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Warum gleich so ruppig
Lieber Freund,
Sie wissen, daß ich jahrzehntelang in Deutschland gelebt habe, und so sehr ich noch heute die Hilfsbereitschaft rühmen muß, die mir Österreicher von allen Seiten zuteil wurde, die Sehnsucht bin ich doch nie losgeworden.
Dies umso weniger, als ich in fremder Umgebung zur Erkenntnis kam, was alles ich aufgegeben hatte, oder sagen wir so: erst in der Ferne wurde ich von der Blindheit geheilt, die mich den Schönheiten Österreichs gegenüber befallen hatte, weil das, was ich dort sah und erlebte, eben selbstverständlich gewesen war: die Aufgeschlossenheit der Menschen, der blaue Duft über den Salzkammergutseen, der Orgelklang der gewaltigen Kumuluswolken und das lasierte Abendrot. Schlösser und verfallende Burgen im Efeu, sordinierte Architektur, raunende Wälder.
Als ich in dieses Paradies zurückkam, hatte sich dann eines gründlich geändert — der Umgangston der Mitmenschen. In der Straßenbahn raunzte ein Zugführer einen Passagier, der sich zu spät durch das Gewühl zum Ausgang gedrängt hatte, an: „Hab'n S' g'schlaf n?”, Schutzleute polterten auf die Passanten los, statt sie mit Distinktion abzumahnen, viele gesellschaftliche Formen waren untergegangen, Höflichkeit stand weit unter Kurs.
Und das, muß ich sagen, hat mich tief betroffen, der ich immer der Meinung gewesen war, meine Landsleute seien besonders wohlerzogen und daneben auch vom Herzen her dem guten Ton zugetan. Was du willst, das man dir tu, das füge einem andern zu, hatte ich einen Slogan gern variiert, fest überzeugt, daß gutes Benehmen keine repressive Untugend sei, sondern von der Idee her den Verkehr unter den Menschen geläufiger mache.
Ich wurde ungeduldig angehupt, wenn einem Verkehrskolle-
,.Österreich, leider, ist nicht mehr Land der feinen Sitten und des natürlichen Taktes...” gen schien, ich hätte einen Fauxpas begangen, manche Verkäuferinnen, und gar das Dienstleistungspersonal in Gaststätten und Hotels benahmen sich muffig und abweisend. Dazu kam die unerhörte Feigheit vor einer eigenen Meinung: jeder glaubte die von einem Scharlatan mit Hut präsentierten Dachrinnen als Kunstwerke annehmen zu müssen.
Sicher, sicher, man macht auch andere Erfahrungen, Gott sei Dank, aber die chevalereske Höflichkeit um ihrer selbst willen ist leider sporadisch geworden, verehrungsvolle Hochachtung vor dem weiblichen Geschlecht hat einer burschikosen Kameraderie Platz gemacht, die schönen jungen Mädchen ziehen sich wie Elefantinnen an und ohne Genierer aus. Österreich, leider, ist nicht mehr Land der feinen Sitten und des natürlichen Taktes, sondern mehr eine gemütliche Bauernstube geworden und fallweise ein unpersönliches Grandhotel.
Bitte, das ist hart, ich gebe es zu, ich sage es ja auch nur Ihnen. Sicher kennen Sie die hübsche Geschichte von dem alten Chinesen, der vor seiner Türe mit gekrümmtem Rücken das gehäufte Herbstlaub wegkehrt, damit sein Gast unbehelligt eintreten könne, aber drei, vier Blätter liegen läßt, um dem Erwarteten die Beschämung zu ersparen, bemerken zu müssen, daß er sich um seinetwillen Mühe gemacht hatte.
Sehen Sie, an den andern denken, ihm das Leben leichter machen, nie das Maß von den eigenen Schuhen nehmen, sondern am Ende sogar Absonderlichkeiten der Nebenmenschen verständnisvoll lieben; für alles, was man Gutes erweist, in Stille unbedankt bleiben, das sind Eigenschaften, die ich früher in meiner Heimat erlebt zu haben meine. Aber vielleicht hat die hingesunkene Zeit da manches euphorisiert und macht mich heute ungerecht. Take it easy!
Es grüßt Sie unverwandt Ihr
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