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„Warum nicht auch moralische Dogmen?”

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FURCHE: Auf welche biblische Quellen kann sich die Kirche in der Frage der Empfängnisverhütung stützen? Was sagen Sie zum Vorwurf, die überlieferten kirchlichen Lehren beruhten auf einem biologischen Irrtum, wonach nur der Mann als Träger des Lebens gesehen wurde?

P. ANDREAS LAUN: Es gibt viele Einzelfragen der Moral, die in der Heiligen Schrift nirgends direkt -„wörtlich” - beantwortet werden. Wenn man die Aussagen der Bibel aber zu Ende denkt, kommt man dennoch zu klaren Ergebnissen, die man biblisch nennen kann. Auch die Lehre von „Humanae vitae” ist in diesem Sinn biblisch.

Es kann sein, daß sich frühere Moraltheologen falscher biologischer Gedankengänge bedient haben. Aber das ist eine Frage der Geschichte. „Humanae vitae” ist ein modernes Dokument und setzt die Erkenntnisse der modernen Biologie voraus.

FURCHE: Worin besteht der fundamentale Unterschied zwischen der vom Lehramt erlaubten „ natürlichen Empfängnisregelung ” und der abgelehnten „künstlichen Empfängnisverhütung”? Liegt hier nicht nur ein

Methodenstreit vor, da die Motive doch in beiden Fällen gleich sind?

LAUN: Wenn die Liebe zwischen Mann und Frau in besonderer Weise ein Abbild der schöpferischen Liebe Gottes ist, erscheint ihre Fruchtbarkeit als ein Wesenselement der Liebe selbst. Dabei stehen sich zwei Modelle gegenüber:

□ Sowohl Liebe und Fruchtbarkeit als auch Leib und Seele werden als nur äußerlich verbunden gedacht, und darum meint man, die Verhütungsmaßnahme sei ein bloß „biologischer” Eingriff, der nichts zu schaffen hat mit der Person und ihrer Liebe. Dieses Modell würde ich „dualistisch” nennen.

□ Im Licht der anderen, ganzheitlichen Betrachtung des Menschen betrifft der verhütende Eingriff nicht nur den Leib, sondern zerstört ein wunderbares Ganzes.

Eine Reihe von Gründen sprechen gegen empfängnisverhütende Eingriffe. Einer davon ist die Integrität der Liebe selbst: Wie kann man einen anderen Menschen im Sinn der sexuellen Körpersprache der Liebe umarmen und ihm sozusagen im gleichen Atemzug abverlangen, vorher ein anderer zu werden, nämlich ein zeugungsunfähiger Mann beziehungsweise eine sterile Frau. Man behauptet, den anderen zu lieben, aber dann stellt sich heraus, daß der andere nicht sein darf, was er zu diesem Zeitpunkt ist: ein Mann, der Vater werden könnte, oder eine Frau, die ein Kind empfangen kann. Steckt in einem solchen

Verhalten nicht eine gewisse Widersprüchlichkeit?

Die Rede vom „Methodenstreit” könnte leicht vergessen lassen, daß sich hinter „Methoden” zentrale Fragen des Lebens verbergen können. Ließe sich nicht auch die Abtreibungsfrage, die Forschung an Embryonen, die Euthanasie und die Verwüstung der Umwelt et cetera als „Methodenfragen” herunterspielen?

FURCHE: Finden Sie, daß dieses Thema den seit 25 Jahren währenden Konflikt darüber wert war?

LAUN: In der Geschichte der Kirche hat es Streitigkeiten gegeben, die sich im Rückblick als unwichtig erwiesen haben. Anderseits waren falsche Moralvorstellungen trotz vielleicht subjektiver Schuldlosigkeit Quelle vieler Leiden. Um des Menschen willen werden wir die Last des geistigen Ringens weiter aushalten müssen.

Das ist unter anderem auch deswegen nötig, weil - abgesehen von dem, was Menschen darüber wissen und dabei wollen - manche Mittel, die als „Verhütung” propagiert werden, in Wirklichkeit abtreiben. Das wird heute auch von der „anderen” Seite bestätigt: Schweizer Politiker, die die Fristenlösung einführen wollen, argumentieren, daß die Grenze zwischen Schwangerschaftsverhütung und frühzeitigem Abbruch immer mehr verwischt werde.

FURCHE: Halten Sie eine Verschärfung der Lehre von „Humanae vitae1”, eventuell sogar eine Dogmatisierung, für möglich oder sogar für wünschenswert?

LAUN: Die Kategorie der „Schärfe” paßt in diesem Zusammenhang nicht. Ein moralisches Gebot ist wahr und darum verpflichtend oder es ist nicht wahr und hat dann natürlich auch keine Verpflichtungskraft. Auch eine Dogmatisierung wäre nicht ein Mehr an „Schärfe”, sondern nur an Sicherheit. Warum es nicht auch moralische Dogmen geben könnte, ist nicht einzusehen. Ob aber gerade eine Dogmatisierung von „Humanae vitae” pastoral wünschenswert wäre, möchte ich offen lassen.

Das Interview mit P. Andreas Laun OSFS, Professor für Moraltheologie an der Hochschule Heiligenkreuz, Verfasser des neuen Buches „Fragen der Moraltheologie heute” (Herder), führte Heiner Boberski.

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