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Warum gibt es Hunger

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Eine Laxenburger Studie zeigt, daß bei entsprechendem Ausbau der Landwirtschaft im Jahr 2000 die Entwicklungsländer das Neunfache ihres Nahrungsbedarfs produzieren könnten.

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Eine Laxenburger Studie zeigt, daß bei entsprechendem Ausbau der Landwirtschaft im Jahr 2000 die Entwicklungsländer das Neunfache ihres Nahrungsbedarfs produzieren könnten.

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Mit einer zusätzlichen Produktion von etwa 30 Millionen Tonnen Getreide pro Jahr, das sind lächerliche 1,5 Prozent der gegenwärtigen Getreideproduktion, könnte das derzeit bestehende Nahrungsdefizit auf der Welt gedeckt werden. Trotzdem müssen auf unserem Planeten viele Millionen Menschen hungern. Wie ist das zu erklären? Was läßt sich dagegen tun?

Professor Kirit Parikh, der am Laxenburger Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) das Projekt „Ernährung und Landwirtschaft" leitet, ist seit Mitte der siebziger Jahre mit einem Stab von 15 Forschern (die von insgesamt über, 100 Forschern in einzelnen Ländern unterstützt und mit Datenmaterial beliefert werden) bemüht, auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Fest steht für ihn nur: „Hunger ist kein Problem der Nahrungsmittelproduktion, sondern der Verteilung."

Wie berechnet man überhaupt das Nahrungsdefizit? Ausgehend davon, daß ein Mensch, um satt zu sei, pro Tag zumindest 2000 Kalorien zu sich nehmen muß (diese Zahl ist umstritten und trifft sicher nicht auf jedes Individuum zu), ist man zu dem Ergebnis gekommen, daß 30 Millionen Tonnen Getreide pro Jahr reichen würden, alle, die bis jetzt darunter liegen, auf diese 2000 Kalorien zu bringen.

Parikh ist freilich skeptisch, daß eine solche zusätzlich auf den Weltmarkt gebrachte Menge Getreide das Problem lösen würde: „Es würde kaum bis zu den Armen in den armen Ländern gelangen. Der Weltmarktpreis für Getreide würde sinken, die reichen Länder würden mehr bevorraten, verfüttern und den Fleischkonsum steigern, die armen Länder würden, um ihre eigenen Bauern zu schützen, wenig von dem billigen Getreide importieren."

Wie immer die Ernten weltweit ausfallen, die armen Länder leiden darunter. Käme es nämlich in den entwickelten Ländern zu Dürre und Mißernten, so würde der Weltmarktpreis steigen. Für die entwickelten Länder wäre es kein großes Problem, trotzdem ihre Ernährung zu sichern, die Länder der Dritten Welt hätten es aber noch schwerer, Getreide zu importieren.

Hunger hängt also mehr mit der allgemeinen Armut als mit der Nahrungsmittelproduktion zusammen, das Problem kann nicht isoliert von der wirtschaftlichen Lage des einzelnen Landes und von der Abhängigkeit beinahe jedes Landes von den Wirtschaftsmaßnahmen anderer Staaten gesehen werden.

Dabei könnten sich auch die meisten Entwicklungsländer selbst ernähren, würden sie alle zur Verfügung stehenden Flächen richtig ausnutzen. Eine im Rahmen des IIASA-Projekts durchgeführte Studie an 117 Entwicklungsländern zeigte, daß diese — bei Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2000 — insgesamt das Neunfache der selbst benötigten Nahrungsmittel produzieren könnten, freilich nicht jedes einzelne Land. Das liegt an Klima- und Bodenproblemen, die aber manche Länder (wie die ölexporteure Algerien und Nigeria) durch Handel ihrer Rohstoffe gegen ausländisches Getreide wettmachen können.

In Afrika gibt es beim derzeitigen Zustand der Landwirtschaft 27 Staaten, die ihre Ernährung nicht aus eigenen Kräften sichern können. Hebt man den landwirtschaftlichen Standard auf ein mittleres Niveau, so bleiben zwölf „kritische" Staaten, erreicht man das höchste Niveau, so sind es nur mehr vier: Westsahara, Kap Verde, Rwanda und Mauritius.

In Südamerika können sich im Jahr 2000 alle Länder selbst versorgen (Hunger beruht dort ausschließlich auf Armut), in Mittelamerika muß man mit zehn „kritischen" Staaten rechnen, bei Erreichen des „Mittelniveaus" wären es noch sieben, bei Verbesserung der Landwirtschaft auf das höchste Niveau blieben nur mehr zwei Sorgenkinder: Barbados und die Niederländischen Antillen.

In Südostasien haben eindeutig Singapur (das als Handelsplatz aber ohne Schwierigkeiten die nötige Nahrung importieren kann) und Bangla Desh die größten Probleme. In Westasien können die ölexportierenden Staaten ihre Ernährungsprobleme relativ leicht über den Außenhandel lösen, schwer haben es hier vor allem Afghanistan, Südjemen und Nordjemen.

Daß es vor allem an den richtigen politischen Entscheidungen mangelt, erläutert Prof. Parikh, assistiert von seinem österreichischen Mitarbeiter Günther Fischer, am Beispiel Kenia: Nicht, daß dort auf guten Böden für den Export bestimmter Tee und Kaffee angebaut wird, ist das Problem. Mit dem Erlös aus diesen Exportgütern könnte man nämlich durch Ankauf von Getreide oder Düngemitteln auf dem Weltmarkt mehr für die Ernährung der Bevölkerung Kenias tun, als wenn man auf dem Gebiet der Tee- und Kaffeeplantagen Getreide anbaute. Nur: Der Profit aus dem Tee- und Kaffeehandel fließt in die Taschen einzelner Bauern und Städter, während der Großteü der Landbevölkerung durch die Finger schaut.

Ziel des IIASA-Projekts, das in etwa einem Jahr abgeschlossen sein soll, ist es, den Entscheidungsträgern Werkzeuge an die Hand zu geben, die Ernährungsprobleme in den Griff zu bekommen. Aus diesem Grund werden nun nach und nach für Dutzende Länder Modelle entwickelt, von deren Umsetzung in die Praxis man die so bitter notwendigen und herbeigesehnten Fortschritte gegen das unnötige Problem Hunger in der Welt erhofft.

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