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Warum man Neonazi wird
Neonazis in Österreich: Ein Prozeßurteil und eine Fernsehdiskussion haben aufgescheucht. Es gilt, darüber zu reden: was ist, wie es dazu kommt und wie es zu verhindern wäre.
Neonazis in Österreich: Ein Prozeßurteil und eine Fernsehdiskussion haben aufgescheucht. Es gilt, darüber zu reden: was ist, wie es dazu kommt und wie es zu verhindern wäre.
Sicher ist: Die Zahl der aktiven Neonazis in Österreich ist verschwindend gering. Sicher aber ist auch: Ein beträchtlicher Anteil der österreichischen Bevölkerung sympathisiert mit rechtsextremistischen Positionen. Nach einer Untersuchung des „Institutes für empirische Sozialforschung" (IFES) hängt mehr als ein Viertel der Bevölkerung einem gewissen „Nostalgie-Nazismus" an.
Woher kommen nun die — überwiegend jugendlichen — Neonazis beziehungsweise warum und wie wird man heute ein Neonazi? Erste und einfachste Erklärung: Sie kommen aus alten Nazi-Familien und haben schon als Kind all das Gewäsch von der „guten, alten Zeit unter Hitler" mit anhören müssen und wurden schon früh mit der „Auschwitz-" und „Umerziehungslüge" vertraut gemacht.
Ein winziger Teil der jugendlichen Neonazis kommt gewiß auch aus antifaschistischen Familien: der Rechtsextremismus als Protesthaltung gegen das Elternhaus.
Die familiären Verhältnisse spielen jedenfalls ganz gewiß eine entscheidende Rolle dafür, ob jemand ins rechtsextreme Fahrwasser gerät — auch wenn man diese nicht von einem politischen, sondern von einem psychologischen Standpunkt her beleuchtet.
Ella Lingens etwa meinte vergangenen Dienstag im „Club 2" über die Neonazis, daß die Suche eines Jugendlichen nach einer Führerpersönlichkeit und nach Kameradschaft (beides wissen neonazistische Gruppierungen angeblich vortrefflich zu offerieren) vor allem auf das Fehlen einer Führung durch einen positiven Vater zurückzuführen sei.
Junge Menschen aus gestörten familiären Verhältnissen sehnen sich wahrscheinlich in besonderem Maß nach allmächtiger Autorität, der sie sich entweder unterwerfen oder die sie selbst ausüben wollen. Gerade totalitäre Ideologien — ob linke oder rechte — aber kommen dieser Sehnsucht entgegen, da sie „klare" Weltbilder offerieren, in denen Ordnung und Disziplin großgeschrieben sind. Mit anderen Worten: Faschismus, Nationalsozialismus, Marxismus-Leninismus befriedigen das Bedürfnis vieler Menschen nach (Pseudo-)Klarheit und Schwarz-Weiß-Kontrasten. Die totalitäre Ideologie als Denkersatz erspart die intellektuelle Anstrengung, so der Soziologe Univ.- Prof. Walter B. Simon. All dem aber, was die Klarheit und Einfachheit des Weltbildes eines Extremisten stört, bringt er grenzenlosen Haß entgegen.
Was junge Leute unter anderem in neonazistische Gruppierungen lockt, sinddas Abenteurertum und das alternative Leben in einer führungsorientierten Gemeinschaft.
Der 22jährige Rechtsterrorist Stefan S. meinte gegenüber dem Journalisten Giovanni di Loren-zo in dem soeben erschienenen Buch „Mein Traum ist der Traum von vielen" (Rowohlt): „Gruppen und Aktionen—das hat mir immer imponiert." Stets zog es den späteren rechtsradikalen Gewalttäter in eine „hermetisch abgeriegelte Gruppe, die nach ihren eigenen Gesetzen lebt".
Was hier auch zum Tragen kommt, ist eine Art „Verschwörer-Solidarität". Ella Lingens nannte darüber hinaus eine gewisse „Märtyrer-Atmosphäre",' die junge Menschen in neonazistische Gruppen zieht, und der Neonazi Erich K. bestätigte ihr dies auch im besagten Club 2: „Mir san ja alle Ausgestoßene..."
Vor allem mit drei Dingen buhlen neonazistische Gruppen um die Gunst der Öffentlichkeit: Fremdenhaß, Antisemitismus und militantes Auftreten.
Dazu kommt dann das ganze Gebräu alt- und neonazistischen Gedankengutes, mit dem die Neonazis politisch unwissende und naiv-gläubige Menschen auf ihre Seite bringen wollen: Idealisierung der Volksgemeinschaft; Kritik an der Demokratie und Ablehnung der politischen Parteien und Interessensverbände; Ruf nach einem starken Staat, nach Gehorsam, Disziplin und Führervertrauen; Kampf gegen die „Uberfremdung des nationalen Wesens in Sprache und Kultur"; Aversionen gegen nationale Minderheiten; Konstruktion von Feindbildern, um Sündenböcke zu schaffen.
Und dann wird da auch noch ein nationales Geschichtsbild angeboten, das historische Einzeltatsachen aus dem Zusammenhang reißt und ein völlig neues und abstruses Bild der deutschen Geschichte propagiert, in dem der Nationalsozialismus glorifiziert und die Kriegsverbrechen entschuldigt oder schlicht weggeleugnet werden.
Mit solchem Gedankengut sind die neonazistischen Rattenfänger also noch immer unterwegs. Man muß schon ein extremer Ignorant sein, wenn man solchem „Käse" auch heute noch auf den Leim geht...
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