sicher sein, daß er sich in seiner Tessiner Villa über seine tolpatsdii-gen Schüler entsetzt und natürlich nichts mit dem zu tun haben will, was er angerichtet hat.

Dieser Versdileißprozeß stimmt den Konservativen zwiespältig. Natür-lidi erfüllt es ihn mit Behagen, daß sich als wirksamste Mikrobe gegen die Linke diese Lmke selber erweist. Mit Unbehagen erfüllt ihn hingegen, daß überwunden geglaubte polltische Phänomene wie Fasdiismus, Nazismus, Antisemitismus durdi die unter-scheidimgslose Diskriminierungs-praxfis der Linken wieder zum Leben erweckt wurden, vmd zwar mit fast völlig verdunsteter Schreckwirkimg. Positiv zu werten ist jedodi zweifellos, daß Worte wie „Autorität" oder „Ordnung" wieder einen Sinn bekommen haben, seit sie allzu dumm verketzert worden sind. Und vor allem entdeckt der Konservative zu seiner Verwunderung, daß das Wort „konservativ" (mit dem er selbst nie recht zufrieden war) dank der derwischhaften Besessenheit seiner Verächter dabei ist, eine neue Jungfräulichkeit zu gewinnen. Wer vor anderthalb Jahren nocįi welt von sich wies, konservativ zu sein, bekennt nun schon im engeren Kreis, es doch zu sein. Zu Hurra-Geschrei ist allerdings noch kein Anlaß. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen hat es den Konservativen verwirrt, sich plötzlich in einer kuriosen Ausnahmesituation zu finden. Zum anderen hat er sich von seinen Gegnern in einen eigens für ihn konstruierten Laufstall sperren lassen.

Wer klammert sich an den Status quo?

Die Ausnahmesituation besteht darin, daß der Konservative überraschenderweise nicht mehr mit dem Status quo verheiratet ist. Nach landläufiger Meinung klammert sich der Konservative an den Status quo oder will gar die Vergangenheit wiederherstellen; der Linke hingegen gilt als derjenige, welcher den Status quo verändern will und damit die Türe in die Zukunft aufstößt. Und die Zukunft kann bekanntlich, trotz aller entgegengesetzten Erfahrungen, immer nur besser sein als die Gegenwart. Es nützte dem Konservativen wenig, wenn er darauf hinwies, daß der Marxismus (als der harte Kern der Linken) die eigentliche reaktionäre Kraft unserer Zeit ist: das marxistische System stellt ja — wie zur 2ieit gerade die Polen wieder feststellen können — einen Rückschritt In eine primitive, von Gendarmen geregelte Tauschwirtschaft dar, in welcher der Mensch all das wieder verliert, was er sidi in den verflossenen JahrhiHiderten an persönlicher Freiheit errungen hat. Es nützte ihm nichts, wenn er darauf hinwies, daß das Fortsdirittsgerede nur diesen Abmarsdi in die Vergangenheit versdileiem soll und die Sache höchstens für den versüßt, der als Salon-bolschewist das Schauspiel von ferne, d. h. von einem liberal gebliebenen Land aus, betraditet. Wenn auch Abmarsch in die Vergangenheit, so war es doch Marsch, Bewegung — der Konservative jedodi galt als derjenige, der sich an den Status quo klammert imd nicht will, daß sich irgend etwas verändert. Und das schien das Böse an sidi zu sein. Das ist nun von Grund auf anders geworden. Die Linke schießt zwar immer nodi auf den Pappkameraden eines Status-quo-Konservativen, der die Linke am Verändern der Welt hindern will. Aber man fragt sich, ob sie nicht weiß oder ob sie vertuschen will, daß heute die Konservativen die unzufriedene, auf Veränderung bedachte politische Schicht sind. Und wissen das die Konservativen selber? Man muß es an den Ptogem aufzählen: sie halten sowohl die derzeitige Außenpolitik wie die derzeitige Wirtschaftspolitik für eine Katastrophe, sie billigen weder den derzeitigen Zustand der Bundeswehr noch denjenigen von Unlversiität und Schule, und sie wallen auch den indu-strialierten, sterilen Sex nicht, den man ihnen als Beruhigungspille verordnet. Wer aber will den vorhandenen Zustand bewahren? Wer klammert sidi an den Status quo? Es ist die Unke Koalition, die sidi schützend vor die von ihr erriditete Attrappe einer kirtisdiiigen Scheinrevolution stellt, hinter der sich nichts anderes verbirgt, als die große Abschlaffung, als fie Kapitulation vor den sidi uns stellenden Aufgaben, als der Rückziug in die Sackgasse des angeblich geringsten Widerstandes, nichts als die Flucht in eine als „Fortschritt" aufgeputzte Untäügkeit und Sklerose. Der mit roten Fahnen gesdimüdcte Expreß fährt sitets in den gleichen tristen Endbahnhof: den ideologisdi imd bürokratisch verschnürten Zwanigsstaat, in dem jede lebendige Kraft erlischt. Wer einmal durch den Mief einer „Volksdemokratie" milt der unvergeßlichen Mischung aus Trostlosigkeit, Desin-f elrtionsgerudi und kaputter Apparatur gewandert ist, der nimmt die Unarten der westlidien „Konsumgesell-sdiaft" (die ja verändert werden kann) in Kauf.

Wirklidi, audi der unkonventionellste Konservative hätte bis vor kurzem nicht zu träumen gewagt, daß er plötzlich als der wirkliche Revolutionär dastehen werde — als der einzige nämlich, der den Status quo nicht akzeptiert, sondern der Meinung ist, daß es durchaus einen besseren Weg geben könnte als den, auf welchem wir uns im Schafstrott bereits befinden. Er erlaubt sich plötzlich, zu denken. Er mißt den Status quo zwar nidit an einer Utopie, aber doch an einer aus dem Gesamtzusammenhang der Wirklichkeit gewonnenen Idee.

Für die linke Reaktion sind die Konservativen, die denken, anstatt sich an den Status quo zu klammem, eine tödliche Gefahr. Sie haben denn auch die ihnen zur Verfügung stehenden Meinungsbildungsapparatur dahingehend programmiert, daß ein Konservativer, der denkt, keiner sei. Sie suchen die Konservativen in den Laufstall des „Liberalkonservatismus" zu sperren. Nun Ist natürlich gegen den Liberalkonservatismus gar nichts zu sagen — er ist eine schöne Sache, und wer ihn pflegen kann, ist glüdcUdi zu preisen. Es 1st aber dodi auffällig, daß dieser Liberalkonservatismus im Grunde die Angelegenheit eines einzigen Landes ist, nämlich des Inselstaates England, und auch dort nur in einer historisdi begrenzten Zeit.

Burke Ist kein Exportartikel

Dieser spezifisch englisdie, durdi Edmund Burke großartig verkörperte Konservatismus war der Überzeugung, daß der Konservative gar keine Ideen brauche; es genüge, wenn er das von selber Wadisende ein wenig hege und pflege vmd allenfalls ein bißchen Unkraut jäte. Übereinstimmend hat die Forschung festgestellt, daß diese Art von Konser\-ativsein neben England allerhöchstens noch in der Schweiz blühend angetroffen werden konnte — in einem Land also, das auch lange Zeit keine an die Nieren gehenden Probleme hatte (heute beginnt es sie langsam zu haben). „Liberalkonservativ" kann man nur dort sein, wo man mit dem Status quo einverstanden ist und jede Veränderung des Status quo bloß eine Veränderung zum Schlechteren hin sein könnte’. Und in dieser Lage dürfte sich die Bundesrepublik Deutschland unter der Herrschaft der Brandt-Sdieelschen KoaUition kaum beflnden.

Damit man uns nicht das Wort Im Mund umdreht: Burke war zu seiner Zeit und in seinem Land das Richtige. Besson war auf dem Holzweg, wenn er seinen so viel Treffendes enthaltenden Aufsaitz im ,,Monat" mit dem Titel versah: „Um einen deutsdien Edmund Burke bittend." Bin „Liberalkonservativer" in der Bundesrepublik von 1970/71 ist ein Mann, der bereits kapituliert hat. Wenn er sich als „liberalkonservativ" bezeichnet, so möchte er damit auf seine absolute Harmlosigkeit hinweisen und zeigen, daß er mit den Massenmedien keine

Sdiwierigkeiten haben will. Er gibt mit dieser Kennmarke zu verstehen, daß er den Status quo respektiert und auf jede eigenwillige Idee, ja auf Ideen überhaupt verzichtet, daß er vor jedem hellenden Einschnitt zu-rüdosdireckt tmd sich bloß mit Nebensächlichkeiten befassen will. Kurzum: er „spielt mit". Und zum Dank dafür wird er von den Massenmedien zum einzig möglichen Fall von „konservativ" erklärt: alle anderen Koniservativen — diejenigen, welche tabuierte Themen nach anzu-padcen wagen — sind „Rechtsextremisten" oder ähnliches (der Katalog ist bekannt). Der „Liberalkonservative" weiß solche Schonung natürlidi zu sdiätzen. Und er widersteht selten der Versudiung, sidi dafür in besonderer Weiise erkenntlich zu zeigen: indem er nämlich an der Diskriminierung der etwas mutigeren Konservativen teilnimmt und sich von ihnen als von „Pseudo-Konservati-ven" abgrenzt (es heißt dann: „Seht, die Konservativen sagen es ja selber …"). Dabei vergißt er jedodi, wie nahe er der Grenze sitzt — madit er aui Versehen audi nur einen Schritt über die Grenze, so kommt er selber dran. Die Erfahrung hat mm audi H. J. Sdioepe madien müssen, der im Verlauf der letzten zehn Monate vom „guten" zum „bösen" Konservativen geworden ist; er sitzt nun im gleidien Boot mit jenen, von denen er sich geme distanzierte.

Daß die Konservativen Mut zu einei entschiedenen Haltung bekommen,

ist für Deutschland eine Lebensfrage. Solange sie sich manipulieren und gegeneinander ausspielen lassen, besteht keine Hoffnung, daß aus dem in so vielen Symptomen sich ankündigenden Rückschlag „zum Konservativen" etwas Rechtes wird. Wenn die Konservativen dem Menschen von heute nichts anderes zu bieten haben als eine etwas abgeschwächte Fassung der großen Abschlaffung, eine etwas aufgeschminkte und mit „traditionellen Werten" verzierte — nun, dann wird dieser „Rüdcsdilag" sich nicht lange an einer so unwichtigen Station aufhalten. Der Expreß fährt dann weiter. Die Deutschen werden sich an das einzige Ord-nungsmodell halten, das in einem soldien Fall in unserem Umkreis noch vorhanden wäre. Nach dem Motto „Lieber eine sdüedite Ordnung als gar keine" würden sie eine leichte Beute der roten Preußen jenseits der Elbe.

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